Columbiahalle: Netter Untoter von nebenan

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Wenn man Jüngeren erklären will, wer Alice Cooper ist, heißt es oft, er sei der «der Marilyn Manson der siebziger Jahre» gewesen. Ebenso gut könnte man ihn allerdings den Eminem dieser Epoche nennen. Die Rockmusik befand sich beim ersten Auftreten des Schock-Rockers um 1970 in einer ähnlichen Phase wie der Hiphop heute. Sie stagnierte weltbeherrschend auf einem hohen musikalischen Niveau. Gruselkasper Cooper und die Glamrocker verpassten ihr einen Theatralisierungsschub. So wie heute Eminems Erfolg weit über die Kreise von Hiphop-Süchtigen hinaus mit der zickigen Dramatik seiner Stimme und dem Kinderzimmergruselgekaspere zu tun hat, das man kaum ernst nehmen kann.

Die Fans von 1970 ff. bildeten jetzt beim Konzert in der Columbiahalle wieder den Kern des Publikums: «Kumma, Müritz!» wurden schon auf dem Parkplatz von weither angereiste Genossen begrüßt. In der DDR war Coopers Hit «School's Out» eine Hymne der Renitenz - «tierisch verboten» im Sinne von «Sonnenallee».

Viel hat sich nicht geändert in den vergangenen 30 Jahren: Gute Musiker hatte Cooper schon damals um sich, als seine Billion Dollar Babies mal eben Lou Reed für zwei Live-Alben begleiten durften. Und der privat absolut bürgerliche Zombie glänzte auf der mit Schrumpfköpfen und ähnlichem Geisterbahngerümpel vollgestopften Bühne durch eine an Schröder gemahnende schwarze Haarmatte und durch Gesten, die er schon als 20-Jähriger einsetzte. Nur die Stimme ist ein bisschen rauer geworden.

«No More Nice Guy» wollte Cooper einst sein. Nun ist er angesichts der immer verrückter werdenden Welt schon fast so etwas wie der nette Untote von nebenan geworden. Und wenn er sich zum millionsten Male in eine Zwangsjacke stecken und köpfen lässt, dann ist das so beruhigend wie die alljährlich wieder kehrende Einladung zum Grillabend bei einem netten Nachbarn. Matthias Heine