Was lange währt, wird gut, hofft Boxweltmeister Wladimir Klitschko (35). Nachdem seine für den 10. Dezember vorigen Jahres geplante Titelverteidigung gegen den Franzosen Jean-Marc Mormeck (39) wegen einer Nierenerkrankung ausfallen musste, möchte der Ukrainer am Samstag (RTL, 22.45 Uhr) in der Düsseldorf Fußballarena Versäumtes nachholen.
Der Champion der Weltverbände WBA, WBO und IBF strebt gegen den Ex-Weltmeister im Cruisergewicht im 60. Profikampf seinen 50 K.o. an.
Morgenpost Online: Herr Klitschko, wie geht es Ihrem Glaskinn?
Wladimir Klitschko: Warum erkundigen Sie sich danach?
Morgenpost Online: Weil Mormeck darauf angespielt hat.
Klitschko: Ja, ich habe ein Glaskinn, ich stehe dazu. Aber wissen Sie was: Ich bin nicht der einzige, der eins hat. Was heißt Glaskinn? Es gab schon viele Boxer, die dachten, sie können jeden Schlag wegstecken, doch dann wurden sie ausgeknockt, von Schlägen, die sie niemals erwartet haben. Diese Erfahrung habe ich im ersten Kampf gegen Samuel Peter gemacht…
Morgenpost Online: … im September 2005 in Atlantic City. Doch trotz dreier Niederschläge haben Sie nach Punkten gewonnen.
Klitschko: Richtig. Ich denke schon, dass ich einen richtig harten Schlag habe. Doch der Junge nahm alles, was ich ihm an den Kopf gehauen habe. Als er danach gegen Jameel McCline kämpfte, war er dann dreimal am Boden, durch Schläge, die nicht wehtun konnten. Wenn einer richtig getroffen wird, geht er auch zu Boden, dann wird aus dem angeblichen Stahlkinn ein Glaskinn.
Morgenpost Online: Ist Mormeck wirklich ein ernsthafter Herausforderer? Er ist 17 cm kleiner als Sie, knapp 15 kg leichter und hat eine 18 cm kürzere Reichweite.
Klitschko: Glauben Sie mir, es ist wahnsinnig schwer, gegen einen Boxer zu kämpfen, der kleiner und leichter ist. Du musst dich runterbeugen und darfst nicht die Balance verlieren, sonst macht der Gegner dich durch seine Schnelligkeit zum Clown. Kleinere Boxer besitzen auch mehr Kondition. Die Größeren sind leichter zu treffen, weil sie langsamer, behäbiger sind. Für Mormeck ist es die Chance seines Lebens, mit einem Sieg würde er die Boxwelt erschüttern.
Morgenpost Online: Nach Ihrer Sieg über den Briten David Haye sagten Sie, dass es für einen Cruisergewichtler nicht möglich sei, im Schwergewicht so aufzutreten, wie Sie und Ihr Bruder Vitali es seit Beginn Ihrer Profikarrieren tun. Aber nun boxen Sie wieder gegen einen früheren Cruisergewichtler…
Klitschko: …der behauptet, dass er Weltmeister im Schwergewicht werden kann.
Morgenpost Online: Genau!
Klitschko: Sein Glauben ist für mich die Herausforderung. Es gab ja schon einige Cruisergewichtler, die Weltmeister im Schwergewicht wurden, beispielsweise Evander Holyfield, Michael Moorer, Michael Spinks und auch David Haye.
Morgenpost Online: Reden Sie Mormeck stark?
Klitschko: Absolut nicht. Wenn ich das so sage, meine ich das auch ernst. Der Boxsport kennt unzählige Geschichten, wo ein Favorit vom Underdog besiegt worden ist, weil er den Rivalen unterschätzt hat. Ich habe die schmerzhafte Erfahrung ja auch schon gemacht. Jean-Marc hat oft bei meinen Kämpfen als Fernsehkommentator am Ring gesessen. Er weiß genau, wie er mich schlagen kann.
Morgenpost Online: Fällt es Ihnen nach dem Megakampf gegen Haye nicht schwer, sich auf einen Gegner wie Mormeck einzustellen, den viele für einen Mann aus der Kategorie „Fallobst“ halten?
Klitschko: Ich blende das aus. Ich konzentriere mich auf das Wesentliche. Wir erwarten ein volles Stadion, die Menschen wollen von mir eine Topleistung sehen. Das verpflichtet. Es wäre der größte Fehler, wenn ich mich nach dem Hype gegen Haye entspannt zurücklehnen und mir sagen würde: „Wer ist dieser Mormeck? Den Kampf gewinne ich doch locker.“ Bei solchen Gedanken gehen bei mir die Alarmglocken an. Ich möchte nicht noch einmal durch die Hölle gehen, so wie 2003 und 2004, als ich gegen Corrie Sanders und Lamon Brewster verlor. Ich liebe die Rolle des Schwergewichts-Weltmeisters – und will sie auch noch ein paar Jahre spielen.
