Generationen von Gymnasiasten hat es in der Deutschstunde die Sprache verschlagen bei dem vergeblichen Versuch, das verworrene Knäuel der verschiedenen Motive des “Don Karlos“ zu entwirren.

Generationen von Gymnasiasten hat es in der Deutschstunde die Sprache verschlagen bei dem vergeblichen Versuch, das verworrene Knäuel der verschiedenen Motive des "Don Karlos" zu entwirren. Jetzt macht Nicolas Stemann am Deutschen Theater reinen Tisch mit Friedrich Schillers Dramatischem Gedicht. Er zeigt, was Sache ist.

Zwar hat der Regisseur, bevor er sich 2003 auf derselben Bühne an einen Digest aus Kleists "Käthchen von Heilbronn" machte, in der Hauspostille verlautbart: "Das ist ganz bestimmt der letzte Klassiker, den ich inszenieren werde." Macht aber nichts, denn "klassisch" wird die Sache ohnehin keineswegs. Der Anfang sieht wieder wie eine Theaterprobe aus. Der "königliche Garten in Aranjuez": eine Reihe moderner Stühle auf vorderster Bühne vor geschlossenem rotem Samtvorhang. Das auf die Hauptfiguren zurecht gestutzte Stückpersonal in ganz und gar nicht historischer Kleidung.

Nur der Erbprinz trägt eine auffallend bedeutungsschwere Mühlrad-Krause um den Hals. Don Karlos - ein aufgeregter Schwächling in Trainingshose und mit "wilden Wallungen". So einem mag ein König und Erziehungsberechtigter bestimmt keine Verantwortung in Flandern übertragen, damit er was für die eigene Unsterblichkeit leisten könnte. Die verzweifelt geliebte Mutter, die ihm der Papa als Frau vor der Nase weggeschnappt hat, ist nicht die einzige, die den trotzigen Stiefsohn ermahnen muss, ein "Mann" zu sein. Philipp Hochmair spielt diesen überdrehten, kurzsichtigen, zerzausten Thronerben - er steht in der Nachfolge des pubertären Karlos-Kaspers, wie ihn Alexander Lang vor Jahren inszeniert hat.

Später liegt die Bühne als moderne Techno-Landschaft offen da. "Vielen Dank für die Mitwirkung bei den Überwachungsvideos..." heißt es, adressiert an Technik, Statisterie und einzelne Darsteller, im Programmheft. Denn Stemann verknappt das Drama auf den Eifersuchts-, Intrigen- und Politthriller. Spanien: eine Gerüchteküche, ein Lauschangriffsstaat. König Philipp (Ingo Hülsmann) ist ein einsamer jugendlicher Managertyp mit autoritären Gesichtskrämpfen. Er verhört die verdächtigte Gattin (nervig, zickig: Katharina Schmalenberg). Er hockt mit Kopfhörer am Tonbandgerät(ein auffallend altes Modell) und zappt sich, eifersüchtig argwöhnisch, die Unterredung Elisabeths mit Don Karlos auf die Projektionswände. Zwar gibt es noch dünne Tapeten, aufgebrochene Kassetten und ausgelieferte Briefschaften, aber hier ist ein moderner Staatssicherheitsdienst als Big Brother am Werk. Herzog Alba als eigentlicher Drahtzieher (Henning Vogt) trägt schwarzen Anzug auf tätowierter Haut und spricht, als hätte er Kreide gefressen. Domingo (Stefan Kaminski) ist, ganz in Weiß, weniger königlicher Beichtvater als Spezialist im Intrigenbusiness.

In diesem verminten Gelände agiert der Marquis (wir sehen die "Leipziger Fassung" des Stücks) nicht als Ideenträger, vielmehr als politischer Ehrgeizling und Karrieremacher (Alexander Khuon). Er meldet sich mit "Posa" am Telefon und lässt das sportliche Poloshirt und die Jeans fallen, um im Slip (schwarz, ohne Eingriff) mit dem bereits in Unterhose erscheinenden Staats-Chef (mehrfach zugeknöpfter Schlitz) von gleich zu gleich zu parlieren und "Gedankenfreiheit" einzufordern. Dass dies nicht der "Mann" ist, den die von Isoliertheit und Eifersucht zerfressene Majestät herbeisehnt, zeigt sich, wenn die beiden zusammen "Corrida" spielen. Olé! Natürlich haben die Lauscher diese "geheime Audienz" fest im Video-Griff.

Stemann verzichtet auf historischen und ideelichen Hintergrund. Er ist nicht wirklich an Schiller interessiert, wohl aber saugt er Honig aus den Hauptmotiven, solange sie Spannung und Effekt versprechen und zur Übersetzung ins eigene Konzept taugen. Bis auf das schlappe Geschlecht entblößt, tapert Don Karlos ins Liebesnest der intriganten Eboli (Constanze Becker). Alba drangsaliert Marquis Posa aufs Blut, bevor er ihn niederknallt.

Bis zur Pause ist die Tragödie immer wieder - amüsant. Der Reißer funktioniert erstaunlich und mit Verblüffung. Später geht der Regie deutlich die Luft aus. Sie versucht mit immer neuen Video-Übertragungen und -Verdoppelungen aus dem Off die eigene Atemnot zu überspielen. Revolutionärer Einkriegezeck auf der Hintertreppe des Deutschen Theaters. Sogar das alberne "Verweile doch" auf dem Vorplatz wird gestürzt. Anstelle des greisen Großinquisitors geht die spanische Stasi auf Filmsendung. Das letzte Wort hat die kleine Infantin. Sie liest den Schluss des Dramas aus einem Reclamheft. Ein später Beitrag zur "Werktreue".

Deutsches Theater , Schumannstr. 13 a, Mitte. Tel.: 284 41 225 Termine: 8., 11.

und 16. Februar; 9., 25. und 28. März.

Don Karlos Bewertung 3