Es muss einen Auftrieb wie beim Casting für “Harry Potter“ gegeben haben, als die Ufa im Frühjahr 1931 per Zeitungsanzeige die Jungs der Hauptstadt aufrief, sich für die Verfilmung von “Emil und die Detektive“ zu bewerben.

- Erich Kästners Jugendbuch war anderthalb Jahre zuvor erschienen und millionenfach verschlungen worden. Auch Hans Richter, Sohn eines Sängers und einer Konzertmeisterin, begab sich hoffnungsvoll nach Babelsberg, im Gepäck eine Geheimwaffe, die er bei Familienfeiern stets treffsicher einsetzte: das Otto-Reutter-Couplet vom "Gewissenhaften Maurer". Der Zwölfjährige schmetterte unbekümmert den Refrain "Nu fang wa' gleich an!" Und der Film hatte seinen "Fliegenden Hirsch". Auch Emil (Rolf Wenkhaus) und Gustav mit der Hupe (Hans Joachim Schaufuß) waren Filmnovizen, nur Pony Hütchen besaß Kameraerfahrung: Sie war Elsie, die am Anfang von "M" vom Kindsmörder Peter Lorre umgebracht wird.

Es war keine Riesengage, die der "Fliegende Hirsch" kassierte - 500 Reichsmark -, aber sie sollte sich vervielfachen, denn mit Hans Richter hatte der deutsche Film der Dreißiger den idealen Lausbub gefunden: schlaksige Figur, rotzige Himmelfahrtsnase, wuchernde Sommersprossen. Solch ein Bengel musste rote Haare haben, und was die Zuschauer in Schwarzweißzeiten nur vermuten konnten, traf zu; ja, der Richter war ein Feuerschopf.

Als solcher tauchte er, noch vor der Volljährigkeit, in über 50 Filmen auf, als Schuljunge, Liftboy, Piccolo, Schuhputzer, Zeitungsverkäufer, Stift - aber auch als unpatriotischer Jungkommunist und Gegenentwurf zum Titelhelden in "Hitlerjunge Quex". Seine Manieren brachten ihm ständig Maulschellen ein, und die Liste der Stars, von denen er Filmohrfeigen fing, ist lang und illuster: Renate Müller, Carsta Löck, Kristina Söderbaum - und von der komischen Alten des deutschen Kinos, Adele Sandrock (die ihm zugleich einen seiner viel selteneren Filmküsse verpasste).

Richter stürzte nicht ab wie so viele Kinderstars. Morgens besuchte er die Menzel-Oberrealschule am Tiergarten, nachmittags erledigte er die Hausaufgaben und abends nahm er Schauspielunterricht beim altgedienten Albert Florath, mit dem er später in der "Feuerzangenbowle" auftreten sollte, Richter als Primaner Rosen und Florath als weißhaariger Mitzecher in der Bowlenrunde. Mit 18 baute Richter, wie von den Eltern verlangt, sein Abitur, und mit 20 wurde er zum Krieg einberufen, den - und die amerikanische Gefangenschaft - er einigermaßen unbeschadet überstand.

Auch der deutsche Nachkriegsfilm brauchte Knallchargen in langen Unterhosen, die sich Sahne ins Gesicht schmieren ließen. Richter spielte mit, bis er ein gutes Hundert Filme hinter sich gebracht hatte. Doch er diversifizierte, inszenierte fürs Fernsehen, spielte auf der Bühne den Papst in Brechts "Galilei" und den Pater in Frischs "Andorra". Dann, bei Dreharbeiten auf dem Marktplatz des malerischen Heppenheim zu einer weiteren Klamotte - "Herrliche Zeiten im Spessart" - kam seiner Frau die Idee, man könne vor den Fachwerkhäusern doch Festspiele veranstalten - was er die nächsten 25 Jahre auch tat.

Nun ist mit Hans Richter der letzte von Emils Detektiven gestorben, 89-jährig. Die anderen hatten weniger Glück. Emil selbst stürzte 1941 während der Luftschlacht um England mit seinem Bombenflugzeug ab. Und Gustav mit der Hupe verblutete im gleichen Jahr im Russlandfeldzug nahe Moskau.