Es gibt kaum einen anderen deutschen Elektronikmusiker, der an verschiedenen Orten der Welt so einen Heldenstatus genießt wie Manuel Göttsching. Im Eingang des Tokyo Tower Museums ist sein Konterfei in Stein gemeißelt neben Marilyn Monroe und Abraham Lincoln zu sehen. Das amerikanische Avantgardeklassikensemble Kronos Quartet wird mit ihm zusammenarbeiten. In Breslau hat er in einer Oper Stummfilmmusik aufgeführt. Und in Berlin? "Letztens war ich am Flughafen Tempelhof und wollte ein Auto mieten. Der Mitarbeiter schaute auf meinen Ausweis, sah meinen Namen und sagte nur: Ah, von Ash Ra Tempel!" Der Mann erinnerte sich an Göttschings Band aus den frühen siebziger Jahren, die heute kurz Ashra heißt.
In Japan oder England indes ist es möglich, dass man auf den Namen des Multiinstrumentalisten ganz anders reagiert und sagt: "Ah, E2 E4!". Dieses von der numerischen Einteilung des Schachbretts und Roboter R2 D2 im Filmklassiker "Krieg der Sterne" inspirierte Stück hat Göttsching unter eigenem Namen veröffentlicht. "Diese Veröffentlichung überschattet meine ganze Arbeit, obwohl es sich um eine einmalige Angelegenheit handelt, die ich als abgeschlossen betrachte. Aber "E2 E4' klingt ja auch nicht verkrampft, sondern entspannt und leger. Für DJs ergeben sich viele Ansatzpunkte, das Stück zu benutzen. Ich habe überhaupt nichts dagegen", sagt Göttsching.
"E2 E4" ist 1981 in einem Studioraum neben dem KaDeWe entstanden. Der Musiker war gerade von einer längeren Tournee mit Klaus Schulze heimgekehrt und fühlte sich noch in Spielstimmung. Da beschloss er, sich im Studio quasi selbst ein Konzert zu geben. Er improvisierte und zeichnete die Session mit der Bandmaschine auf. Und brachte die Musik 1984 selbst heraus.
Seit seinem Erscheinen erfreut sich das überlange Wunderwerk großer Beliebtheit, besonders in der Clubszene. Star-DJ Larry Levan hat es in New York in der legendären Discothek Paradise Garage regelmäßig am Ende seines Sets gespielt - und später Wert darauf gelegt, dass es bei seiner Beerdigung läuft. Giorgio Moroder, Dr. Motte, Alex Paterson (The Orb) oder der japanische Produzent Ken Ishii schwören alle auf diese Komposition. Immer wieder gibt es positive Rückmeldungen, auch von ganz jungen Leuten.
Der Bedeutung angemessen erscheint dieser Tage die Jubiläumsedition von "E2 E4" mit einer ausführlichen Erläuterung zur Entstehung, die Göttsching selbst verfasst hat. Nicht nur das, der 54-Jährige spielt den ewig jungen Oldie nun auch live. Premiere war bereits in Japan vor 20 000 Menschen. Das einzige Deutschlandkonzert findet kommenden Dienstag im Techno-Club Berghain in Friedrichshain statt. "Es ist heute ja doch einfacher geworden, so etwas zu machen. Was mussten wir uns früher mühen, um Synthesizer und Sequencer der älteren Generation durch die Gegend zu schleppen! Heute entsteht mit Laptop und Computerprogrammen im Gepäck ein wesentlich geringerer Aufwand."
Die weit verbreitete Meinung, es sei langweilig, Musikern an Computern live zuzusehen, kann Göttsching nicht mehr teilen. "Ich hatte früher auch Bedenken, aber dem Publikum gefällt es, wenn ich es so mache. Zudem bietet der Berghain-Club das richtige Ambiente, um aus dem Konzert einen Event für verschiedene Bedürfnisse zu machen. Man kann sich die Musik anhören, an die Bar gehen und sitzen oder zu ihr tanzen. Ich setze meiner Fantasie in meiner Musik nie Grenzen, warum sollte ich also für mein Publikum welche schaffen?"
Berghain,
Am Wriezener Bahnhof, Friedrichshain. 12. Dezember, 22 Uhr.