Wer wissen möchte, was Schüler heute wirklich bewegt, der muss ihre Zeitungen lesen. Der Umgang mit Flüchtlingen, Homosexualität, Schönheitsideale oder Vorstellungen von der Zukunft – das sind die großen Themen, über die Kinder und Jugendliche in ihren Blättern schreiben.
Die besten von ihnen wurden am Mittwoch im Roten Rathaus beim 14. Schülerzeitungswettbewerb ausgezeichnet. Aufgerufen zu dem Wettbewerb hatten die Senatsverwaltung für Bildung, die Berliner Morgenpost und die Junge Presse Berlin – 63 Redaktionen haben ihre beste Ausgabe aus dem Jahr 2016 eingereicht. Eine beachtliche Zahl, wenn man bedenkt, dass das Lesen gedruckter Zeitungen nicht bei allen Jugendlichen verbreitet ist. An den Schulen sieht das offenbar anders aus.
Etwa 300 Nachwuchsreporter kamen zur Preisverleihung – nicht nur, um die Gewinne abzuräumen, sondern auch, um anschließend miteinander ins Gespräch zu kommen und um sich in den Zeitungen der anderen Schulen Anregungen zu holen. Professionell moderiert wurde die Veranstaltung von Andrin (12) und Lona (11) vom Schülerportal Boardcast.
Kritisch fragten die Kinder aus dem Medienprojekt gleich zu Beginn die Partner des Wettbewerbs, welche Bedeutung Schülerzeitungen angesichts von Facebook und Instagram heute überhaupt noch haben können. „Anders als in den sozialen Netzwerken finden sich in den Redaktionen Teams zusammen, die gemeinsam diskutieren, welche Themen in der Schule wichtig sind oder wo die Probleme liegen“, sagte dazu Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD). In einer der prämierten Zeitungen habe sie sogar einen Beitrag zum Thema Willkommensklassen entdeckt, den sie gern in ihrer eigenen Schulverwaltung diskutieren würde.
Willkommensklasse als Auslöser für Zeitungsgründung
Und Johann Stephanowitz von der Jungen Presse Berlin hakte ein: „Wir brauchen die Schülerzeitung. Sie ist noch immer das wichtigste Medium an der Schule.“ Gerade in Zeiten, in denen Fake News eine große Rolle spielten, sei es wichtig, dass Schüler sich journalistisch ausprobierten.
Für Carsten Erdmann, Chefredakteur der Berliner Morgenpost, ist die Unterstützung des Wettbewerbs auch „eine Art Nachwuchsförderung“. Die Schüler würden erfahren, welchen Wert selbst recherchierte Informationen haben, auch im Vergleich zur Filterblase der sozialen Netzwerke. „Viele unserer Kollegen haben selbst als Redakteure in einer Schülerzeitung angefangen“, sagte Erdmann.
Besonders erfreulich ist, dass im diesjährigen Wettbewerb neben den altbekannten Zeitungsnamen auch wieder Neugründungen dabei waren, noch dazu preiswürdige. Die „Jemandes Zeitung“ vom Bertha-von-Suttner-Gymnasium konnte gleich mehrmals ausgezeichnet werden. Neben dem Extrapreis als bester Newcomer bei den Oberschulen erhielt die Zeitung auch noch den Sonderpreis zum Thema Europa von der Senatsverwaltung für Kultur und Europa und den Sonderpreis zur interkulturellen Vielfalt, der in diesem Jahr vom Verein der Neuen deutschen Medienmacher zum ersten Mal vergeben wurde.
„Für uns war die Willkommensklasse für Flüchtlinge ein Auslöser, wieder eine Schülerzeitung zu gründen“, sagte Josephine (16) von der Redaktion der „Jemandes Zeitung“. Die Klasse mit Schülern aus Syrien oder Afghanistan hätte zuerst wie ein Fremdkörper in der Schule gewirkt. Da sei es ihnen wichtig gewesen, die Jugendlichen zu interviewen, ihre Geschichten in einer Zeitung für die Schule zu erzählen.
