Berlin. Eisschnelllauf-Bundestrainer und Sportdirektor verlassen fluchtartig den Verband. Perspektiven gibt es keine, DESG versinkt im Chaos.

Hinter den Kulissen manifestierte sich kein Gefühl der Überraschung. Zumindest nicht bezüglich der getroffenen Entscheidungen. Nur die Umstände mochten dem einen oder anderen nicht gefallen. „Ich war entsetzt, dass van Veen seinen Rücktritt zuerst den Medien mitteilte“, sagt Hubert Graf, der Vizepräsident der Deutschen Eisschnelllauf-Gemeinschaft (DESG). Dabei passte das Vorgehen ganz gut in die Zeit. Die Chemie im Verband stimmt seit Langem nicht.

Nun kulminierte die Situation. In Minsk, beim letzten Weltcup der Saison, sagte zunächst Bundestrainer Jan van Veen, dass er seinen Vertrag nicht verlängert. Kurz darauf folgte die Mitteilung, dass auch Sportdirektor Robert Bartko ab Ende des Monats andere Wege geht. Auf eigenen Wunsch. Eigentlich hatte es mit van Veen noch ein Gespräch geben sollen, doch der hatte keinen Bedarf. Seine Zukunft bei der DESG stand ohnehin in Frage.

Vom Medaillenlieferanten zum Sorgenkind

Die beiden Hauptverantwortlichen für die Leistungen der deutschen Eisschnellläufer haben sich nun aus dem Staub gemacht. Fluchtartig verließen sie den Verband, der Berliner Bartko soll sogar schon über ein anderweitiges Folgeengagement verfügen. Vor drei Wochen saßen beide noch in Pyeongchang bei den Olympischen Spielen zusammen und erklärten, dass nur mit langfristigen Konzepten der Erfolg zurückkehren werde. Einst war die DESG stabilster Medaillenlieferant der Wintersportarten, bei den jüngsten Spielen 2014 und 2018 blieb man jedoch jeweils ohne Medaille.

Der Niedergang des deutschen Eisschnelllaufs vollzog sich in den vergangenen Jahren sehr konstant, nun stürzt der Verband vollends ins Chaos. „Ich habe große Zweifel, ob die notwendige Umstrukturierung, die meiner Meinung nach durchgeführt werden muss, durch alle am Prozess beteiligten Personen mitgetragen werden würde“, sagte der Niederländer van Veen zum Abschied – und untermauerte die Alternativlosigkeit seines Entschlusses wie folgt: „Zwei Jahre habe ich mit viel Spaß und voller Energie für die DESG gearbeitet. Ich sehe aber langfristig keine Möglichkeiten, die DESG wieder an die Weltspitze zu führen.“

Kein Nachwuchs, keine Zukunft

Von Erwartungen bezüglich der Spiele 2022 und 2026 hatten van Veen und Bartko schon in Südkorea Abstand genommen. Zu klein ist dies Basis an Athleten, qualitativ zu schwach sind die Trainingsumfelder. Außer den drei außerhalb des Verbandssystems arbeitenden Top-Athleten Patrick Beckert (Erfurt), Nico Ihle (Chemnitz) und Claudia Pechstein (Berlin) gibt es keine konkurrenzfähigen Sportler. Der Nachwuchs liegt brach, Talente scheitern reihenweise an den Normen und hinken der Weltspitze weit hinterher.

In so einer Situation ist es bezeichnend, dass der Vizepräsident des Verbandes sich zu Wort meldet. Präsidentin Stefanie Teeuwen scheint mit der tiefgreifende Krise überfordert. „Wir werden jetzt nicht in Schockstarre verfallen und unsere Fühler in alle Richtungen ausstrecken“, kündigt Hubert Graf an. Neues Führungspersonal wird dringend gebraucht, denn der Verband muss bis 22. Mai im Rahmen der Leistungssportreform 151 Fragen zum Potenzialanalyse-System Potas beantworten, um überhaupt noch vage Aussichten auf eine stabile finanzielle Förderung vom Bund zu haben.

Finanzprobleme werden immer größer

Doch große Angebote kann der Verband nicht unterbreiten. Die Finanzlage ist schwierig. Auf der Geschäftsstelle gab es Unregelmäßigkeiten, Nachzahlungen unter anderem an Krankenkassen stehen im Raum. Überdies zieht sich der Hauptsponsor zur Jahresmitte zurück – und die ohnehin gesunkene Förderung wird durch die Erfolglosigkeit in Zukunft noch geringer werden. Die DESG liefert ein trauriges Bild ab in diesen Tagen. Sie taumelt elf Monate vor der Einzelstrecken-WM in Inzell der Bedeutungslosigkeit entgegen.

Untergangsszenarien mögen die Verantwortlichen ungern hören, doch die seit Monaten ungelöste Bundestrainerfrage in der Shorttrack-Abteilung spricht ebenfalls Bände. „Auch wenn die Finanzlage prekär ist, ein qualifizierter Trainer muss her. Aber wir werden keinen Schnellschuss machen“, sagt Graf bezüglich der Eisschnellläufer. Viele von ihnen trugen in Südkorea bei Olympia eine schlechte Stimmung mit sich herum, auch die Shorttracker beklagten die miese Atmosphäre im Team unter der Leitung von Sportdirektor Bartko.

Nur der DOSB kann noch helfen

Der hatte den Posten Ende 2014 als Folge der Ergebnisse von Sotschi übernommen und vor zwei Jahren van Veen einstellt. Beide waren bereits Krisenmanager, sind dabei aber kaum vorangekommen. Ein Grund war das Miteinander, das im Verband auf mehreren Ebenen nicht stimmte. „Egal, wer künftig Verantwortung übernimmt, er sollte mehr mit uns Sportlern reden. In der Vergangenheit sind zu viele Entscheidungen über unsere Köpfe hinweg gefällt worden“, sagt Patrick Beckert.

In Südkorea fühlte sich van Veen trotz allem noch bereit, bei der DESG zu bleiben. „Ich glaube nicht, dass ich ein totes Pferd gezogen habe“, behauptete er da. Damit der Gaul nun nicht tatsächlich krepiert, muss der Deutsche Olympische Sportbund als Dachverband viel Hilfestellung bieten. Präsident Alfons Hörmann sagt: „Wir sind in engem Kontakt und stehen jederzeit unterstützend zur Seite.“ Für die DESG ist das der letzte Hoffnungsschimmer.