Kulturmacher

Zwei Leben für die Komödie

| Lesedauer: 6 Minuten
Annette Kuhn

Schwere Geburt: Die Zwillinge Ingo und Ralph Woesner betreiben nach vielen Fehlstarts Berlins jüngstes Theater. In ihrer Revue nehmen sie sich die Mütter vom Kollwitzplatz vor

Es riecht nach Farbe. Ralph Woesner mustert das frisch in Neonpink besprühte Fahrrad, nickt und ruft seinen Zwillingsbruder zum Urteil heran. Entscheidungen treffen die Geschwister immer gemeinsam. Nun nicken sie beide: Ja, mit dem Fahrrad vor dem Eingang zum Theater ist ihnen Aufmerksamkeit sicher. Und die brauchen sie auch. Schließlich ist ihre Spielstätte „Pfefferberg Theater“ kaum ein Jahr alt, da müssen sie noch ordentlich die Werbetrommel rühren. Erst im September 2013 hat das Pfefferberg-Theater in Prenzlauer Berg eröffnet, es ist damit wohl Berlins jüngstes Bühnenhaus.

Sich in der weiten und vielfältigen Theaterlandschaft zu behaupten, ist eine Herausforderung. Und doch sind Ingo und Ralph Woesner überzeugt, eine Nische gefunden zu haben: Sie verstehen ihr Theater als Komödienhaus, ihre Stücke setzen oft an Klassikern wie Faust oder Romeo und Julia an, enden dann aber als Komödien. „Zur Hölle mit Faust“ ist wohl die bislang erfolgreichste Produktion, und die Woesner-Brüder – oder Woesner Brothers, wie sie sich nennen – sehen das Stück als ihr Flaggschiff. „Wir wollen intelligent und kurzweilig unterhalten“, erklärt Ingo Woesner, das heißt für ihn vor allem, Geschichten so zu erzählen, dass jeder sie versteht, auch wenn er zum Beispiel vorher noch nie den „Faust“ gelesen hat.

Nicht immer dient aber ein großes Werk als Anknüpfungspunkt für ein Stück, manchmal reicht die Wirklichkeit vor der eigenen Tür. „Drei Mamas vom Kollwitzplatz“ heißt die neueste Produktion, die seit Mai auf dem Programm steht. Es ist eine Revue, die mit den Klischees rund um den berühmtesten Platz im Kiez spielt. In diesem wie auch in den meisten anderen Stücken stehen die Brüder selbst auf der Bühne. Die Stücke haben sie selbst entwickelt.

60.000 Euro Schulden

Gerade haben die Zwillinge ihren 50. Geburtstag gefeiert. Mindestens die Hälfte der Lebenszeit beschäftigten sie sich mit Theater. Beide haben in Rostock, am Ableger der Ernst-Busch-Schauspielschule, studiert. Beide hatten nach der Ausbildung Engagements in Senftenberg (Ingo) und Schleswig (Ralph). Irgendwann kam der Wunsch auf, ein eigenes Theater zu gründen. Aber wie und wo und mit welchem Geld?

Was nun passierte, bezeichnen die beiden gern als ihre „Fieberkurve“ und erklären sie so: „Man muss auch mal in eine Sackgasse gehen, wenn man etwas unternimmt.“ Das Problem aber war, dass es zu viele Sackgassen wurden: Sie starteten einen Bierimport, versuchten sich an Immobilien, betrieben einen Fensterhandel und ein Geschäft mit einer Raumfähre aus Russland, die auf Wanderausstellungen in Deutschland gezeigt werden sollte. Geklappt hat von diesen Unternehmungen nicht viel, und statt des erhofften Startkapitals für das eigene Theater hatten sie am Ende der Fieberkurve 60.000 Euro Schulden.

Dann müsse man Theater eben ohne Kapital und ohne eigenes Haus machen, beschlossen sie schließlich. Sie machten ein Karl-Valentin-Programm und fuhren als Duo durchs Land. In jeder Kleinstadt mit mehr als 15.000 Einwohnern fragten sie, ob sie auftreten könnten. Und schon nach kurzer Zeit konnten sie von der Wanderbühne gut leben und sogar die Schulden zurückzahlen.

Parallel riefen sie in Berlin 2005 den Kollwitzer Theatersommer ins Leben. In den kommenden Jahren bespielten sie die Kollwitzstraße neben dem Abenteuerspielplatz „Kolle 37“.

Irgendwann hatten sie aber genug von der Fahrerei. Ralph Woesner ist 2007 Vater geworden und wollte Zeit für seinen Sohn haben. Also doch ein eigenes festes Haus? Einen Ort, wo sie sich ihr Theater erträumten, hatten sie schon: den Pfefferberg. Aber die meisten Objekte dort waren längst vergeben. Nur noch die ehemalige Schankhalle war übrig. Aber die hatte seit dem Krieg kein Dach mehr und war entsprechend heruntergekommen. Ein toller Platz, befanden die Brüder, aber ein zu großes Projekt. Da gebe es ja noch die alte Feuerwehrgarage. Aber die hatte weder Wasser noch Strom und sollte bald abgerissen werden. Das schreckte die Woesner-Brüder nicht. „Wir haben das als eine Art Testlauf gesehen. Entweder läuft das hier oder nicht“, erklärt Ingo Woesner. Es lief. Und nach zwei Jahren, als die Abrissbirne über der Garage kreiste, waren sie reif für die Schankhalle.

Mit dem VIA-Unternehmensverband, der auf die Integration von Menschen mit Behinderungen ausgerichtet ist, haben die Woesners eine gemeinsame Trägerschaft gebildet und das Projekt zusammen in Angriff genommen. In nur fünf Monaten ist aus einer Ruine ein Theater und ein Restaurant mit eigener Brauerei geworden. Vor allem Ingo Woesner ist in der Zeit zum Architekten, Bauingenieur, Installateur und Elektriker geworden, während sich Ralph mehr um den Theaterbetrieb kümmerte.

Samtsitze und Drehbühne

Das Theater bekommt keine Förderung. Den Umbau haben die Woesners mit 80.000 Euro Eigenkapital gestemmt. Und doch hat es alles, was ein Theater braucht: 254 rote Samtsitze und sogar eine Drehbühne. Für die brauchten sie allerdings Erfindergeist. Ein Bühnenmotor war zu teuer, daher haben sie es mit einem deutlich günstigeren probiert, der normalerweise als Rangierhilfe für Wohnwagen benutzt wird. „Hat auch funktioniert“, sagt Ralph Woesner.

Und wie läuft es, wenn Zwillinge ein Theater gemeinsam führen? Klar gebe es schon mal Konflikte, aber ein Beispiel will ihnen dann gar nicht einfallen. Sie können sich heute ein Leben und schon gar kein Theaterleben ohne den anderen vorstellen. Dabei war ursprünglich nur einer von ihnen geplant. Erst bei der Geburt, als die Hebamme sagte: „Frau Woesner, bleiben Sie noch liegen, da kommt noch einer“, erfuhren die Eltern vom Doppelpack. Die Woesner Brothers haben offenbar schon immer gern für Überraschungen gesorgt.