Sechs Berliner Schulen starten mit dem Projekt “Bauereignis“ - Kinder entwerfen und bauen die Möbel ihrer Lernräume selbst
Die siebenjährigen Schüler Jonathan und Fabio wünschen sich einen hohen Tresen und Barhocker im Klassenzimmer. Warum? Ganz einfach, weil sie dann zum Beispiel besser aus dem Fenster sehen können. Manchmal ist selbst die Architektin Susanne Wagner überrascht von den Ideen der Schüler, obwohl sie doch so naheliegend sind.
Die Kinder der jahrgangsübergreifenden Klasse der Rothenburg-Grundschule in Steglitz können in einem Bauprojekt mit Architekten die Einrichtung ihres Klassenzimmers selbst entwerfen und dann gemeinsam mit Handwerkern bauen. Insgesamt sechs Berliner Schulen nehmen an dem durch den Projektfonds Kulturelle Bildung geförderten Bauereignis teil. Geleitet werden die Workshops von den Architektinnen Katharina Süttlerin und Susanne Wagner.
In der vergangenen Woche haben die Schüler der Rothenburg-Schule ihre Träume gemalt, Ideen gesammelt, abgestimmt, Entwürfe gemacht und schließlich Modelle gebastelt. Ihr neues Klassenzimmer wird gerade noch saniert, doch die Schüler der ersten, zweiten und dritten Klassen durften sich den Raum auf der Baustelle schon einmal ansehen und vermessen, mit Klemmmappen und Zollstöcken.
Jetzt steht ein maßstabgerechtes Modell in der Mitte des alten Raumes. Und langsam nimmt es Form an. Ein Podest ist schon zu sehen. Eine abgetrennte Leseecke und Papp-Tische in verschiedenen Höhen. Denn während sich die einen Tresen wünschen, wollen die anderen kleine Würfel in Höhe eines Couchtisches, an denen sie auf der Erde sitzen können.
Ein Platz auf der Palme
Auf den bunten Traumbildern, die an die Tafel geheftet sind, sitzen die Kinder selbst oft ganz weit oben, auf einer Palme oder auf einem Baumhaus, manchmal aber auch ganz unten in einer Höhle oder auf dem Bett. Daneben hängen die Vorschläge für ihr Klassenzimmer. Der eine möchte eine Fußbodenbeleuchtung, der nächste eine Versteckmöglichkeit und ein anderer Liegestühle.
An diesem Morgen arbeiten die Schüler weiter an ihren maßstabgerechten Pappmöbeln. Fabio möchte einen dieser hohen Tresen aus Pappe bauen und greift schon mal zum Cutter-Messer. Susanne Wagner stoppt ihn. Zuerst komme das Zeichnen mit Bleistift und Lineal. Fabio schmollt. Auf das Zeichnen hat er keine Lust. "Dann schneidest Du eben Deine Lehrerin aus Pappe für das Modell", schlägt die Architektin vor. Dann könne er sich das Zeichnen sparen. Fabio ist sauer, er will den Tisch. Schließlich legt er das Cuttermesser weg, ohne es aus den Augen zu lassen, und greift zu Lineal und Bleistift. Dann ist er eine Stunde lang in seine Arbeit vertieft. Mal sitzt er dabei auf dem Boden, mal kniet er auf dem Stuhl und schließlich sogar auf dem Tisch. Am Ende hat er sein Tisch-Modell fertig. Stolz stellt er es zu den anderen Tischen in dem Klassenzimmer aus Pappe. Das Pausenzeichen ist längst vorbei, ohne dass er es gemerkt hat. Auch Sila (8) sitzt noch in der Pause vor dem Modell. Immer wieder räumt sie die Tische und Regale hin und her. "Es sind zu viele geworden", stellt sie fest. "Auch das gehört zum Lernprozess", sagt Architektin Susanne Wagner. Nach dem Ideensammeln und Basteln müssten sich die Kinder auch mit den Themen Platz, Geld, Ressourcen und den Bedürfnissen der Lehrer auseinandersetzen. Klassenlehrerin Christel Graaf beispielsweise muss darauf bestehen, dass die vielen Montessori-Arbeitsmaterialien irgendwo untergebracht werden können. Deshalb ist sie heilfroh, dass die Kinder sich ein Podest gewünscht haben. "Meine einzige Bedingung ist, dass das Podest hoch genug ist, um darunter genügend Stauraum zu haben", sagt sie. Auf diese Weise werde sogar noch Raum gewonnen, der jetzt durch die Schränke und Regale zugestellt sei. Dass es keine Tafel mehr vorn, sondern verschiedene Arbeitsecken in dem Modell gibt, stört sie nicht. "Wir arbeiten schon lange nicht mehr frontal, sondern individuell", sagt die Lehrerin.
Genau das ist das Problem: "Klassenraum und Lehrmethoden passen heute oft nicht mehr zusammen", sagt Susanne Wagner. Der Unterricht ist meist jahrgangsübergreifend, die Kinder in einem Klassenraum sind unterschiedlich groß, und der Unterricht muss auf die Bedürfnisse des Einzelnen abgestimmt sein. Doch die Gebäude sind oft hundert Jahre alt. Dieser Widerspruch brachte die beiden Architektinnen Süttlerin und Wagner vor sechs Jahren auf die Idee für dieses Projekt. Beide hatten ihre Kinder damals an der Nürtingen-Grundschule in Kreuzberg. Sie gehört zu einer der reformpädagogischen Vorreiterschulen in Berlin mit großer Jahrgangsmischung in den ersten, zweiten und dritten sowie in den vierten, fünften und sechsten Klassen. Die Architektinnen regten eine Neugestaltung der Lernumgebung an unter Einbeziehung aller Beteiligten. "Wir hatten Glück und fanden viel Unterstützung für die Idee", sagt Susanne Wagner. Jetzt steht die Nürtingen-Grundschule Pate für die neuen Schulen im Projekt. Alle Kinder können sich dort anschauen, was alles möglich ist.
Im echten Leben lernen
Auch Jonathan und Fabio aus der Rothenburg-Grundschule waren dort und haben sich von den hohen Tresen inspirieren lassen. "Die Höhe hat viele Effekte, die sich erst im Unterricht zeigen", sagt Susanne Wagner. Zum Beispiel auch, dass sich die Lehrerin nicht herunterbeugen müsse und dass die Schüler auch mal auf Augenhöhe mit den Erwachsenen reden könnten.
"Uns ist es wichtig, dass die Schüler wirklich an etwas Echtem arbeiten", so die Architektin. Nur so würden sie erleben, wie sie ihren Lebensraum mitgestalten können. Und so erleben sie auch, dass alles Zeit braucht und dass es dabei bestimmte Zwänge gibt.
Die Schüler an der Rothenburg-Schule müssen jetzt mit der nächsten Bauphase ihrer Einbauten und Möbel bis zum Frühjahr warten. Denn erst dann wird wegen einer Bauverzögerung die Sanierung des alten Schulgebäudes abgeschlossen sein.