"Verpisst euch", zischen die Neonazis sie manchmal an. Einmal lag eine tote Ratte in ihrem Briefkasten. Dann haben sie in ihrem Garten einen Kadaver gefunden, viel war nicht mehr zu erkennen, vielleicht war es ein Reh. Zuletzt wurde ihnen in der Sylvesternacht eine Fuhre Mist vor ihrem Tor abgeladen.
Birgit Lohmeyer (52) schreibt Krimis unter dem Pseudonym Birgit H. Hölscher. Sie hat ein freundliches Lächeln und eine geschwungene Brille. Horst Lohmeyer, 54 Jahre, macht Musik, trägt Ohrring, Ziegenbart, lange Haare und auch im Haus eine Mütze.
Das Paar lebt in einem alten Forsthaus, ungefähr 1860 gebaut, roter Backstein, in einem Nest in Nordwestmecklenburg, das aus einer Straße und zehn Häusern besteht. Es ist ruhig hier. Bis zur Ostsee sind es nur zehn Kilometer. Wenn man am großen Tisch im Wohnzimmer sitzt und Horst Lohmeyer Kaffee eingießt, erinnert das an die Stimmung in Kinderbüchern, an das Haus von Pettersson und Findus, eine Gitarre ist an die Wand gelehnt, Katzen streifen durch die Räume, überall sind Zeitungen und Bücher gestapelt, es ist gemütlich. So, wie sie hier sitzen, wirken sie angekommen. Wie zwei Menschen, die sich ihren Traum erfüllt haben.
Dorf als Hoheitsgebiet
Aber sie wirken auch ein bisschen naiv. Wer bleibt schon in einem Dorf, wenn in sieben von zehn Häuser Nazis wohnen und in zwei Häusern Menschen, die nicht die Nazis als Störenfriede betrachten, sondern die Lohmeyers? Wer bleibt schon in einem Dorf, in dem ein mehrfach vorbestrafter Neonazi wohnt, der seine Freunde um sich schart und das Dorf als sein Hoheitsgebiet begreift? Horst Lohmeyer sagt: "Wir haben uns entschlossen, uns dieser Herausforderung zu stellen."
Als die Lohmeyers vor sieben Jahren das Forsthaus kauften, wussten sie, dass ein berüchtigter Neonazi hier wohnt. Sven Krüger, 36 Jahre alt, Abrissunternehmer. Er hat das Dorf übernommen, Freunde hier angesiedelt, ihm gehören mehrere Häuser in Jamel. Die Leute, die vorher hier gewohnt haben, hat er vertrieben, sagen die Lohmeyers. Türen sollen eingetreten, tote Hühner auf Zaunpfähle gespießt worden sein. Heute mache Krüger so etwas nicht mehr, sagt Birgit Lohmeyer, er gebe sich braver, könne sich solche Dinge nicht mehr leisten, weil er nun für die NPD im Kreistag sitze.
Geht man die matschige Forststraße entlang, bellen Kampfhunde hinter Gartenzäunen. Zwei Männer mit kurz geschorenen Haaren blicken vom Gelände von "Abriß Krüger" herüber - so steht es in Frakturschrift auf einem Container, neben einem NPD-Schild. "Wir sind die Jungs fürs Grobe" lautet der Firmenslogan, und bis vor Kurzem gab es dazu auch ein Logo: eine Faust, die einen Davidsstern zertrümmert. Doch dann wurde Krüger angezeigt, er musste das Logo vom Firmenschild entfernen. Die Häuser, die Krüger gehören, erkennt man sofort, hatte Horst Lohmeyer gesagt, sie sind dunkelrot gestrichen, die Giebel sind aus braunem Holz. Am Haus, in dem Krüger wohnt, ist ein Schild montiert: "Lever dood als Slaave" - lieber tot als Sklave. Am Baum vor dem Haus ist ein Soldat aus Blech befestigt. Unzählige Schüsse, wahrscheinlich aus einem Luftgewehr, haben Dellen hinterlassen. Die Lohmeyers gehen nie durch den Ort, zum Spazieren fahren sie lieber an die Ostsee.
