Das Haus an der Solmsstraße 31 in Kreuzberg hat viel mitgemacht. Erbaut um 1880, hat es den Zweiten Weltkrieg unbeschadet überdauert und die Nachkriegszeit, als in ganz Deutschland Gebäuden mit Stuckverzierungen der Kampf angesagt wurde. Allein in Kreuzberg, einem der größten Gründerzeitviertel Europas, wurde bis 1979 von rund 1400 Häusern der Stuck abgeschlagen. Doch der Fassadenschmuck des Hauses an der Solmsstraße blieb erhalten - bis vor einem Jahr dann doch die vollständige Vernichtung der historischen Fassade erfolgte. Die Zerstörung hat einen Namen: Sie lautet "Wärmedämmverbundsystem" und sorgt dafür, dass alte Fassaden hinter bis zu 30 Zentimeter dicken Dämmplatten verschwinden.
"Ich bin ein in Berlin lebender Amerikaner und kann nicht verstehen, wie eine Stadt, die so unter den Kriegszerstörungen gelitten hat, jetzt ihr noch verbliebenes gebautes Erbe einfach so kaputt macht", sagt Jason Vaughan. Der 33-Jährige blickt kopfschüttelnd auf das Haus an der Solmsstraße. Zwar ist hier durch aufgebrachte Zierelemente versucht worden, den Charakter des Gebäudes im Nachhinein wieder herzustellen. Andere "Entstuckungen", etwa an dem einstmals prächtigen Jugendstilgebäude in der Trelleborger Ecke Schonensche Straße in Pankow, sind weit brutaler. Doch für Vaughan ist auch der nachträglich auf die Dämmfassade aufgebrachte Zierrat kein Ersatz für den deutlich filigraneren und vielfältigeren Schmuck des Originals. Für ihn ist es Ehrensache, mitzumachen bei der IGZHFW. Die Buchstaben stehen für die "Initiative gegen die Zerstörung historischer Fassaden durch Wärmedämmung". Vor allem im Internet (http://stadtbildberlin.wordpress.com/schwerpunktthema-energetische-sanierungen) dokumentiert sie den aktuellen Wandel des Berliner Stadtbildes durch den Einsatz von Dämmfassaden. "Wir rufen alle Berliner dazu auf, an unserer Datei mitzuarbeiten und uns Fotos zu schicken, die die laufende Vernichtung der Gründerzeitfassaden dokumentiert", ergänzt Jascha Braun, Doktorand am Institut für Kunstwissenschaft und Historische Urbanistik der TU Berlin. Mit einem offenen Brief haben sich die Mitstreiter des Bündnisses jetzt an den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) und die zwölf Berliner Bezirksbürgermeister gewandt, um auf den Verlust "differenzierter Schönheit und baukultureller Werte" hinzuweisen, der mit der staatlich geförderten und geforderten energetischen Sanierung einhergeht.
Alternative Methoden gefordert
"Besonders schlimm finde ich, dass noch nicht einmal in Frage gestellt wird, ob die Art der energetischen Sanierung überhaupt notwendig ist", so Jascha Braun. Der 26-Jährige ist Mitbegründer der Initiative und davon überzeugt, dass man die Altbauquartiere auch anderes energetisch ertüchtigen kann: Durch den Einsatz moderner Heizanlagen, die Dämmung von Keller und Dach oder auch die Nutzung alternativer Energien, etwa einer Solaranlage auf dem Dach. Viele Bauexperten, wie etwa Tobias Nöfer, Vorstandsmitglied des Architekten- und Ingenieurvereins zu Berlin (AIV), geben ihm Recht. Die massiv gemauerten Häuser der Gründerzeit mit ihrer dichten Blockbebauung seinen zudem meist ohnehin keine Energiefresser. "Mit den Gebäuden, die in den Baujahren ab 1950 bis Anfang der 80er-Jahre errichtet wurden, kann man sie jedenfalls nicht über einen Kamm scheren", so der Architekt. Nöfer lebt mit seiner Familie in Wilmersdorf, "in einem richtig schönen Altbau mit Stuckfassade", sagt er. Das Haus verfügt zudem über gut schließende Doppelkastenfenster und ein 65 Zentimeter dickes, massives Ziegelaußenmauerwerk.
