Kurz nachdem Raimund Geene aufs Feld kommt, muss er eingreifen. Einer seiner Mitspieler geht motiviert in den Zweikampf, sein Gegner fällt unsanft und protestiert. "Das war ganz normaler Einsatz", beschwichtigt Geene, bevor es weiter geht.Stefan Pieper hat das Ganze von der Seitenlinie aus beobachtet: "Tja, wir schießen hier halt nicht mit Wattekugeln."
Sonnenstrahlen durchfluten den eingezäunten Kunstrasenplatz auf der Sportanlage Westend in Charlottenburg. Auf dem Spielplan steht eine Partie der dritten Uni-Liga: Vorspiel Berlin gegen Kicking Circus.
Für die Spieler von Vorspiel ist es die Generalprobe für das "6. Internationale Vorspiel-Fußballturnier" (heute, 10 bis 18 Uhr, Sporthalle am Rüdesheimer Platz), bei dem sie um die Weltmeisterschaft für homosexuelle Fußballteams kämpfen werden. 3:2 heißt es am Ende, es ist der fünfte Sieg in Folge. Nach dem Abpfiff fallen sich die Spieler in die Arme. Sie sind nass geschwitzt und sehen ziemlich glücklich aus.
1983 zog Stefan Pieper (51) nach Berlin, "um schwul zu sein." In Dortmund, wo er aufwuchs, gab es nicht mal einen Schwulenclub. Sportlich war er schon immer, die 100 Meter schafft er regelmäßig in 10,58 Sekunden. Beim Istaf 1988 trat er in der Staffel sogar gegen Ben Johnson und Carl Lewis an, "aber die waren ja gedopt und sind abgegangen wie die Raketen." Während das Geheimnis der amerikanische Sprinter noch im selben Jahr gelüftet wurde, behielt Pieper seines beim OSC Schöneberg immer für sich. "Ich habe im Verein niemandem gesagt, dass ich schwul bin", sagt er. Aber Pieper hat auch andere Interessen, für Homosexuelle recht untypische - "Ich spiele gerne Fußball, ich spiele gerne Skat" - und wandte sich im selben Jahr vom Leistungssport ab, um der Fußballabteilung von Vorspiel Berlin beizutreten. Heute, nach 25 Jahren, ist der Verein mit über 1200 Mitgliedern und rund 30 Abteilungen Deutschlands zweitgrößter Sportverein für Schwule und Lesben. Damals begannen Pieper und Geene als selbst betitelter "Haufen fußballverrückter Schwuler" erst im Tiergarten, später dann auf einem eigenen Platz in Friedrichshain zu trainieren. "Für mich war das auch eine Kontaktbörse, man konnte sich als Schwuler ja nicht wie heute über das Internet verabreden", sagt Pieper.
Berliner Verband auf Distanz
Nach der Wende wuchs der Verein kräftig an, heute sind knapp 40 Spieler dabei. Von Schülern und Studenten über Arbeitslose, Handwerker und Uniprofessoren sind sämtliche Schichten vertreten. Eines haben alle gemeinsam: Bei Vorspiel müssen sie sich nicht erklären. Abteilungsleiter Ralf Zimmermann spielte früher beim KSV Buchholz. Dass er homosexuell ist, wusste im Verein keiner. Ähnlich geht es Jens, der neben Vorspiel bei Berolina Mitte kickt. Dort wissen nur seine engsten Freunde Bescheid. "Ein Fußballer gilt per se erst mal als schweißstinkendes Individuum. Wenn man sich gut anzieht, gilt man schnell als schwul", sagt Zimmermann. Negative Erfahrungen gab es wenig. Frotzeleien kämen des Öfteren auch aus den eigenen Reihen. "Andere Schwule sagen mal: 'Wie, du bist Handwerker und spielst auch noch Fußball?'", sagt Jens.
Trotzdem tritt Vorspiel nur in der Uni-Liga an. Dort geht es locker zu. In den Spielklassen des Berliner Fußballverbandes wäre das anders, lautet die allgemeine Meinung. Anfang der 90er Jahre wollte der Verein noch beim BFV aufgenommen werden. Damals wurde der Antrag abgelehnt - der Verband war nicht einverstanden, dass die sexuelle Ausrichtung des Vereins im Vordergrund stand. Pieper weiß: "Viele haben Angst sich anzustecken, beim Fußball gibt es ja immer wieder blutige Verletzungen."
Tatsächlich wurde das Thema beim BFV lange ignoriert. Seit März diesen Jahres gibt es eine Kooperation mit dem Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD), um gegen Homophobie im Amateurfußball vorzugehen. "Wir wollen Spieler und Trainer für das Thema sensibilisieren", sagt Breschkai Ferhad, Leiterin des Integrationsprojekts. Ausdrücke wie "du schwule Sau" dürften nicht mehr normal seien. Nichtsdestotrotz gibt es in den Berliner Ligen kaum geoutete Fußballspieler. "Gern wollen wir der fußballinteressierten Öffentlichkeit zeigen, dass Fußball und Schwul keinen Widerspruch darstellen", heißt es in der Einladung von Vorspiel zum heutigen Turnier, bei dem auch Teams aus Mailand und London antreten. "Ich habe am Anfang auch gedacht, dass Schwule nicht kicken können", gesteht Geene, "aber wir steigen genauso hart ein." Und das ist auch gut so.