Berlin. In einem Hangar des stillgelegten Flughafens Tempelhof werden die Probleme der Gesellschaft gelöst. Zumindest wird es hier versucht. Wo früher Flieger parkten, steht jetzt ein Fußballplatz – als hätte ihn irgendwo jemand ausgeschnitten und im Hangar eingepflanzt. Zwei Tore, ein Steinboden, darauf Kinder, die gegeneinander spielen. Und vielleicht braucht es gar nicht viel mehr, um die Welt ein bisschen zu retten.
Mohammed Zidan steht mit einer Trillerpfeife im Mund am Spielfeld. Ihn hat der Fußball, hat das alles hier gerettet. Vor drei Jahren floh der 22-Jährige mit seiner Familie vor dem syrischen Bürgerkrieg. Er wurde ausgeschnitten aus seinem Leben und in Berlin wieder eingepflanzt. Mit seiner Mutter, zwei Schwestern und einem Bruder wohnte er in einem Flüchtlingsheim. Hartes Pflaster. Viel Trauma, wenig Wege ins normale Leben. Dass Zidan heute Schiedsrichter beim Spiel der Kinder ist und ihnen im astreinen Deutsch erklärt, warum das gerade ein Foul war, hat viel mit dem Berliner Straßenfußball-Projekt „buntkicktgut“ zu tun. „Die Leute von buntkicktgut haben mir geholfen, meinen Platz und neue Freunde zu finden“, sagt Zidan. „Sie sind meine zweite Familie.“
Bis zu 50 Prozent der Kicker haben einen Fluchthintergrund
Konrad Locher lächelt warm, als er das hört. Der 29-Jährige ist Koordinator des Berliner Ablegers von „buntkicktgut“ und hat das Fußballturnier im Hangar organisiert. Ursprünglich wurde das Projekt 1997 im Rahmen der Flüchtlingsarbeit in München gegründet. Der Jugoslawienkrieg trieb damals viele Menschen nach Deutschland. Mit einer regelmäßigen, interkulturellen Bolzplatzliga wollten die Erfinder helfen: Es ging um Spaß in einem tristen Alltag, um Teilhabe und die Vermittlung von Werten wie Fair Play. 21 Jahre später gibt es „buntkicktgut“ unter anderem auch in Düsseldorf, Dortmund, Hamburg und Basel.
2013 wurde in Neukölln der Standort Berlin eröffnet. Alle zwei Wochen finden Kleinfeldturniere für Kinder und junge Erwachsene statt. In vier Altersgruppen – U13, U15, Ü17 und der Ladiesliga – treten Teams aus der Nachbarschaft und Kreuzberg gegeneinander an. 800 bis 1000 Spieler sind es insgesamt. Hier im Hangar tragen sie Messi- oder Müller-Trikots und bunte Fußballschuhe, wie normale Jugendliche überall auf der Welt. Aber normal ist vieles für sie nicht. Locher sagt, bei den Kindern hätten 30 Prozent eine Fluchtgeschichte, bei den Älteren sogar 50 Prozent. Fast jeder Teilnehmer habe einen Migrationshintergrund. „In der Gegend hier gibt es ein hohes Maß an Kriminalität“, so Locher. „Wir haben Kinder, die an der Schwelle dazu stehen. Sie wollen wir vor dem Absturz bewahren.“
Weil das eine wichtige Arbeit ist, hat der Deutsche Fußball-Bund (DFB) das Berliner Sozialprojekt für den Integrationspreis nominiert. Verliehen wird er an diesem Montag am Pariser Platz durch den DFB-Präsidenten Reinhard Grindel, Nationalelf-Manager Oliver Bierhoff sowie den DFB-Integrationsbeauftragten Cacau und dem ehemaligen Nationalelfkapitän Philipp Lahm. Mohammed Zidan ist für Locher eine Belohnung. „Er hat sich toll entwickelt“, sagt der Sozialarbeiter. Als Zidan in Berlin ankam, sprach er kein Deutsch. In Syriens Hauptstadt Damaskus hatte er zwar Abitur gemacht und zu studieren begonnen, aber das half ihm hier erst einmal nicht. Dann kam „buntkicktgut“ in seine Flüchtlingsunterkunft und lud ihn zum Fußball ein. Zidan gewann gleich das erste Turnier. Seitdem ist er dabei geblieben – und wuchs von einem schüchternen Jungen zu einem Macher.
Die Initiative ist allein von Spenden abhängig
Genau das ist das Ziel von „buntkicktgut“. Hier geht es nicht allein um Fußball. Das Spiel ist der Weg hin zu Anerkennung, wo benachteiligte Jugendlichen oft Ablehnung erfahren. Verantwortung soll übernommen werden – für sich und andere. Wer möchte, kann bei „buntkicktgut“ nicht nur mitspielen, sondern auch mitentscheiden. Zidan ließ sich zum „Street Football Worker“ ausbilden. Bei den Turnieren ist er Schiedsrichter. Alle „Street Football Worker“ bilden den Ligarat, in dem Regeln diskutiert und Probleme gelöst werden. Es kann schon vorkommen, dass Spieler ausgeschlossen werden wegen Schlägereien oder Diebstählen. Es bleibt ein hartes Pflaster. Irgendwann wurde die Fair-Play-Tabelle eingeführt. Wer dort gewinnt, bekommt den größten Preis. Auch für die kulturell vielfältigste Mannschaft gibt es eine Auszeichnung. „Die Kinder lernen bei uns Dinge, die sie fürs Leben mitnehmen“, sagt Julian Buning, der Geschäftsführer der buntkicktgut GmbH. Buning sitzt in München und berichtet, dass der Berliner Standort der einzige sei, der keine öffentlichen Gelder bekommt: „Während wir in München jährlich 270.000 Euro von der Stadt erhalten, sind wir in Berlin von Spenden abhängig.“
Für Mohammed Zidan und die anderen Hartplatzhelden ist das Projekt ein Ort des Ankommens – in der neuen Heimat und bei sich. „Mein größter Traum ist es, Fußballtrainer zu werden“, sagt Zidan. Im Rahmen der Initiative ist er das schon jetzt. Dreimal pro Woche trainiert er Kinder an Schulen, darunter eine Willkommensklasse in Kreuzberg. Da er selbst ein Flüchtling sei, würden ihn Kinder und Eltern schneller akzeptieren, erzählt Zidan. So wird er auch zu einem Vorbild für sie, wie es in Deutschland gelingen kann. Zidan will ab Herbst Soziale Arbeit studieren. Nebenbei betreut er Behinderte. „Ich habe mich hier integriert. Und dabei hat mir buntkicktgut sehr geholfen“, sagt er. Neben dem Fußball unterstützten Locher und seine Kollegen beim Jobcenter und bei der Wohnungssuche.
Wäre noch der Name. Zidan und Fußball, da klingelt etwas. Der französische Weltstar und heutige Real-Madrid-Coach Zinédine Zidane ist das Vorbild des Syrers. „Er war der beste Spieler, jetzt kann er der beste Trainer werden“, sagt Mohammed Zidan und grinst. Er sieht dabei aus wie ein ganz normaler Junge.