Erfolgreichste Neugründung an Grundschulen ist die Zeitung „Neues vom Theo“ von der Theodor-Storm-Grundschule in Neukölln. Die Zeitung überraschte zum Beispiel mit einer Umfrage unter Schülern zum interessantesten Unterrichtsfach. Entstanden ist das neue Zeitungsprojekt mit Mitteln aus dem Bonusprogramm für Schulen in schwierigen sozialen Gebieten.
Einen Extrapreis außer der Reihe gab es in diesem Jahr für „journalistischen Mut“. Die Zeitung „Hertzschlag“ vom Heinrich-Hertz-Gymnasium aus Friedrichshain habe Standhaftigkeit bewiesen, als die Schulleitung das Titelbild einer Ausgabe zum Thema Drogen unterbinden wollte, hieß es von der Jury. „Für uns ist es wichtig, deutlich zu machen, dass das Recht auf Pressefreiheit auch für Schülerzeitungen gilt und im Schulgesetz verankert ist“, sagte Johann Stephanowitz von der Jungen Presse Berlin. Der Verband für junge Medienmacher unterstützt Schülerzeitungsredaktionen nicht nur durch Workshops und Beratung, sondern bietet auch Mediationen mit der Schulleitung an, wenn es Probleme mit Zensur gibt.
Mit dem Thema Pressefreiheit für türkische Journalisten hat sich auch die Zeitung „OHnE“ vom Heinz-Berggruen-Gymnasium auseinandergesetzt, die in diesem Jahr den zweiten Platz in der Kategorie Gymnasien belegt hat. Vor zwei Jahren hatte die Zeitung sogar schon einmal einen Preis im Bundeswettbewerb der Schülerzeitungen gewonnen. „Der Erfolg bei den Wettbewerben hat uns einen großen Schub gegeben. 40 Schüler haben sich gemeldet, die gern in der Redaktion mitmachen wollen“, sagte Karla Kowollik (18) von der „OHnE“.
Der erste Platz in der Kategorie Gymnasien geht an diesem Jahr an die Schülerzeitung „Moron“ vom Carl-von-Ossietzky-Gymnasium in Pankow. Auch diese Zeitung hat in den vergangenen Jahren immer wieder im Wettbewerb überzeugt.
Insgesamt hat die Berliner Morgenpost für die elf Hauptpreise Preisgelder in Höhe von 2650 Euro zur Verfügung gestellt. Alle Erst- und Zweitplatzierten Preisträger haben sich automatisch für den Bundeswettbewerb der Schülerzeitungen qualifiziert.
Die Sieger
Hauptpreise: Sie werden in verschiedenen Schulkategorien vergeben, insgesamt belaufen sich die Preisgelder auf 2650 Euro. Die Berliner Morgenpost ist seit 14 Jahren Sponsor des Wettbewerbs.
