Mal pompös wie eine Rokoko-Gräfin oder verführerisch wie eine “Mad Men“-Sekretärin: “Mimi“ in Schöneberg ist eine Fundgrube für Freunde von Textilien aus längst vergangener Zeit
Durch die Fenster des Kleiderschranks schimmern Rautenmuster, Seidenstoffe, Pailletten und Federbesätze. Die Kleider, die Mirjam Grese vorsichtig herausnimmt, stammen aus den 30er-, 40er- und 50er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts. "Die Mode in dieser Zeit war wunderbar weiblich", sagt die Inhaberin von "Mimi - Textile Antiquitäten" sehnsüchtig. "Die Schnitte damals waren so konstruiert, dass sie Frauen mit Größe 36 genauso standen wie Frauen mit einer 42".
Die Ladenfront des Geschäftes ist klein und schmal. Auf den 160 dahinter liegenden Quadratmetern verbirgt sich eine unerschöpflich wirkende Fundgrube mit Hunderten von Kleidern, Anzügen und Accessoires. Es gibt alte Tanzschuhe, Abendtäschchen, Handschuhe, Sonnenschirme aus Spitze, Taufkleider, Modeschmuck und barock wirkende Broschen. Wer möchte, kann sich in dem Laden in eine Rokoko-Kurtisane, eine Büroangestellte der 40er-Jahre oder in einen Lindy-Hop-Tänzer 30er-Jahre verwandeln.
Exklusive Abteilung
"Wir verstehen uns nicht als Second-Hand-Laden, deshalb liegen die Preise bei uns auch höher als in vergleichbaren Geschäften. Das müssen wir einigen Kunden erklären, die nicht verstehen, dass viele Sachen mehr als 100 Euro kosten", sagt Mirjam Grese. Aus diesem Grund hängt ein kleiner, handgeschriebener Zettel mit der Aufschrift "Exklusive Abteilung" an einer der Schranktüren.
Das Interieur von "Mimi" sieht auch nicht nach einem Second-Hand-Laden aus. Weiß und zarte Cremetöne sind die vorherrschenden Farben. Sämtliche Stühle, Spiegel, Vorhänge, Teppiche und auch der eigens angefertigte Verkaufstresen stammen aus längst vergangenen Zeiten. Sogar das weiße Emaille-Schild im Schaufenster mit der Aufschrift "Mimi - Textile Antiquitäten" sieht aus, als sei es zu der Zeit gefertigt worden, als noch Pferde die Straßenbahnen durch Berlin zogen.
Es wäre schon ein wenig enttäuschend, wenn in solch einem verwunschenen Ambiente Menschen in Jeans und Kapuzen-Sweatshirts agieren würden. Erfreulicherweise passen Mirjam Grese und ihr Mann Rico, die den Laden seit elf Jahren betreiben, auch optisch sehr gut in ihr Geschäft. Sie trägt an diesem Tag ein weit schwingendes Kleid aus den 50er-Jahren, darüber eine Bolerojacke aus den 30er-Jahren. Beides Originale, versteht sich. Er hat ein Fifties-Hemd gewählt, und trägt darüber Hosenträger, die aussehen wie neu, aber schon etliche Jahrzehnte alt sind. Die Hose in einem Sandton hat er nach einem alten Schnitt gefertigt. "Wir tragen aber auch moderne Sachen und mixen gerne", sagt Rico Grese. Er ist, wie seine Frau, gelernter Maßschneider.
Erstaunlicherweise beginnt die Geschichte des Geschäfts nicht mit Rüschen und Spitzen, sondern mit so genannter weißer Wäsche. Mirjam Grese, die nach eigenem Bekunden schon immer gerne Dinge sammelte und stets interessiert an den Schrankinhalten ihrer ebenfalls sammelwütigen Großeltern war, begann in ihrer Freizeit Trödelläden in Neukölln zu durchstöbern. Sie erstand dort gut erhaltene, alte Küchenhandtücher, mit bestickter Bettwäsche oder Damast-Tischtücher. Mit ihrem Mann verkaufte sie die Ware dann auf dem Flohmarkt am Rathaus Schöneberg. Der Stand fand schnell Fans und Käufer und Mirjam Grese, die damals noch als Verkäuferin arbeitete, erweiterte ihr Sortiment um Kleidung. Eine Kundin, die im Filmgeschäft arbeitete, gab ihr dann den Tipp, die Kleider an Produktionen zu verleihen. Und so reifte die Idee mit dem Laden. "Damals waren auch schon die ersten beiden unserer drei Töchter auf der Welt und es war klar, dass wir das Familienleben mit einem eigenen Geschäft besser organisieren können", sagt Mirjam Grese. Vor gut elf Jahren mieteten sie dann das Geschäft in Schöneberg.
Auch wenn in Frauenzeitschriften steht, die so genannte Vintage-Mode sei der letzte Schrei: Die Kleider und Jacken bei "Mimi" sind nicht sonderlich alltagstauglich. Die Mäntel sind schwer und kratzig, Kleider und Blusen haben empfindliche Spitzenapplikationen und dürfen nie in die Waschmaschine. Es gibt nicht viele, die solche Kleidungsstücke kaufen. "Von Privatkunden könnten wir nicht leben", sagt Rico Grese.
Kundin Kate Winslet
Das Hauptgeschäft liegt bei Film-, TV- und Theaterproduktionen. Gemeinsam mit Gewandmeisterin Gesche Bremer fertigt Rico Grese Kostüme nach historischen Vorbildern für Opern oder Schlossfeste. Die Kleider aus dem Bestand von "Mimi" werden für Filme geändert oder nachgeschneidert. Längst sind auch internationale Produktionen auf das Geschäft aufmerksam geworden. Die bekannteste Kundin war vermutlich Kate Winslet, die sich in einem Mantel von "Mimi" in dem Film "Der Vorleser" einen Oscar erspielte.
Die Suche auf Flohmärkten haben die Ladeninhaber aus Zeitgründen inzwischen aufgegeben. Neuzugänge werden ihnen von Trödelläden oder Privatleuten angeboten. Die Ladeninhaber kaufen, was gut erhalten ist, toll aussieht und mindestens 40 Jahre alt ist. Irgendwann möchten sie auch ein Modemuseum eröffnen. Bereits jetzt besitzen sie schon mehr als in den Laden passt. Und doch geben die Mimi-Chefs das Sammeln nicht auf. "Manchmal öffnen wir eine angebotene Schachtel mit Spitze oder Posamenten", sagt Mirjam Grese, "und dann sind wir einfach nur sprachlos."
Mimi - Textile Antiquitäten Goltzstraße 5, Schöneberg, Tel. 23 63 84 38, Mo.-Fr.12-19 Uhr, Sbd. 11-16 Uhr