Astrid Lindgrens “Karlsson vom Dach“ kennt jedes Kind. Aktuell ist im Kino der sprechende Ast Knerten zu erleben, der dem Jungen Lillebror zur Seite steht.

- Nicht nur in Büchern und Filmen, auch in der Realität haben Kinder solche imaginären Freunde. Wie Eltern damit umgehen sollten, sagt Klaus Seifried, Leiter des Schulpsychologischen Beratungszentrums Tempelhof-Schöneberg, im Interview mit Andrea Huber.

Berliner Morgenpost:

Müssen sich Eltern Sorgen machen, wenn ihre Kinder von Fantasie-Freunden erzählen?

Klaus Seifried:

Die kindliche Vorstellung darf man nicht mit dem Realitätsbewusstsein von Erwachsenen messen. Kinder stellen sich Märchen vor, sie stellen sich Filmfiguren vor. Es gehört zur kindlichen Entwicklung, dass solche Fantasiewelten gelebt werden. In einem Alter von bis zu acht Jahren vermischen sich Imagination und reale Wahrnehmung. Wenn Sie kleine Kinder beim Spielen beobachten, sind sie plötzlich Rennfahrer oder Lokomotivführer oder spielen Doktor. Wichtig ist aber, dass Kinder im realen Leben verankert sind. Wenn sie sozial sehr isoliert sind und sich alles auf die eingebildeten Freunde konzentriert, wird es problematisch.

Wie sieht es mit Stofftieren aus, mit denen viele Kinder spielen, reden und kuscheln?

Als Kind hatte ich ein Stofftier, mit dem ich gekuschelt habe, mit dem ich geweint habe. Das ist sehr hilfreich. Das sind Objekte, mit denen das Kind sprechen kann und auf die es Gefühle übertragen kann. Aber wenn diese Beziehung die einzige bleibt und das Kind keine anderen Freunde hat, sollten sich Eltern Sorgen machen.

Neigen fantasiebegabte und sprachlich talentierte Kinder eher dazu, sich solche Freunde auszudenken?

Fantasie ist eine Begabung: Jeder Erfinder stellt sich etwas vor, was es noch nicht gibt. Jeder kreative Mensch gestaltet Realität durch Fantasie. In der Kinderwelt mischen sich Fantasie, Realität und Spiel. Wichtig ist, dass die Kinder in der realen Welt altersgemäß verankert sind. Zurzeit erleben wir, dass auch Jugendliche und Erwachsene immer mehr in imaginären Welten leben - in virtuellen Welten. Ich denke da etwa an ein Mädchen mit ausgeprägter Sozialphobie, das den ganzen Tag vor dem Computer saß und keinerlei soziale Kontakte hatte. Sie hat sich mit ihrer Mutter den ganzen Tag in einer imaginären virtuellen Welt bewegt - in sozialen Netzwerken wie Facebook und Second Life. Virtuelle Welten bekommen im Alltag immer mehr Bedeutung. Die Gefahren von sozialer Isolierung und Computersucht steigen.

Studien zufolge leben bis zu zwei Drittel aller Kinder zumindest für eine Weile mit ihren Fantasiewesen. Welche positive Funktion haben solche fiktiven Freunde?

Kinder und Jugendliche brauchen das als Projektionsfläche, um Dinge zu verarbeiten, die sie beschäftigen. Das funktioniert wie bei einem Tagebuch, dem man Liebeskummer oder Streit mit den Eltern anvertraut. Genau so ist es möglich, mit einer virtuellen oder imaginären Person Gespräche zu führen und Dinge auszusprechen, die sonst nicht ausgesprochen würden. Das kann durchaus sinnvoll sein. Auch Wünsche und Hoffnungen zu entwickeln und zu projizieren, ist etwas ganz Wichtiges.

Wie reagieren Eltern richtig darauf?

Eltern sollten darauf achten, dass ihre Kinder auch außerhalb der Familie soziale Kontakte haben zu anderen Kindern. Das beginnt sehr früh mit der Krabbelgruppe. Dazu gehört auch, dass die Kinder Freunde zum Geburtstag einladen oder mal bei anderen übernachten dürfen. Wichtig ist ferner, dass Eltern Grenzen setzen beim Fernseh-, Video- und Computerkonsum. Unkontrollierter Zugang zu Medien und ausdauernder Konsum fördern das Abdriften. Eltern sollten sich um ihre Kinder kümmern und - altersgemäß - möglichst viel mit ihnen spielen. Und sie sollten Anteil nehmen am Leben ihrer Kinder.