Grundschule: 1. Preis: „Schlaufuchs“, Grundschule auf dem Tempelhofer Feld, Tempelhof-Schöneberg; 2. Preis: „Kiezwelt“, Humboldthain-Grundschule, Mitte; 3. Preis: „Liebigbox“, Justus-von- Liebig-Grundschule, Friedrichshain-Kreuzberg
Förderschulen: 1. Preis: „ARS-Schülerzeitung“, Adolf-Reichwein-Schule, Neukölln; 2. Preis: „Blattsalat“, Stephanus-Schule, Pankow
Integrierte Sekundarschulen: 1. Preis: „KW Zeitlupe“, Konrad-Wachsmann-Schule, Marzahn-Hellersdorf
Oberstufenzentren: 1. Preis: „mbs Newsreport“, Marcel-Breuer-Schule, Pankow; 2. Preis: „Anna-Freud-Culture“, Anna-Freud-Schule, Charlottenburg-Wilmersdorf
Gymnasien: 1. Preis: „Moron“, Carl-von-Ossietzky-Gymnasium, Pankow; 2. Preis: „OHnE“, Heinz-Berggruen- Gymnasium, Charlottenburg-Wilmersdorf; 3. Preis: „Mona“, Leonardo-da-Vinci-Gymnasium, Neukölln
Extrapreise: Newcomer Gymnasium: „Jemandes Zeitung“, Europäisches Gymnasium Bertha von Suttner, Reinickendorf; Newcomer Grundschule: „Neues vom Theo“, Theodor-Storm-Grundschule, Neukölln; Journalistischer Mut: „Hertzschlag“, Heinrich-Hertz-Gymnasium, Friedrichshain-Kreuzberg
Europapreis zum Thema „Europa ist hier“ des Europa-Referats der Senatsverwaltung für Kultur und Europa: „Jemandes Zeitung“, Europäisches Gymnasium Bertha von Suttner, Reinickendorf
Theaterpreis zum Thema „Theater im Blick“, vergeben vom JugendKulturService: „Shyft“, Walter-Rathenau-Gymnasium, Charlottenburg-Wilmersdorf
Wertschätzung in der Schule: Für Artikel zu diesem Thema hat die Berliner Unfallkasse zwei Preise vergeben: „Karlchen“, Karlsgarten Grundschule, Neukölln; „Die Havelkidz“, Havelland-Grundschule, Schöneberg. „Interkultur“ ist der Titel eines neuen Preises der Neuen Deutschen Medienmacher, Preisträger: „Jemandes Zeitung“, Europäisches Gymnasium Bertha von Suttner, und „Neues vom Theo“, Theodor-Storm-Grundschule, Neukölln
Grundschule: Schlaufuchs
Die jungen Journalisten des „Schlaufuchses“ sind ihrem Namen ein weiteres Mal gerecht geworden: Mit ihrer politischen Ausgabe, in der die Jungredakteure über Europa und Berlin schreiben, sind sie auf Platz eins in der Grundschul-Kategorie gelandet. Die junge Redaktion, 2006 von Schulleiter Olaf Garbe gegründet, besteht aus rund 16 engagierten Schülern verschiedener Stufen. Das Ziel: zweimal im Jahr eine Schülerzeitung zu veröffentlichen.
Wird wieder eine neue Ausgabe geplant, treffen sich die Nachwuchsredakteure einmal wöchentlich zur Themenfindung und Besprechung. Die Schüler recherchieren zu ihrem Schwerpunktthema und schreiben dazu Artikel. Zu den vielen Erfolgen des „Schlaufuchs“-Teams zählt das Interview mit dem Regierenden Bürgermeister Michael Müller, dem die Schüler Fragen zur Berliner Politik stellen konnten. In derselben Ausgabe ging es auch um die Arbeit der Schülerparlamente. Die Zeitung kostet für Lehrer und Schüler je einen Euro.
Förderschule: ARS
Das ganze Jahr über trifft sich die Redaktion der „ARS-Schülerzeitung“ einmal wöchentlich nach dem Unterricht für eineinhalb Stunden, um an der am Schuljahresende erscheinenden Schülerzeitung zu arbeiten. Geschrieben wird über fast alles: Die Palette reicht von Lehrerinterviews über Ausflugsreportagen bis hin zu Artikeln über Lieblingstiere.
Die mittlerweile seit 17 Jahren bestehende Schülerzeitung der Adolf-Reichwein-Schule in Neukölln hat keine gleichbleibende Seitenzahl, sondern immer so viele Seiten, dass es für alle Texte reicht. Meist umfasst ein Exemplar der Zeitung um die 40 Seiten.
Die neunköpfige Redaktion wird unterstützt von drei Lehrern, die auch beim Verkauf der 80 Exemplare mithelfen. Den Schülern aus den fünften bis neunten Klassen mache die Arbeit viel Spaß, und sie erfahren mehr über das Schulgeschehen, erzählen sie. Besonders die Vielfalt der Themen in der „ARS-Schülerzeitung“ hat die Jury des Wettbewerbs begeistert.
