Berlin. Rainer Widmayer bat um Verständnis: Nein, er wolle keinen Medientermin machen, vor der Bundesliga-Partie von Hertha BSC gegen den VfB Stuttgart am Sonnabend (Olympiastadion, 15.30 Uhr). Aber Rainer Widmayer (51) ist keiner, der sich versteckt. So redet er am Rande des Trainingsplatzes über die Konstellation, die ansteht: Das Treffen seines Noch-Arbeitgebers mit dem künftigen Arbeitgeber. Im Sommer wird Widmayer nach vier Jahren in Berlin in die Heimat zurückkehren. Ab dem 1. Juli hat er einen Drei-Jahres-Vertrag beim VfB.
Auf die Frage, ob er bei dieser Partie angespannt sei, antwortet Widmayer: Er sei „kein bisschen nervös, Stuttgart bekommt von mir nichts geschenkt.“ Ganz so selbstverständlich, wie Widmayer es formuliert, ist diese Haltung nicht. Schließlich sind die Schwaben Drittletzter. Ob Widmayer kommende Saison in der ersten oder der Zweiten Liga arbeitet, wird sich, wohl erst in der Relegation entscheiden (23./27. Mai). Widmayer schüttelte den Kopf. Beim VfB sollen sie „machen, was sie jetzt machen. Ich bin zu 100 Prozent bei Hertha.“
Rainer Widmayer coacht Hertha zum Pokalsieg
Mit Widmayer geht mehr als irgendein Cotrainer. Widmayer war anderthalb Jahre, von Juli 2010 bis Dezember 2011, der zweite Mann hinter Markus Babbel. Damals stieg Hertha in die Bundesliga auf. Nach dem Rauswurf von Babbel kurz vor Weihnachten coachte Widmayer mit Erfolg Herthas Pokal-Achtelfinale (3:1 gegen Kaiserslautern).
Hertha-Manager Michael Preetz holte Widmayer im Februar 2015 zurück, um neben dem damaligen Trainer-Anfänger Pal Dardai einen erfahrenen Übungsleiter im Trainerstab zu haben – seit viereinhalb Jahren ist er der perfekte zweite Mann. Uneitel, ein Teamplayer, der sich in seinen Jahren in Berlin nicht einmal in der Vordergrund gespielt hat.
Michael Preetz lässt den Cotrainer nicht vorzeitig gehen
Deshalb hat es Widmayer geschmerzt, dass seine Anfrage vom Oktober vergangenen Jahres, ob Hertha ihn aus seinem Vertrag entlassen könne, postwendend publik geworden war. Der Cotrainer hatte berufliche und private Gründe geltend gemacht. Beim VfB will die sportliche Leitung Widmayer als dauerhaften Cotrainer etablieren, auch, wenn es Wechsel auf der Cheftrainer-Position geben sollte.
Doch Manager Preetz entschied: Auf keinen Fall lässt Hertha Widmayer vorzeitig gehen. Seither hatte man den Eindruck, dass das Verhältnis zwischen Dardai und Widmayer weiterhin professionell, aber distanzierter war.
Rainer Widmayer als Teamplayer
Trotzdem brauchen sich die beiden unterschiedlichen Typen. Dardai verfügt über eine gute Intuition und hat eine direkte, authentische Ansprache an die Mannschaft. Widmayer bringt viel Empathie für die Spieler auf. Und zur Vorbereitung der Spiele verbringt Widmayer regelmäßig Stunden allein auf dem Trainingsplatz. Seine Taktiktafel ist 104 mal 68 groß. Die schreitet er ab, markiert hier eine Angriffszone mit roten Hütchen, dort eine Pressingzone mit gelben Hütchen. Er versenkt sich in Taktikfragen „was wird der Gegner machen“ und „wie kann sich Hertha daraus befreien“. Was macht Hertha bei einer 1:0-Führung, was bei einem 0:2-Rückstand?
So hat er das „schiefe Dreieck“ ausgearbeitet, mit dem Hertha in Saison 2015/16 viele Gegner vor Probleme gestellt, weil Vladimir Darida je nach Situation als Sechser, Achter oder Zehner agiert hat. Spricht man ihn darauf an, ist es Widmayer – Stichwort Teamplayer – wichtig zu sagen: „Die Idee kam von Pal.“ Der Trainer hatte gesagt: Wie schaffen wir es, im Mittelfeld Überzahl-Situationen zu schaffen?
Pal Dardai fühlt sich nicht korrekt dargestellt
Zuweisungen wie sie medial des Öfteren zu lesen waren, hier der „Taktikfuchs Widmayer“, dort der „Motivator Dardai“, haben den Cheftrainer stets geärgert. Weil Dardai fand, dass seine Rolle dabei nicht angemessen gewürdigt werde, und die vom zweiten Cotrainer, Admir Hamzagic, erst recht nicht. Diesen Frust hat Dardai in den vergangenen Monaten mehrfach kundgetan.
Allerdings kam dieses Denken nicht von Widmayer. Weil der allzugut weiß: Die erfolgreichste Zeit ihrer Trainer-Karriere haben Dardai und Widmayer gemeinsam bei Hertha erlebt. Es wird spannend sein zu beobachten, wie die Erfolgskurve von Widmayer in Stuttgart ohne Dardai aussehen wird. Und wie es dem Ungar auf seiner nächsten Trainerstation ergeht ohne Sidekick Widmayer.
Rainer Widmayer auf den Spuren von Storck
In der jüngeren Hertha-Historie hat sich Widmayer den Stellenwert erarbeitet, wie ihn Bernd Storck zwischen 1996 als zweiter Mann hinter Jürgen Röber hatte. Wie so ein Beziehung weitergehen kann, erleben die beiden Ex-Herthaner: In Belgien spielt Royal Mouscron gerade eine aufsehenerregende Saison mit dem Sportdirektor Röber und Trainer Storck.
Doch davon will Rainer Widmayer nichts wissen. Ebensowenig wie vom VfB Stuttgart. Dass Hertha wie zuletzt „eine schwache Phase“ hatte, kann im Fußball immer mal passieren, sagte er. Aber nach den Nullnummern gegen Hannover und Frankfurt soll jetzt gegen den VfB „unbedingt ein Sieg her“, sagte Widmayer. „Ich möchte mit meinen Jungs sauber ins Ziel kommen.“