„Sie brachten ihm Gold, Weihrauch und Myrrhe als Gaben dar“, berichtet das Matthäus-Evangelium von den Geschenken der Drei Könige an Jesus. Es waren kostbare Gaben: Neben Gold zählten auch Weihrauch und Myrrhe zu den wertvollsten Substanzen des Altertums. Bei den beiden handelt es sich um das Harz von zwei miteinander verwandten Baumarten, die zur Familie der Balsambaumgewächse gehören. Obwohl es damals reichlich Bäume der beiden Arten gab, waren die Substanzen wegen des langen Transportweges durch die Wüste und durch die dabei immer wieder zu verrichtenden Zölle extrem kostbar.
Häufigkeit der Schübe gesenkt
Heute könnte sich Weihrauch zur Kostbarkeit für Patienten mit Multipler Sklerose (MS) entwickeln. Je nach den befallenen Nerven führt das Leiden zu Sehstörungen, bleierner Müdigkeit, Empfindungsstörungen, Schwindel, Zittern oder Lähmungen. In Deutschland leiden etwa 120.000 Menschen daran. Wie sich in Studien zeigt, haben die im Weihrauch-Extrakt enthaltenen Boswelliasäuren wie die synthetischen Mittel einen antientzündlichen Effekt, jedoch weit weniger Nebenwirkungen.
Eine der Studien hat die Neurologin Klarissa Hanja Stürner vom Hamburger Universitätsklinikum Eppendorf durchgeführt. Dort bekamen 37 Patienten mit schubförmiger MS acht Monate lang kein Kortison oder Interferon, sondern Kapseln mit Weihrauch verabreicht. Und sie halfen: Die Zahl der Nervenschäden bei den bisher ausgewerteten 25 Patienten reduziert sich um knapp 60 Prozent, die jährliche Rate von neuen Schüben ging von 0,94 auf 0,32 zurück. Die Natursubstanz sei gut verträglich, und die Resultate liefern gute Gründe für weitere Studien mit dem biblischen Schatz, berichtete Stürner jüngst auf einem Kongress in Boston (US-Staat Massachusetts).
Weihrauch war bereits in vorchristlicher Zeit bei den am Mittelmeer wohnenden Ägypter und Phönizier ein Heilmittel. Sie nutzten Weihrauch bei der Wundheilung und bei Atemwegserkrankungen und nahmen deshalb auch die extrem hohen Kosten in Kauf. In der indischen Naturheilkunde des Ayurveda setzte man es bei rheumatischer Arthritis, Osteoarthritis oder chronischen Gelenkentzündungen ein.
„Weihrauch und Myrrhe verfügen beide über eine Vielzahl bioaktiver Inhaltsstoffe, mit deren gesundheitlichen Wirkungen sich die Medizin bis in unsere Tage beschäftigt“, berichtet Peter Schnabel. Der Allergologe von der TU München hebt hervor: „Erst kürzlich fanden chinesische Wissenschaftler bei einer aktuellen Analyse von Weihrauchölen 99 chemisch definierte Substanzen. Darunter befanden sich auch mehrere Substanzen, bei denen eine gegen den Krebs wirksame Aktivität vermutet wird“, so der Münchner Mediziner.
Studien belegen die Wirksamkeit auch bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen wie Colitis ulcerosa und aktivem Morbus Crohn, sowie bei Asthma bronchiale und Schuppenflechte (Psoriasis). Auch bei der Behandlung von chronischen Kniegelenksarthrosen wurden positive Ergebnisse erzielt.
Der Chemiker Professor Oliver Werz von der Universität Jena ist mit Kollegen aus Saarbrücken dem Mechanismus nachgegangen. Er stellte fest: „Boswelliasäuren spielen mit verschiedenen Eiweißen zusammen, die an entzündlichen Reaktionen beteiligt sind. Insbesondere mit einem Enzym, das für die Synthese von Prostaglandin E2 verantwortlich ist.“ E2 kurbelt Reaktionen des Immunsystems an und spielt neben Entzündungsprozessen auch bei Fieber und Schmerzen eine entscheidende Rolle, so Werz. Substanzen im Weihrauch hemmen dieses Enzym und verringern so die Entzündungsreaktion.
Studien in Indien, die den Einsatz von Weihrauch-Extrakten bei der entzündlichen Darmerkrankung Colitis ulcerosa untersuchten, kamen zu dem Ergebnis, dass der Harzextrakt vergleichbar gut wirkt wie der synthetische Standardwirkstoff Sulfasalazin. Das bestätigte auch eine Studie in Mannheim in einer Ambulanz für Menschen mit chronischen Darmentzündungen.
Synthetisch nur schwer herstellbar
Zurzeit sucht man allerdings Medikamente mit Weihrauchwirkstoffen vergebens in deutschen Apotheken. Es sind lediglich Präparate als Nahrungsergänzungsmittel erhältlich. Die bisher vorliegenden klinischen Studien reichen für eine Zulassung als Medikament in Deutschland und der EU (noch) nicht aus. Hinzu kommt: Boswelliasäuren kommen ausschließlich im Harz des Weihrauchbaumes vor und lassen sich nur schwer synthetisch herstellen. Die Bäume wären deshalb die einzige Quelle für einen aussichtsreichen Wirkstoff, sind jedoch in ihrem Bestand bereits heute stark bedroht.
Auch das Interesse der Wissenschaftler an Myrrhe hält bis heute an. Den Beweis liefert eine kürzlich publizierte Studie mit dem Myrrhe-haltigen pflanzlichen Arzneimittel „Myrrhinil-Intest“. Die pflanzliche Kombination aus Myrrhe, Kamille und Kaffeekohle wird bereits seit über 50 Jahren bei Magen-Darm-Beschwerden, zum Beispiel bei Durchfall und Reizdarm eingesetzt.
Der Gastroenterologe Professor Jost Langhorst vom Klinikum Essen-Mitte und seine Kollegen untersuchten den Einsatz des myrrhehaltigen Mittels bei Colitis ulcerosa. Während der zwölfmonatigen Studie nahmen die Patienten dreimal täglich das pflanzliche Arzneimittel oder das Standardmedikament Mesalazin ein. Die Studie ergab, dass das Pflanzenmittel noch ein wenig wirksamer als das synthetische Präparat ist, wenn es um die Verlängerung der Phasen ohne neuen Entzündungsschub geht.
Bereits jetzt wird Myrrhe als antiseptisch wirkendes Mittel gegen Mund- und Racheninfekten und bei Zahnfleischentzündungen eingesetzt, Myrrhentinktur zum Einsatz als Spül- oder Gurgelmittel gibt es in der Apotheke. Zur Behandlung von entzündetem Zahnfleisch wird die (ziemlich bitter schmeckende) Lösung unverdünnt aufgetragen. Mit ihr bessern sich auch Prothesendruckstellen am Gaumen. Myrrhe findet außerdem Verwendung in Parfüms.