Der Streit um die Wannsee-Flugroute des Hauptstadtflughafens BER geht in die Verlängerung. Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig wies das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg (OVG) zurück. Dieses hatte die umstrittene Route im Januar 2013 für rechtswidrig erklärt, weil das zuständige Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung (BAF) keine Risikoanalyse durchgeführt hatte. Dagegen hatte das Bundesamt Revision eingelegt – und das mit Erfolg. Denn das OVG-Urteil, so die Richter am Donnerstag, verstoße gegen Bundesrecht.
OVG-Urteil nicht ausreichend
Die Wannsee-Route ist eine von vier möglichen Strecken, die Flugzeuge nutzen sollen, wenn sie von der nördlichen Startbahn des BER in Richtung Westen fliegen. Für 83 Maschinen am Tag sollte der Weg in Richtung Norden über den Wannsee und Berlin führen. Und damit auch über das Helmholtz-Zentrum, in dem sich ein nuklearer Forschungsreaktor befindet, dessen Kern sieben Kilogramm spaltbares Uran 235 enthält. Die Richter in Leipzig argumentierten, dass zwar ein „Ermittlungsdefizit“ seitens des BAF vorliege. Es sei verpflichtet, Risiken der Flugroutennutzung für den Forschungsreaktor zu berücksichtigen, wenn die Risiken nicht in den Bereich des Restrisikos, also des allgemeinen Lebensrisikos, fielen. Allerdings reiche der Fakt, dass das BAF dem nicht nachgekommen sei, nicht aus, um die Route für unzulässig zu erklären.
Die Folge: Das OVG wird nun prüfen müssen, ob bei der Route im Fall eines Flugzeugabsturzes oder eines Terroranschlags ein Risiko besteht. Sprich, ob der Reaktor beschädigt und radioaktive Strahlung freigesetzt werden könnte.
Beide Seiten zeigten sich mit dem Urteil zufrieden. „Wir sind sehr optimistisch, dass es keine Wannsee-Flugroute geben wird“, sagte Anwalt Remo Klinger, der die Gegner vertritt. Gegen die Route geklagt hatten die drei Umlandgemeinden Teltow, Stahnsdorf und Kleinmachnow, eine Mitarbeiterin des Helmholtz-Zentrums sowie mehrere Grundstückseigentümer, die in einer Entfernung bis zu zehn Kilometern zum Reaktor wohnen. „Jetzt ist klar, dass das BAF sich nicht mehr herausreden kann und auch die Gegebenheiten am Boden berücksichtigen muss“, sagte Antje Aurich-Haider, Vorsitzende der Bürgerinitiative „Teltow gegen Fluglärm“.
Die Angst der Kläger vor radioaktiver Verseuchung ist nur ein Aspekt. Vor einem Jahr kündigte das Helmholtz-Zentrum an, den Reaktor, der 60 Jahre lang Neutronen für wissenschaftliche Untersuchungen lieferte, bis 2020 abzuschalten. In Zukunft will man sich als Energieforschungszentrum mit Schwerpunkt Materialforschung etablieren. Den Klägern ist vor allem auch die Lärmbelastung durch Flugzeuge ein Dorn im Auge. Doch selbst im Rahmen der Reaktor-Debatte könnten sie noch ihr Ziel erreichen. Denn sie gehen davon aus, dass das OVG ein unabhängiges Gutachten erstellen lässt. „Das Gericht hätte auch sagen können, dass das BAF eine Prüfung vornehmen muss“, so Anwalt Klinger, „doch bei dem OVG fühle ich mich in besseren Händen.“
Das BAF wiederum hatte eine Grundsatzentscheidung gefordert – und bekommen. „Das Urteil gibt uns als Behörde auf, noch mehr zu betrachten als bisher“, sagte Direktor Nikolaus Herrmann. Bislang habe das Amt bei der Routenplanung stets den Fokus auf Fluglärm gelegt. Jetzt habe das Bundesverwaltungsgericht sehr eindeutig gesagt, dass auch Risikoanlangen wie der Forschungsreaktor in die Planungen einzubeziehen seien. „Den Lehnsessel hat uns das Bundesverwaltungsgericht nicht hingestellt“, so Herrmann. Was in Sachen Wannsee-Route natürlich ein Vorteil ist. Denn auch bei der nun ausstehenden Risikoanalyse wird das BAF miteinbezogen.
Wo die BER-Flugzeuge in Zukunft unterwegs sind, bleibt aber offen. Das BAF will weiter an seiner bevorzugten Wannsee-Route festhalten. Über sie sollen die kleinen, leichten Flugzeuge gelenkt werden, während die größeren Flieger weiter westlich an Potsdam vorbeifliegen. „Das ist ein betriebliches Argument. Es ist sinnvoller, die Flugzeugtypen auf den Routen zu bündeln“, so Richter. Doch die Gegner fordern als Alternative eine weitere Route Richtung Westen. Ihr Motto: „Außen rum statt oben drüber“. Die Lärmbelastung wäre auf beiden Strecken dieselbe. Doch eine alternative Route, so Richter, benötige weitere detaillierte Planung. Das gilt auch für eine Alternative in südlicher Richtung, „diese wurde bisher nicht berücksichtigt. Ein krasser Abwägungsfehler“, sagt Klinger. Doch das BAF argumentiert, dass dann wiederum die Bürger von Rangsdorf erheblichem Fluglärm ausgesetzt wären.
Mehdorn soll Finanzen offenlegen
Am Boden gerät BER-Chef Hartmut Mehdorn derweil in Bedrängnis. Führende Haushaltspolitiker im Bundestag drängen ihn, endlich detaillierte Unterlagen zu dem Projekt vorzulegen. „Wir lassen uns nicht auf der Nase herumtanzen“, sagte die SPD-Haushaltspolitikerin Bettina Hagedorn „Handelsblatt Online“. Der haushaltspolitische Sprecher der Grünen, Sven-Christian Kindler, sagte, es sei untragbar, dass Mehdorn noch keinen Bau- und Finanzplan vorgelegt habe, wie ihn der Ausschuss im Mai angefordert hatte.
Mehdorn fordert zu den bislang bewilligten 4,3 Milliarden Euro zusätzlich knapp 1,1 Milliarden Euro, um den Flughafen fertig zu bauen. In Schönefeld trat am Donnerstag der Finanzausschuss des Aufsichtsrats zusammen, um darüber zu beraten. Der Aufsichtsrat war Mehdorns Wunsch Anfang April trotz stundenlanger Sitzung nicht nachgekommen und hatte mehr Informationen gefordert. Dem Vernehmen nach hat der Flughafenchef dem Finanzausschuss nun neue Unterlagen vorgelegt. Darin soll er die Summe von 1,049 Milliarden Euro Mehrkosten nennen, um den Flughafen fertig zu bauen und den Schallschutz für die Anwohner zu vollenden.