"Zum Glück wurde das Haus bereits 2006 saniert", sagt Nöfer. Denn nach der Energieeinsparverordnung (EnEV) 2009 wurden bei einer Altbaumodernisierung, die mit wesentlichen baulichen Änderungen an Fassade, Fenster oder Dach einhergeht, die energetischen Anforderungen um 30 Prozent erhöht. Ausgenommen sind Gebäude, die unter Denkmalschutz stehen. Ein ungeplanter Nebeneffekt dieser Verordnung führt nun dazu, dass überall in Deutschland die Altbauten ihre Originalfassaden verlieren.
Von der Berliner Senatskanzlei hat Fassaden-Aktivist Jascha Braun bereits ein Antwortschreiben auf seinen offenen Brief bekommen. "Aus Sicht der Senatskanzlei ist ein angemessener Ausgleich zwischen Klima- und Denkmalschutz bei Gebäudeunterhaltung und Stadtbildpflege eine der zentralen politischen Zukunftsaufgaben", heißt es darin. Und weiter: "Der Regierende Bürgermeister hat zu Beginn der laufenden Legislaturperiode in den Richtlinien der Regierungspolitik betont, dass der Senat sowohl dem Denkmalschutz Rechnung tragen als auch mehr Flexibilität bei der energetischen Sanierung von Wohn- und Gewerbeimmobilien erreichen will." Nach dem Willen der Koalitionspartner solle ein denkmalschutzrechtlicher Kriterienkatalog erstellt werden, bei dessen Einhaltung eine Baugenehmigung zu erteilen ist.
Jascha Braun ist mit dieser Antwort nicht zufrieden. "Nur rund drei Prozent der Berliner Gebäude stehen unter Denkmalschutz, da hilft es auch nicht, wenn für diese paar Häuser ein Kriterienkatalog erarbeitet wird", befürchtet er.
Diese Sorge teilt auch der Bezirksbürgermeister von Friedrichshain-Kreuzberg, Franz Schulz (Grüne). "In diesem Jahr haben mich schon mehrfach Bürger angesprochen, die sich Sorgen um das Stadtbild machen", sagt Schulz. Er wolle gern dabei helfen, das Problem anzugehen. "Ich sehe ebenfalls mit Sorge, wie die schönen Fassaden verschwinden", sagt er. Nach seiner Einschätzung könne man den Dämmfassaden jedoch nur mit einer Gestaltungssatzung beikommen. Doch eine solche zu erlassen, sei "unglaublich mühselig", zumal genau nachgewiesen werden müsse, warum die Fassaden erhalten bleiben müssen.
Bauminister beraten
Trotz des Vorhabens der Bundesregierung, den CO²-Ausstoß in Deutschland bis 2020 um 40 Prozent zu senken, stoßen die dick verpackten Altbauten auch bundesweit zunehmend auf Unbehagen. Auf ihrer Sitzung am 20. und 21. September will die Bauministerkonferenz (BMK) in Saarbrücken deshalb unter Tagesordnungspunkt 12 das Thema "Baukultur und Klimaschutz" aufrufen. Die kulturelle Herausforderung, die sich aus den Folgen des Klimawandels und den Auswirkungen von Maßnahmen des Klimaschutzes auf Stadtgestalt und Stadtentwicklung abzeichnen, sollen besprochen werden. Eine "zunehmend besorgte Position der Bürgerinnen und Bürger zur Gefahr eines monotonen Erscheinungsbildes der Städte, dem Verlust ihrer Unverwechselbarkeit und damit von Standortqualitäten und Identität" hat die Referenten für Baukultur der Länder dazu veranlasst, die Entwicklung von Lösungen anzustoßen, die die baukulturelle Qualität der Altbauquartiere bewahrt.