Hertha-Coach im Interview

Pal Dardai – „Lieber dreckig und dafür drei Punkte“

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Uwe Bremer und Jörn Meyn

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Pal Dardai kann dem neuen Hertha-Hype wenig abgewinnen. Einen Coup in Dortmund traut der Coach seiner Elf trotzdem zu

Berlin.  Pal Dardai ist genervt. Die Diskussion über eine attraktivere Spielweise von Hertha BSC kann der Trainer nicht mehr hören. Seit mehr als dreieinhalb Jahren ist der Ungar im Amt, eine Zeit, in der die Berliner beachtliche Erfolge errungen haben, aber nur selten begeisterten. Erst seit dieser Saison erntet die Mannschaft für ihre neue Angriffslust mehr Anerkennung. Heute trifft Dardai (42) auf das derzeit attraktivste Team im deutschen Fußball: Spitzenreiter Dortmund (15.30 Uhr/Sky und im Liveticker bei immerhertha.de). Ein Gespräch über hässlichen und schönen Fußball, die Lehren aus seiner Zeit mit BVB-Trainer Lucien Favre und Hilfestellung für Bayern-Coach Niko Kovac.

Herr Dardai, Sie haben gegen Freiburg Ihr 125. Bundesligaspiel gecoacht (47 Siege 33 Remis 45 Niederlagen). Ist der Pal Dardai von heute noch der vom ersten Spiel?

Pal Dardai: Ich glaube ja. Pal bleibt Pal. Natürlich lernt man als junger Trainer immer dazu und bekommt immer mehr Erfahrung, aber ich versuche seit Beginn, meine gerade Linie zu halten, ob mit meiner Mannschaft, oder den Medien. Ich sehe das als ein Dreieck: Wie ist das Verhältnis zwischen Trainer und Team? Wie ist Verhältnis zwischen Mannschaft und Fans? Wie ist das Verhältnis zwischen Trainer und Fans? Wenn dieses Dreieck gesund ist, können alle gut arbeiten. Seitdem ich Hertha-Trainer bin, funktioniert das eigentlich.

Funktioniert diese Beziehung im Moment besser, weil Hertha attraktiveren Fußball spielt als früher?

Nein. Es ist eine Medien-Sache, zu behaupten, wir hätten früher „hässlichen Fußball“ gespielt. Die Mannschaft hat sich damit nie beschäftigt. Spieler, Trainer, Fans, alle wollen Punkte. Und wir haben in meiner Zeit viele Punkte gesammelt. Es gibt mit Ballbesitzfußball keine Garantie, dass man mehr Punkte holt als mit einer anderen Spielweise. Wir sind nach einer schwierigen Phase für Hertha BSC seit über drei Jahren konstant und erfolgreich, haben Platz sieben, sechs, zehn und auch die Europa League erreicht. Und das alles mit schlechtem, hässlichem Fußball?

Gib Ihnen ein schön herausgespielter Sieg mehr Befriedigung als ein dreckig errungener?

Nein, für mich zählen die drei Punkte. Letztes Wochenende haben viele Leute gesagt: Tolles Spiel von Hertha gegen Freiburg. Aber es wurde nur ein 1:1. Ich hätte lieber ein dreckiges Spiel gehabt und drei Punkten mitgenommen. Das Wichtigste sind die Punkte. Ob schöner oder hässlicher Fußball – nur Punkte bringen Selbstvertrauen. Ob ein Sieg zustande kommt, weil man kratzen, beißen, bluten musste, oder weil es spielerisch gelaufen ist: Die Spieler sind auf den einen Sieg genauso stolz wie auf den anderen.

Dennoch kann man beobachten, dass Hertha diese Saison schöner spielt als letzte. Überrascht sie das?

Was in dieser Saison anders ist: Wir haben andere Spieler mit Ondrej Duda, mit Javairo Dilrosun oder den jungen Spielern aus unserem Nachwuchs. Okay, wir haben keine Spieler wie Paris St. Germain. Aber wir haben trotzdem gute Jungs. Wir haben jetzt das Spielerprofil, um den Fußball zu spielen, den wir aktuell zeigen. Mit Valentino Lazaro rechts hinten, Duda im Zentrum, auf der linken Seite je nach Situation Dilrosun oder Salomon Kalou – da haben wir praktisch drei Spielmacher auf dem Platz. Daher sieht unser Spiel schon ganz anders aus.

Am Sonnabend treffen Sie auf Lucien Favre. Der ist heute Trainer von Borussia Dortmund. Er hat Sie aber von 2007 bis 2009 bei Hertha trainiert. Was haben Sie von ihm gelernt?

Ich habe mir von allen Trainern immer abgeschaut, was gut ist und auch gesehen, was vielleicht nicht so gut ist. Daher habe ich von ihm wie auch von anderen Trainern viel gelernt. Dass eine Mannschaft gut ausbalanciert sein muss. Dass der Kader ausgewogen sein muss. Dass das über vieles entscheidet. Dafür hat er ein Näschen.