Am schlimmsten war die Hochzeit. Im Sommer hat Krüger geheiratet. Rechtsextreme Bands spielten, die Hochzeitsgesellschaft grölte rechte Parolen. Die Lohmeyers lagen in ihrem Bett und konnten nicht schlafen. So laut war die Musik, so groß war die Angst davor, dass ein paar Betrunkene rüberkommen und das Haus anzünden. Die Polizei, sagt Birgit Lohmeyer, habe versprochen, sich in einem Auto in ihrem Hof zu postieren. Aber sie habe es nicht gemacht.
Schon Krügers Vater, erzählen die Lohmeyers, soll rechtsradikal gewesen sein, der junge Krüger musste im Schnee salutieren. Das war noch zu DDR-Zeiten. Von Jamel bis nach Braunau sind es 855 Kilometer. Das stand zumindest auf einem Wegweiser, der bis vor ein paar Tagen noch am Ortseingang von Jamel stand. Braunau liegt in Österreich und ist der Geburtsort Adolf Hitlers. Das Ordnungsamt hat den Wegweiser entfernt, ebenso den Stein am Ortseingang mit der Messingtafel: "Dorfgemeinschaft Jamel - frei, sozial, national".
Am 30. Januar durchsuchte die Polizei Krügers Haus, fand nach dem Bericht der Staatsanwaltschaft Schwerin mindestens sechs gestohlene Baumaschinen, eine Maschinenpistole und 200 Schuss Munition. Jetzt sitzt der Abrissunternehmer wegen Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz und gewerbsmäßiger Hehlerei in Untersuchungshaft. Haben die Lohmeyers eigentlich jemals mit Krüger gesprochen? "Worüber?", sagt Horst Lohmeyer und schüttelt den Kopf. "Die wollen doch die parlamentarische Demokratie abschaffen und uns, wenn es gut für uns ausgeht, in ein Erziehungslager stecken."
Nachmittag in Jamel, fünf Kinder sitzen an der Bushaltestelle. Ein vielleicht zehnjähriger Junge in einer Militärjacke kommt uns entgegen und sagt: "Hier gibt es nichts zu sehen." Wir sagen ihm, dass wir gleich wieder gehen werden. "Das ist auch besser so", sagt er.
Die Lohmeyers wollten weg aus Hamburg, wo sie lange in St. Pauli gewohnt haben. Sie haben lange gesucht und schließlich das Forsthaus gefunden. Ihr Grundstück liegt ein bisschen abseits der Straße, sie haben eine alte Scheune und einen Obstgarten. Birgit Lohmeyer sagt: "Es ist wirklich eine Oase hier. Abgesehen von diesen Problemen."
In Jamel bestehen alle Probleme, die der Osten mit Neonazis hat, im Kleinen. Die Landesregierung hat das erkannt, aber außer einem kurzen Besuch in Jamel hat sich bisher nichts getan. Uwe Wandel fühlt sich von Politik und Justiz alleingelassen. Er ist Bürgermeister der Gemeinde Gägelow und damit auch für Jamel zuständig. "Für die Sicherheit der Lohmeyers können wir nicht garantieren", sagt er. Jamel sei in rechtsradikaler Hand, von wenigen Ausnahmen abgesehen. Von 37 Einwohnern gehören etwa 30 zu rechtsradikalen Familien. "Das sind Dinge, die wir so schnell nicht verändern können."
Musikfestival im Sommer
Die Lohmeyers wollen das nicht verändern, wollen niemanden vertreiben, doch sie haben auch nicht vor, aufzugeben. Birgit Lohmeyer sagt: "Wir werden hier noch gebraucht." Auf ihrem Grundstück gibt es eine Wiese mit vielen Maulwurfshügeln und einer selbstgezimmerten Bühne. Hier richten sie seit 2007 jeden Sommer ihr Musikfestival "Jamel rockt den Förster" aus. Es sei ganz bewusst kein Festival gegen rechts, sagt Birgit Lohmeyer, sondern eines für Demokratie und Toleranz. Es gibt Rock und vieles mehr, 200 Besucher kommen jedes Jahr.
