Berlin/Liverpool. Jürgen Klopp und Thomas Tuchel werden sich nahe sein wie nie. Wenn beide Trainer am Dienstag zum Start in die Champions-League-Saison mit ihren Klubs aufeinandertreffen, dem FC Liverpool und Paris St. Germain (21 Uhr/DAZN), müssen sie sich eine Coachingzone teilen. An der Anfield Road in Liverpool gibt es nur eine einzige markierte Fläche, in der Heim- und Gasttrainer herumtigern und ihre Teams orchestrieren. Üblich ist es, dass jeder seinen eigenen Tanzbereich besitzt. In Liverpool nicht. Aber das wird Tuchel aushalten, musste sich der 45-Jährige doch lange eine Karriere mit Klopp teilen.
Tuchel und Klopp sind die aktuell besten deutschen Vereinstrainer. Wenn gerade viel vom Niedergang des deutschen Fußballs gesprochen wird, dann gehört ihr Abwandern ins Ausland zu dieser Geschichte. Die Bundesliga hat mit beiden enorme Qualität verloren. Dass nun die Premiumpartie des ersten Spieltags der Königsklasse auch ein Duell der deutschen Trainer ist, belegt diesen Sachverhalt. Aber es ist auch ein Aufeinandertreffen zweier Großklubs mit großen Ambitionen – und großem Druck.
Kein Team in England gab mehr Geld aus als Liverpool
Klopp und Liverpool schafften es mit einem teilweise begeisternden Konterfußball im vergangenen Jahr ins Endspiel der Champions League, wo die „Reds“ dem europäischen Herrscher Real Madrid unterlagen (1:3). Nun wird von Klopp noch mehr erwartet. „Also wirklich!“, entgegnete der 51-Jährige, als er vor dem Spiel gegen Paris darauf angesprochen wurde. „Ich sehe keinen Druck oder sowas.“ Doch die Hoffnung, den ersten Champions-League-Titel seit dem Coup von 2005 für Liverpool zu gewinnen, ist da. Auch, weil in England, wo die schwerreichen Klubs beheimatet sind, kein Verein mehr Geld in dieser Sommertransferperiode ausgegeben hat als Liverpool.
Für 182 Millionen Euro durfte Klopp einkaufen – darunter den Leipziger Naby Keita (60 Millionen Euro), den Ex-Münchner Xherdan Shaqiri (15 Millionen) und den Brasilianer Fabinho (45 Millionen). Weil Klopp auch wegen einer katastrophalen Torhüterleistung vom deutschen Keeper Loris Karius das Endspiel gegen Real Madrid verlor, leistete er sich mit dem Brasilianer Alisson den zweitteuersten Schlussmann der Geschichte (72,5 Millionen).
Die Investitionen in Beine haben sich gelohnt. Liverpool steht mit fünf Siegen aus den ersten fünf Partien in der Premier League auf Platz zwei. Nie in den letzten 28 Jahren sind die „Reds“ besser in eine Saison gestartet.
Paris-Chef feiert Tuchel: „Der beste Trainer der Welt“
Bei fünf Siegen nach fünf Spielen stehen auch Tuchel und Paris in der französischen Lique 1. Mit einem erneuten Erfolg am Wochenende in Rennes würde der Deutsche einen Startrekord einstellen. Weil Tuchel nach seinem Wechsel im Sommer derart gut angekommen ist (nicht zuletzt auch, weil er die Öffentlichkeit mit seinem fließenden Französisch beeindruckt), sah sich PSG-Präsident Nasser Al Khelaifi zu etwas Überschwang veranlasst: „Wir haben den besten Trainer der Welt“, tönte der Katarer. Liverpool? „Paris hat die Spieler und den Trainer, um dort etwas zu erreichen“, sagte Al Khelaifi.
Dass er Tuchel zum aus seinem Emirat schwer begünstigten PSG lotste, war ein Risiko. Der ehemalige Dortmund-Coach hat international noch kaum große Spuren hinterlassen. Aber weil PSG auch mit dem Serien-Europa-League-Sieger Unai Emery zuletzt zweimal im Achtelfinale der Champions League gescheitert war, setzte Al Khelaifi auf den Querdenker. Mit Tuchel soll es für Paris endlich an die europäische Spitze gehen. Eigentlich muss Tuchel den Titel mit seinem Starensemble um die Zirkusnummern Kylian Mbappé und Neymar gewinnen. Weil er das weiß, tritt er schon einmal vor dem Start auf die Bremse: „Um die Champions League zu gewinnen, ist es meiner Meinung nach wichtig, eine Kultur zu haben, die die Spieler größer macht“, sagte Tuchel der „L’Equipe“. Real Madrid habe so eine, PSG noch nicht.
Ein Marktwert von 876 Mio. Euro trifft auf 816 Mio. Euro
Doch Paris hat den Vorteil, national derart groß zu sein, dass die Topspieler in der Liga geschont werden können. Beim 4:0 gegen St. Etienne am Freitag saßen Mbappé und Neymar draußen. Das ist auch Klopp aufgefallen. Sein Team hingegen muss in der Liga stets in voller Kapelle ran, um den Traum vom ersten Meistertitel seit 1990 nicht schon früh platzen zu lassen. Wenn Liverpool nun Paris empfängt, wird bei beiden aber das volle Kapital auf dem Rasen stehen: Ein geschätzter Marktwert von 876 Millionen Euro (Liverpool) trifft auf einen um 816 Millionen (Paris).
Für Tuchel geht es am Dienstag zudem darum, sich in Paris sowie in Europa einen Namen als Trainer zu machen – und sich damit auch endgültig von Klopp-Vergleichen zu emanzipieren. Seine Karriere war lange mit der des sechs Jahre Älteren verknüpft. Tuchel folgte Klopp (beides Schwaben übrigens) in Mainz, wo dieser zwischen 2001 und 2008 zur Kultfigur aufstieg. Nach einem Zwischenjahr mit Trainer Jörn Andersen schaffte es der FSV unter dem beförderten Jugendtrainer Tuchel 2010/11 zum damaligen Bundesligastartrekord (sieben Siege). Klopp war nach Dortmund gewechselt. Und als der 51-Jährige dort nach sieben Jahren zurücktrat, hieß sein Nachfolger 2015: Thomas Tuchel. Klopp wurde wenig später als neuer Coach in Liverpool vorgestellt, und Tuchel sagte scherzhaft: „Dann weiß ich ja, wo ich demnächst arbeite.“
Doch die Vergleiche haben Tuchel stets genervt. Klopps Nachfolger zu sein, das sei, wie wenn man Nachfolger von Thomas Gottschalk bei „Wetten das...?“ werde. Da kann man nicht glänzen.
Die Chancen zur Emanzipation konnte Tuchel bisher meist nicht nutzen: Bei acht Niederlagen in zwölf Begegnungen gelang es ihm nur einmal, Klopp zu schlagen - in seiner Premieren-Saison in Mainz gegen Klopps BVB. Eine besonders empfindliche Niederlage musste er zudem gegen Klopp einstecken: Im Viertelfinale der Europa League 2016 schied er mit Dortmund in Liverpool trotz einer 3:1-Führung noch durch ein 3:4 aus. Das soll diesmal alles anders werden. Wenn beide wieder gemeinsam an der Anfield Road durch die Coachingzone tigern.