Was sollte der Sohn auch sonst für einen Sport betreiben bei einem Vater, der während seiner Zeit als Infanterist der britischen Armee unter anderem in Nordirland stationiert war? Und der noch heute winterliche Temperaturen für bestes Segelwetter hält?
Die erste Veranstaltung im Berliner Regattakalender dieses Jahres nennt sich "Frostbite End" und hätte eigentlich dieses Wochenende stattgefunden. Doch Organisator Biggam hat sie sicherheitshalber auf das Wochenende darauf verschoben. "Wir wollen hier ja nicht ,Titanic' spielen", sagt der 42-Jährige vom Deutsch-Britischen Yacht-Club (DBYC) am Kladower Damm.
Joggingkleidung statt Trockenanzug
Nun muss aber niemand denken, der Brite und seine Gesinnungsgenossen mit ihren Schwertzugvögeln kniffen wegen der noch immer frischen Temperaturen. Das ganze Gegenteil ist der Fall. Durch die leicht frühlingshafte Erwärmung dieser Tage brechen von dem noch immer vorhandenen Eis kleine Schollen ab, die dicht unter der Oberfläche treiben und den Booten großen Schaden zufügen können. So bleibt es im Frühjahr genauso verhext wie über den ganzen Winter: Das Eis verhindert die Frostbite-Regatten auf der Großen Breite.
"Wäre nicht alles zugefroren gewesen, hätten wir uns jeden Sonntag im Winter getroffen, um segeln zu gehen", sagt Henry Kopplin. So wie etwa im vergangenen Jahr, als sein Freund Jon Biggam nach 17 Frostbite-Läufen die Regattaserie für sich entschied und damit sozusagen der Ober-Frostbeißer wurde.
Dabei wirkt der heutige Bilanzbuchhalter alles andere als verbissen. Zwischen einem Käfig voller Meerschweinchen und zwei Aquarien hockt er entspannt auf einem Stuhl, während sich sein Poloshirt leicht über dem Bauch wölbt. "Wahrscheinlich zieht der seinen Trockenanzug nie an, weil der ihm einfach nicht mehr passt", neckt sein Kumpel Henry. Dabei würde solch ein Anzug den gesamten Körper trocken halten, selbst wenn man ins eiskalte Wasser fiele.
Doch so etwas scheint den ehemaligen Soldaten Biggam schlichtweg nicht zu interessieren. Als er bei seiner ersten Frostbite im Winter 1990/91 mitsegelte, hatte er nichts weiter an als einen Jogginganzug mit einer leichten Jacke darüber. Natürlich kam es in solchen Fällen, wie es immer kommt: Eine Böe erfasste sein Boot, worauf es kenterte. Ins Wasser fiel Biggam dabei zwar nicht, aber zum Aufrichten seines Zugvogels musste er schnell aufs Schwert klettern, damit das Schiff nicht durchkentert - und machte sich eben dabei völlig nass.
Womit klar sein dürfte: Schwertzugvögel sind keinesfalls so leicht zu segeln, wie es ihrem Ruf als Wanderboot zu entsprechen scheint. "Es gibt ja kaum noch jemanden, der einen Schwertzugvogel als Standardboot bestellt", sagt Leonhard Mader, dessen gleichnamige Bootswerft der einzig verbliebene Hersteller von Zugvögeln in Deutschland ist. Fast alle Käufer zögen heute den Regattatrimm vor.
"Früher oder später will jeder sich mit den anderen messen", sagt Geschäftsführer Mader. Dann ein Standardboot für den Regattabetrieb umzurüsten, wäre unverhältnismäßig teuer. 3500 bis 4000 Euro rechnet man bei der Bootswerft Mader für solch einen Umbau - und das bei einem Neupreis von knapp 21 000 Euro für einen renntauglichen Zugvogel. "Da macht es fast mehr Sinn, sich ein gebrauchtes, regattafähiges Boot zu kaufen, als einen fürs Wandern hergestellten Zugvogel umzubauen", sagt Mader.
Auch Jon Biggam hat seine "Kernow" - das cornische Wort für die südwestlichste Region von England - gebraucht erworben. Sie gehörte ursprünglich zu einer Flotte von zehn neuen Schwertzugvögeln, die die britische Armee dank finanzkräftiger Unterstützung 1985 vom Berliner Senat erwerben konnte.
Dass Biggam schon mehrfach über Bord gegangen ist, konnte bislang seine Liebe zu diesem Boot nicht schmälern. Schließlich hat es einen unschätzbaren Vorteil für das Segeln im Winter: Die Jolle ist ebenso schnell im wie aus dem Wasser. Während viele andere Segler im Sommer ihre Boote am Steg dümpeln lassen, sie aber dafür im Winter einmotten müssen, schaffen die Besitzer von Zugvögeln ihre Schiffe ohnehin permanent vom Land aufs Wasser und umgekehrt. Egal ob bei Sonne oder Schnee.
Dennoch sind Biggam und Co. nicht ganz so verrückt, wie es den Anschein haben mag. "Bei mehr als fünf oder sechs Windstärken gehen wir im Winter nicht mehr aufs Wasser", sagt der Brite, während Henry Kopplin ergänzt: "Wenigstens nicht, wenn sich solche Windstärken absehen lassen."
Ein Zugvogel wird versenkt
Ganz ausschließen lasse sich so etwas allerdings nicht. "Weißt du noch, wie ich vor drei Jahren die eine noch vor dem Start wegen einer Hammer-Böe fast versenkt habe?", fragt Kopplin Biggam. Der überlegt kurz und schüttelt dann mit dem Kopf. "Du hast sie nicht fast versenkt, du hast sie versenkt."
Er wisse es noch ganz genau, weil das die Frostbite-Regatta gewesen sei, bei der er seinen Mast verloren habe und auch noch gekentert sei. Bei diesem Einwand grinsen sich Biggam und Kopplin wie zwei Schuljungen an, die sich noch nach 20 Jahre auf ihre größten Streiche besinnen. Aber wer will es ihnen verdenken, sind es doch Erlebnisse bei zwei Grad Wassertemperatur, die sie mit keinem Warmduscher teilen könnten. Und das sind nun mal die meisten von uns.