ISS: KW Zeitlupe
Vor fünf Jahren wurde die Schülerzeitung „KW Zeitlupe“ der Konrad-Wachsmann-Schule in Hellersdorf gegründet. Anlass: die 20-Jahr-Feier. Seitdem hat es sich die Zeitung zur Aufgabe gemacht, die Ereignisse der vergangenen Zeit unter die Lupe zu nehmen – wie es der Name sagt. Im Gegensatz zu vielen anderen Schülerzeitungen hat die „KW Zeitlupe“ keine feste Stammredaktion. Jedes halbe Jahr gibt es einen Teamwechsel. Auch wenn sich die ehrenamtliche Projektleiterin Heike Lohse immer wieder auf neue Schüler einstellen muss – die Arbeit mit Jugendlichen macht ihr viel Spaß, und die Auszeichnungen sind eine Bestätigung.
Zurzeit arbeitet Lohse mit drei Schülern aus den Stufen sieben und zehn an einer acht- bis zwölfseitigen Zeitung. Pro Halbjahr erscheinen zwei Ausgaben mit einer Auflage von je 250 bis 300 Exemplaren. Der Großteil der Artikel befasst sich mit dem Schulgeschehen. Besonders gut gefallen hat der Jury die Jubiläumsausgabe zum 25. Geburtstag der Schule mit einer Zeitreise durch die Schulgeschichte.
OSZ: mbs Newsreport
Die Schülerzeitung „mbs Newsreport“ der Marcel-Breuer-Schule in Weißensee wurde im Schuljahr 2014/15 von den Schülerinnen Louisa Lange und Charlene Donbavand gegründet. Die Kerngruppe der Zeitung besteht aus fünf bis acht Mädchen und Jungen verschiedener Ausbildungsgänge. Die Redakteure haben das Ziel, zweimal im Jahr eine Schülerzeitung zu veröffentlichen.
Jeweils zum Tag der offenen Tür im Februar und im Juli. Steht die Planung einer neuen Ausgabe an, treffen sich die jungen Redakteure einmal wöchentlich, um ein Titelthema festzulegen und weitere Texte zu besprechen. Oft bekommen sie auch Artikel zugeschickt, die sie ebenfalls in der Zeitung veröffentlichen. Ist das Schwerpunktthema gefunden, treffen sich die Schüler in kleinen Gruppen, um ihre Texte zu besprechen. Sind erst einmal die ersten Worte gefunden, geht es beim Schreiben der Artikel meist schnell voran. Der „mbs Newsreport“ kostet für Schüler 1,50 Euro und für Lehrer und externe Personen 2,50 Euro.
Gymnasium: Moron
Andere mögen sich aus dem Internet bedienen – für die jungen Journalisten der „Moron“-Redaktion ist das ein No-Go. An diesen Leitfaden halten sich die Redakteure konsequent: Das 20-köpfige Team erstellt Grafiken, Fotografien und Karikaturen, aber auch alle Rätsel selbst – und das auf höchstem Niveau.
Lehrer Christoph Fritze hatte im Schuljahr 2004/05 die Initiative zur Gründung der Zeitung ergriffen, mithilfe einiger Schüler, die dann auch die erste „Moron“-Redaktion bildeten. Seitdem hat die Zeitung viele Preise gewonnen, vielen Schülern Lesespaß bereitet und Einblicke in das Zeitungsleben gegeben. Maßgeblichen Anteil am Erfolg der „Moron“ haben die Schüler der Klassenstufen sieben bis zwölf mit ihrer sehr selbstständigen Arbeitsweise. Die Chefredaktion, bestehend aus Theresa (10. Klasse), Gustav (10. Klasse) und Lao (9. Klasse), leitet das Team mit viel Ehrgeiz und Engagement, damit drei- bis viermal im Jahr eine 80-seitige Schülerzeitung erscheinen kann, die ihre Leser findet.