Favres Team hat 27 Tore in acht Spielen geschossen. Wie wollen Sie die beste Offensive der Liga stoppen?

Ob Bayern oder Dortmund – seitdem ich Trainer bin, hatten wir gegen solche Mannschaft immer einen ordentlichen Plan. Wir versuchen zum Beispiel ein Mittelfeld-Pressing zu praktizieren, um zu verhindern, dass gegnerische Spieler ihre Höchstgeschwindigkeit aufnehmen können. Was passieren kann: Du kassierst ein Tor durch einen Weitschuss oder einen Standard. Dann wird es schwierig.

Sie haben gegen keinen Gegner so häufig gespielt wie gegen den BVB (zehn Partien). Ein Sieg in Dortmund fehlt aber noch.

Ich werde mich nicht hinstellen und sagen, dass wir in Dortmund gewinnen. Wir wissen, was uns dort erwartet. Man kann dort richtig untergehen. Zuletzt haben wir aber jedes Mal richtig enge Spiele geliefert. Und ich habe als Spieler erlebt, dass man dort auch gewinnen kann.

Kann Favre mit dem BVB Meister werden?

Ich denke ja. Dortmund hat viele junge, offensive und schnelle Spieler geholt. Es funktioniert im Moment gut. Sieben Tore gegen Nürnberg, vier Tore gegen Stuttgart, jetzt wieder vier gegen Atlético Madrid, die haben ein Riesenselbstvertrauen.

Wie wichtig wäre es für die Bundesliga, wenn es nach sechs Jahren Bayern-Dominanz in dieser Saison ein offenes Titelrennen gäbe?

Ganz ehrlich: Wer Meister wird, interessiert mich nicht. Mein Job ist Hertha. Vielleicht sind auch wir irgendwann mal Meister (lacht). Aber jetzt ist für uns wichtig, dass wir den nächsten Schritt machen. Es sieht momentan gut aus. Aber wir müssen dranbleiben.

Sie haben mit Bayerns Trainer Niko Kovac zusammen bei Hertha gespielt. Wie nehmen Sie es wahr, dass er gerade heftig in der Kritik stand?

Ich bin ein Niko-Kovac-Fan. Ich habe ihm zu Beginn seiner Bayern-Zeit auch eine SMS geschickt: Er soll den Kovac-Weg gehen, ehrlich und gerade. Solche Leistungs-Löcher wie bei den Bayern zuletzt, die gibt es halt. Vor allem, wenn man im Sommer hart gearbeitet hat. Ich bin weit weg von München, aber Niko hat dort eine harte Vorbereitung durchgezogen – und am Ende der Saison wird sich das auch auszahlen. Ich drücke ihm jedenfalls die Daumen. Wir versuchen heute mit Hertha Dortmund zu ärgern, damit die Tabelle für Niko wieder besser aussieht. (lacht)

Haben Sie in Berlin denn den Eindruck, dass Ihre Arbeit richtig eingeordnet wird?

Ich habe ein Problem damit, wenn hier in der Stadt geschrieben wird, dass Hertha eine graue Maus sei und schlechten Fußball spielen würde. Wir haben drei für Hertha BSC erfolgreiche Jahre hinter uns. Wie kann erfolgreicher Fußball schlechter Fußball sein? Das verstehe ich nicht und das finde ich nicht gut, weil es Unruhe von außen reinbringt. Aber es freut mich, dass Hertha BSC aktuell sowohl auf dem Platz als auch daneben positiv wahrgenommen wird.

Mit wem kann sich Pal Dardai austauschen, um sich weiterzuentwickeln?

In letzter Zeit rede ich viel mit Zecke Neuendorf und mit meiner Frau. Ansonsten haben wir im Trainerteam einen ehrlichen Dialog, es gibt jeden Morgen eine Sitzung. Bei uns herrscht eine gute Atmosphäre. Wenn ich große Fragen habe, gehe ich zum Manager Michael Preetz. Und wenn ich Probleme habe? Mein Vater ist nicht mehr da, da habe ich keinen Ersatz. Ich rede viel mit meiner Frau. Die kommt auch aus dem Leistungssport, hat als Handballerin erste Liga gespielt.

Seit mehr als einem Jahr arbeiten Sie auch mit Ihrem Sohn Palko Dardai bei den Profis zusammen. Wie ist das im Alltag, wenn Vater und Sohn den gleichen Arbeitsplatz haben?