Es ist dieses Festival, das die Rechten stört. Letztes Jahr tauchten zwei Neonazis auf. Sie waren über den Zaun geklettert, trugen T-Shirts mit dem Slogan "Hier rocken wir" in Frakturschrift. Sie waren betrunken, tanzten mit den Gästen auf eine übertriebene, provokative Art, erzählt Horst Lohmeyer. Dann wollten sie einen Gast überreden, aus ihrer Wodka-Flasche zu trinken. Der Gast wollte nicht, einer der Neonazis schlug zu, das Nasenbein war gebrochen. Es habe eine halbe Stunde gedauert, bis die Polizei da gewesen sei, sagt Horst Lohmeyer. Und dann hätten die Beamten gesagt, es sei keine rechtsextreme Motivation zu erkennen gewesen.
Kontakt abgebrochen
Das Festival nervt auch die neutrale Fraktion, die Menschen in den zwei Häusern, die sich ruhig verhalten. Sie haben den Kontakt zu den Lohmeyers abgebrochen. "Sie betrachten uns als diejenigen, die die Ruhe im Dorf stören", sagt Birgit Lohmeyer. Die Wegducker, sagt sie, würden abwarten. "Bürgerliches Engagement ist hier oft ein Fremdwort."
Vor ein paar Tagen rief dann Dieter Graumann an, der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland. Er fragte, ob die Lohmeyers den Paul-Spiegel-Preis für Zivilcourage annehmen würden. Am Nachmittag verschickte der Zentralrat dann eine Pressemeldung: "Durch ihr überaus beherztes Auftreten in Jamel setzen sie nicht nur selbst ein ganz besonders mutiges Zeichen im Kampf gegen den Rechtsextremismus, sondern ermuntern ebenso andere, auch über die Landesgrenzen hinaus, nicht aufzugeben und sich den rechten Strukturen ohne Furcht und entschlossen entgegenzustellen." Horst Lohmeyer stammelt ein bisschen, wenn er vom Preis erzählt: "Das ist schon eine tolle Auszeichnung." Dass man ausgerechnet von der Gruppe, die unter den Nazis am meisten gelitten hat, ausgezeichnet werde, mache ihn sehr stolz. Der Zentralrat vergibt diese Ehrung nicht jedes Jahr, sondern nur zu bestimmten Anlässen. Der erste Preisträger war 2009 Bernd Merbitz, Landespolizeipräsident von Sachsen, die Lohmeyers sind die zweiten.
Bei der Landtagswahl 2006 in Mecklenburg-Vorpommern hat die NPD 7,3 Prozent der Zweitstimmen geholt, sechs Abgeordnete sitzen jetzt für sie im Landtag. Die nächste Wähl ist am 4. September. Die Lohmeyers sagen, es sei besser, die NPD zu verbieten. Das Argument, dann würden die Neonazis schwerer zu kontrollieren sein, lassen sie nicht gelten.
Im nahe gelegenen Gewerbegebiet von Grevesmühlen steht ein braunes Gebäude, es ist umzogen von einem Holzzaun mit Sicherheitsdraht, auf dem Haus steht in Frakturschrift "Thinghaus". Es gibt einen Turm mit Scheinwerfern. Daneben hängt eine schwarz-weiß-rote Flagge. Nähert man sich dem Tor, schlagen zwei Hunde an. Auch hier das Schild von "Abriß Krüger" und eines der NPD, die hier Bürgersprechstunden anbietet. Als wir Fotos machen, geht ein älterer Mann vorbei und sagt: "Warum lasst ihr die nicht einfach in Ruhe?"
Die Internetseite Mupinfo, womit Mecklenburg und Pommern gemeint ist, wird offiziell nicht von der NPD betrieben, aber im Impressum steht das Thinghaus als Adresse. Auf Mupinfo wird der Paul-Spiegel-Preis für die Lohmeyers so kommentiert: "Aussitzen gegen Rechts genügt also bereits, um dicke Knete einzufahren." Bei all dem sei es "kein Wunder, daß sich da auch schon mal eine tote Ratte im Briefkasten findet oder eine Fuhre Mist auf der Grundstückseinfahrt abgeladen wurde". Die Lohmeyers und auch Bürgermeister Wandel sollten "endlich ihre Koffer packen und einsehen, daß ihre Zeit ebenso abgelaufen ist, wie das von ihnen propagierte asoziale System. Bald werden tatkräftige Männer und Frauen für den Aufbau gebraucht und keine demokratischen Dummschwätzer."