Morgenpost Online: Am Samstag boxen Sie zum ersten Mal nach dem Tod Ihres Vaters. Wie schwierig ist das?
Klitschko: Leiblich wird er mir natürlich fehlen, doch mit seiner Psyche wird er bei mir sein. Er gibt mir Kraft. Die Menschen, die du liebst, trägst du zeitlebens im Herzen Wenn die sogenannte andere Ebene existiert, bekommt er auch alles mit. Er ist in Frieden in eine andere Welt gegangen, das beruhigt.
Morgenpost Online: Glauben Sie an ein Leben nach dem Tod.
Klitschko: Das ist ein ganz schwieriges Thema. Eigentlich glaube ich nicht daran. Aber irgendetwas wird es geben. Wir werden es erfahren – irgendwann.
Morgenpost Online: Sind Sie Atheist?
Klitschko: Nein. Ich glaube an eine Superkraft, die Gott genannt wird.
Morgenpost Online: Ihr Bruder hält als Weltmeister des World Boxing Council (WBC) den vierten anerkannten Titel. Haben Sie schon mit Ihm darüber gesprochen, dass er ihn niederlegen soll, damit Sie ihn sich erkämpfen können. Noch nie besaß ein Schwergewichtler die vier Titel gleichzeitig.
Klitschko: Ich habe viel zu viel Respekt vor meinem Bruder, um ihm das zu sagen. Meine Lebenserfahrung sagt mir: Wladimir, bleib entspannt! Es kommt, wie es kommt. Ich möchte meinen Bruder nicht beeinflussen. Jeder entscheidet selbst, wie lange er boxt. Vielleicht kämpft ja auch Vitali um meine Titel, wer weiß das schon.
Morgenpost Online: Gegen wen Sie oder Ihr Bruder auch immer boxen, die Hallen und Stadion sind ausverkauf t.
Klitschko: Es ist wirklich Wahnsinn, absolut irre, wie viele Menschen zu unseren Kämpfen kommen. Der Boxsport ist unheimlich angesagt. Dadurch wird es vielleicht auch möglich sein, ein Stadion mit einem Musical wie „Rocky“ zu füllen.
Morgenpost Online: Im November soll in Hamburg die Uraufführung stattfinden.
Klitschko: Worüber wir begeistert sind. Vitali und ich haben schon immer ein Faible für Kunst. Das Boxen ist für mich auch eine Kunstform. Nicht die Muskelkraft entscheidet über den Sieg, sondern die Psyche, die Stärke des Geistes. Ohne Improvisationsvermögen und Kreativität kannst du nicht bestehen. Wir sind glücklich darüber, dass „Rocky“ jetzt als Musical weiterlebt. Die Story aus Blut, Schweiß und Liebe ist faszinierend – sie versinnbildlicht unser Leben. Dazu noch diese tolle Musik. Die Geschichte ist perfekt für ein Musical geeignet.
Morgenpost Online: Mit Ihrer Klitschko Management Group fungieren Sie und Ihr Bruder ebenso wie „Rocky“-Erfinder und -Darsteller Sylvester Stallone als Co-Produzent. Was ist Ihre Aufgabe?
Klitschko: Wir stehen für die Glaubwürdigkeit der Geschichte und betreuen die Boxszenen, schulen die Darsteller. An dem Projekt arbeiten wir schon über zwei Jahre. Selbst mitspielen werden wir nicht. Für Vitali war „Rocky“ ein Grund, mit dem Boxen zu beginnen. Ich war gerade erst geboren, als der erste Film 1976 in die Kinos kam. Natürlich habe ich mir alle Teile angesehen – und nicht nur einmal.
Morgenpost Online: Wie viel „Rocky“ steckt in Ihnen?
Klitschko: Ziemlich viel. Ich denke, in jedem von uns steckt etwas von „Rocky“. Das unmöglich Erscheinende möglich zu machen, davon ist unser Leben geprägt. „Rocky“ verkörpert den amerikanischen Lebenstraum, wer möchte den nicht leben? Wenn ich die Musik von „Rocky“ höre, bekomme ich eine Gänsehaut, möchte unbedingt was tun. Ich habe sie auch auf meinem IPod und trainiere damit. Mich motiviert sie unheimlich.
Morgenpost Online: Wie war das erste Treffen mit Stallone? Sie übernahmen ja die Vermittlerrolle zwischen der deutschen Produktionsfirma Stage Entertainment, die die Idee zu dem Projekt hatte, und dem Hollywood-Star.
Klitschko: Einfach super. Wir trafen uns in seinem Büro in Los Angeles, wo an einer Wand ein großer Bilderrahmen mit seinen handgeschriebenen Filmscripts für „Rocky“ hängt. Er war Feuer und Flamme, als er von dem Projekt erfuhr und sagte: „Rocky Balboa darf nicht sterben, er soll weiterleben.“ Er hatte selbst schon an dieser Idee gearbeitet, den Glauben aber fast aufgegeben, dass es mit der Umsetzung noch etwas wird. Umso glücklicher ist er jetzt.