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Zurück aufs Boot, zurück ins Leben

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Oliver Klempert

Bernd-Leopold Käther wäre fast an einer geplatzten Ader im Gehirn gestorben. Nun segelt er wieder

Locked-in. Bernd-Leopold Käther wird dieses Gefühl nie vergessen. Bei vollem Bewusstsein bekommt er alles von seiner Umwelt mit, nur kann er sich selbst auf keinerlei Weise verständlich machen. Weder durch Augenzwinkern, noch durch kleinste Fingerbewegungen, noch durch irgendetwas anderes. Von den Ärzten nach einer Hirnblutung aus dem künstlichen Koma geholt, ist er zwar noch am Leben, doch von echten Genesungsfortschritten kann kaum die Rede sein. Es wird Monate dauern, bevor Käther die Kontrolle über seinen Körper zurückgewinnen wird.

Es ist das Jahr 2012, als den damals 55-Jährigen ein Aneurysma fast aus dem Leben reißt. Gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin Franziska Ehrmann ist Käther im Skiurlaub, als ihn urplötzlich brüllende Kopfschmerzen befallen – im Kopf ist die Hauptschlagader geplatzt, Blut schießt unkontrolliert ins Gehirn. Nur ein extrem schneller Notarzteinsatz sowie eine Notoperation retten ihm das Leben. „Es war eine Sache von einer Viertelstunde“, sagt Käther heute. Zunächst in die Uniklinik in Innsbruck eingeliefert, wird er – ins Koma versetzt – vier Wochen später per Flugzeug nach Berlin gebracht.

Es trifft einen Mann, der mitten im Leben steht: Diplom-Ingenieur, Leiter eines IT-Zentrums an der Technischen Universität Berlin – und ein bekannter Mann in der deutschlandweiten Segelszene. Als Wettfahrtobmann ist Käther seit zwei Jahrzehnten für die Ausbildung von Wettfahrtleitern und Schiedsrichtern zuständig. Außerdem ist er immer wieder auf Startschiffen draußen auf dem Wasser, leitet Regatten selbst. Auch auf Großveranstaltungen wie der Warnemünder Woche wird er eingesetzt. Kein Wunder: Käther hat 40 Jahre Segelerfahrung, ist direkt am und auf dem Wasser der Havel groß geworden. Sein Wort hat in der Berliner Seglerszene und darüber hinaus Gewicht. Nichts, so scheint es, könnte den Mann mit 1,85 Meter Körpergröße und kräftiger Statur aus der Bahn werfen.

Bis zu jenem Tag am 28. Februar 2012. An die Intensivstation schließt sich eine neunmonatige Reha an, mühsam muss Käther alles wieder lernen: Verständigung, Sprache, Bewegung. Heute sitzt der Wettsegelobmann des Berliner Segler-Verbandes im Joersfelder Segel-Club, seinem Stammverein, und blinzelt in die Sonne. „Es war eine furchtbare Zeit. Ich habe kaum Worte dafür“, sagt er. Nur ein paar Meter entfernt, auf einem Trailer, steht sein Segelboot. Für ihn ist es jedoch mehr als nur eine Kunststoffwanne mit Segel obendrauf – es ist sein Elixier. „Ich wusste schon früh, dass ich eines Tages wieder unbedingt segeln gehen möchte, dass ich wieder Wind, Wetter und Wellen um mich haben will. Das hat mich angespornt.“ Mit Sprachtafeln lernte Käther wieder das Sprechen, mit Würfel- und Kartenspielen trainierte er wieder die Finger, noch heute betreibt er zwecks Muskelaufbau im Rahmen der Physiotherapie Krafttraining. Alles, um zurück aufs Wasser zu kommen.

Mit Erfolg: Denn heute segelt Käther wieder – wenigstens einmal pro Monat. Zwar muss er noch im Rollstuhl sitzen, weil sein Gleichgewichtssinn durch die Erkrankung stark in Mitleidenschaft gezogen ist. Auch musste er zu Beginn per Kran in sein Boot gehoben werden. Das Bedienen seines Bootes, in dem Fall ein Segler vom Typ 2.4mR, funktionierte aber vom Fleck weg. Mittlerweile ist Käther sogar auf Regatten anzutreffen, landet oft im Mittelfeld. „Vor ein paar Jahren wäre das noch unvorstellbar gewesen“, sagt er. Über seine Krankengeschichte gibt der heute 62-Jährige deshalb so bereitwillig Auskunft, weil er damit auch anderen Mut machen möchte. „Es muss nicht alles gleich verloren sein.“

Dennoch brauchte es einen Schubs. „Es war ein Komplott hinter meinem Rücken“, sagt Käther schmunzelnd und blickt seine Lebensgefährtin an. „Franziska nahm hinter meinem Rücken mit dem Yachtclub Berlin-Grünau Kontakt auf.“ Dort arbeitet der Segel-Bundestrainer des Deutschen Behindertensportverbandes, Bernd Zirkelbach. „Mit ihm verabredete Franziska ein paar Einzelstunden, sodass ich vor nunmehr fast zwei Jahren das erste Mal wieder in einem Boot saß“, sagt Käther. Allein auf den fast menschenleeren Müggelsee hinauszufahren, nachdem er zuvor jahrelang ans Bett gefesselt gewesen war, sei ein unglaubliches Gefühl gewesen.

Schnell wurde Käther mit dem Boot vertraut, denn es ist auf Segler mit körperlichen Einschränkungen ausgelegt. „Man kann es etwa über Pedale mit den Füßen steuern“, erläutert er. Mehr noch: Das Boot ist durch einfache Anpassungen mit jeder Art von Behinderung zu segeln – dazu zählen Gleichgewichtsstörungen und Gehbehinderungen nach einem Schlaganfall, aber auch ganz oder teilweise fehlende Extremitäten. Es kann außerdem nicht untergehen oder kentern. Kurzum: Von Beginn an fühlte sich Käther in dem Boot sicher – und je öfter er seinem geliebten Hobby nachgehen konnte, umso mehr verstärkte sich auch sein Lebensmut wieder.

Käther baut jetzt eine Behindertensportgruppe auf

So ist es kaum noch verwunderlich, dass Käther gegenwärtig sogar eine Behindertensportgruppe in seinem Verein aufbaut. Ein sogenannter Schwimmsteg, von dem Menschen mit einer Behinderung leichter in ihr Boot kommen, weil er tiefer im Wasser liegt, ist bereits neben dem normalen Steg montiert. Aktuell besitzt der Klub zwei Boote vom Typ 2.4mR – das des Wettsegelobmanns sowie ein Vereinsboot. Geplant ist, weitere Boote anzuschaffen. Vorgesehen ist zudem die Zusammenarbeit mit einer Reha-Einrichtung. „Drei Tage Segeln bringen mehr als drei Wochen Reha“, sagt Käther.

Nicht zuletzt über seinen Sport – natürlich mit der unschätzbaren Hilfe seiner Lebensgefährtin und seiner Familie – ist Bernd-Leopold Käther somit ins Leben zurückgekehrt. Und natürlich hat er neben seiner regulären Arbeit im IT-Zentrum auch seine ehrenamtliche Tätigkeit als Wettsegelobmann des Berliner Segler-Verbandes wieder aufgenommen. Großes Ziel aber: Künftig einmal pro Woche hinaus auf die Havel zu gehen – und alles andere hinter sich an Land zu lassen.