Bei uns ist das voll getrennt. Zu Hause reden wir kaum über Hertha. Ich war im Sommerurlaub mit Palko und Arne Maier in einem Haus, da haben wir nicht ein einziges Mal über deren Spielweise geredet. Aber wenn wir trainieren, dann trainieren wir. Für mich ist diese Situation normal. Auch mein Vater war mein Trainer - besonders war das immer nur für die anderen. Was mich bei den Medien in Deutschland stört: Bei Palko Dardai wird immer der Zusatz „Trainer-Sohn“ genannt. Genauso wie bei Jonathan Klinsmann, Pascal Köpke oder Maurice Covic. Dieser Stempel ist nicht fair. Beurteilt sie alle als Spieler, nicht als Trainer-Sohn oder Sohn von ...! Das ist nur Druck für die Jungs. Im Training bekommt Palko kein Plus von mir, im Gegenteil. Er muss mehr arbeiten, um zu seinen Einsätzen zu kommen.

Für den Vater ist es normal, aber für den Sohn ist es schwerer?

Ich kenne es nicht anders, für Palko ist es sicher schwieriger. Für sein Leben ist es eine harte Schule, aber ich glaube, es wird gut sein für ihn.

U21-Nationaltrainer Stefan Kuntz hat kürzlich gesagt, dass Davie Selke das Potenzial hat, um das Stoßstürmer-Problem der Nationalmannschaft zu lösen.

Das sehe ich genauso. Das weiß Davie auch. Aber es gibt als Spieler Momente, die man respektieren muss. Davie muss fleißig bleiben und auf seine Chance lauern. Weil Vedad Ibisevic es sehr gut macht. Vedad erlebt seinen gefühlt x-ten Frühling. Ja, Davie hat das Potenzial für die Nationalmannschaft. Aber jetzt hat er eine Situation, die er erst einmal akzeptieren muss.

Was haben Sie mit Ondrej Duda gemacht, dass er plötzlich trifft?

Das war ich nicht allein. Wir, Michael Preetz und ich, haben Ondrej und sein Management eingeladen. Ich glaube, die haben befürchtet, dass er gehen muss. Aber das Gegenteil war der Fall. Wir haben gefragt, wo wir Ondrej noch mehr helfen können. Ich habe seine Qualitäten bei der slowakischen Nationalelf gesehen. Ondrej hat das Vertrauen in der Vorbereitung gespürt. Er wurde nicht einmal ausgewechselt, damit er fit wird. Und er hat in fast jedem Spiel getroffen.

Ist es eine Mischung aus Fitness und Zuspruch?

Fußball spielen kann Ondrej. Aber wenn du in der Bundesliga nicht fit bist, rasieren die Gegenspieler dich ab. Ondrej hat es auf die harte Tour erlebt: Er hat zum Beispiel gegen Dortmund ein Topspiel gemacht. Dann eine falsche Finte in der falschen Zone, zack war der Ball weg, Dortmund schießt das 1:1 - so etwas geht in der Bundesliga nicht. Ondrej hat seither einen guten Schritt gemacht. Das freut mich. Das nächste ist jetzt, dieses Niveau zu behalten.

Mit Vladimir Darida und Peter Pekarik kehren zwei verdiente Spieler zurück. Allerdings hat sich bei Hertha eine neue Hierarchie gebildet. Was heißt das für Darida und Pekarik?

Beide sind Musterprofis. Beide sind wichtig für Hertha, in der Kabine und nach außen. Sie sind bei den Fans angesehen. Aber die Mannschaft hat momentan Erfolg. Vladi und Peka müssen warten, genauso übrigens wie Pascal Köpke. Wie der trainiert, wie er spielt und sich bewegt – top. Aber: Mit Ibisevic und Selke habe ich schon zwei Mittelstürmer im Kader, da muss er warten.

Der „Kicker“ hat neulich getitelt: „Berlin kommt“, Hertha spielt im oberen Drittel mit, Union ist im Aufstiegsrennen. Ist Fußball-Berlin im Kommen?

Ich fände es gut, wenn Union aufsteigt und wir in der Bundesliga oben mitspielen könnten. Es gibt doch nichts Schöneres, als wenn wir nächste Saison zwei Derbys hätten. Das wäre für die Bundesliga gut und für Berlin top.

Manager Michael Preetz hat gesagt: Ein Titel würde der Entwicklung von Hertha gut tun. Welcher ist in Zukunft realistisch?

Man soll im Leben nie nie sagen. Aber realistischer wäre der Sieg im DFB-Pokal, dafür braucht es sechs Siege. Doch seit wie vielen Jahren versuchen wir das schon? Meister zu werden, das wäre ein Wunder.

Wird Hertha das Pokalfinale im Olympiastadion noch mit Pal Dardai erreichen? Am Dienstag geht es gegen Darmstadt in Runde zwei.

Als Trainer hat man Planungssicherheit für die nächsten sechs Wochen. Was im Mai 2019 ist, wenn das Pokalfinale gespielt wird – ich weiß es nicht. Wenn Hertha aber das Pokalfinale erreicht, egal ob ich Trainer bin oder nicht, dann werde ich die Daumen drücken, weil ich ein Herthaner bin.