Historiker fordern Erhalt der Kohlenhandlung des SPD-Politikers. Dem Bezirk fehlt das Geld dafür
Schmale, verwitterte Bürgersteige, ein holpriges Pflaster - eine schöne Straße ist die Torgauer Straße in Schöneberg nicht, aber eine geschichtsträchtige. Dass ein wichtiger Teil Geschichte allerdings verlorengehen könnte, darüber sorgen sich gerade Anwohner, aber auch Historiker. Dabei geht es um die ehemalige Kohlenhandlung des SPD-Politikers und Widerstandskämpfers Julius Leber (1891-1945) und seiner Frau Annedore (1904-1968).
Das Kohlengeschäft sicherte ihnen nicht nur die Existenz, sondern diente auch der Tarnung. Sie nutzten das ebenerdige Steinhäuschen auf dem Grundstück an der Torgauer Ecke Gotenstraße als Treffpunkt des Widerstands während des Nationalsozialismus. Leber hatte eng mit dem militärischen Widerstand um Stauffenberg und dem Kreisauer Kreis zusammengearbeitet, alle 14 Tage fanden Treffen von NS-Gegnern in der Kohlenhandlung statt. Am 5. Juli 1944 wurde Leber verhaftet, im Januar 1945 in Plötzensee hingerichtet. Seine Kontakte zu Stauffenberg hatte er auch in der Haft nicht verraten. Annedore Leber führte die Kohlenhandlung fort, gründete dort Ende der 40er-Jahre den Mosaik-Verlag, in dem sie politische und pädagogische Literatur verlegte.
Das Grundstück, um das es geht, ist Teil einer geplanten neuen Grünanlage parallel zur Bahn. Das Bezirksamt hat die Flächen bereits gekauft. Doch während die Pläne für die Grünanlage schon weit fortgeschritten sind, besteht noch weitgehend Unklarheit darüber, wie mit der ehemaligen Kohlenhandlung zu verfahren ist.
Eines scheint aber bereits klar zu sein: "Das gesamte Gebäude wird nicht erhalten bleiben." So steht es zumindest in dem Wettbewerb, den das Bezirksamt im März ausgelobt hat, um am historischen Ort der Kohlenhandlung der Geschichte zu gedenken. Am 13. August müssen die eingeladenen Künstler ihre Arbeiten abgeben. Für die Ausführung der Arbeit, über die eine Jury am 31. August entscheiden will, sind 20.000 Euro vorgesehen. Das Geld stammt aus dem Förderprogramm des Stadtumbaus West. "Sonst hätten wir uns das auch gar nicht leisten können", sagt Sibyll Klotz (Grüne), Stadträtin für Stadtentwicklung.
Dass es sich bei dem Haus nicht mehr um das aus der Nazizeit handelt, das Julius Leber und seine Frau für konspirative Treffen nutzten, darüber habe die untere Denkmalbehörde informiert. Nur noch 20 Prozent alter Bausubstanz sei vorhanden. Wegen eines Bombenschadens hatte Annedore Leber nach dem Krieg das Haus wieder aufbauen lassen. Auch die Berliner Geschichtswerkstatt, die seit Anfang der 80er-Jahre die Geschichte des Areals erforscht, fordert eine bauhistorische Untersuchung, um die Bedeutung der Kohlenhandlung bewerten zu können. Der authentische Ort könne auch in seiner historischen Entwicklung als steinerner Zeuge Geschichte erlebbar machen, sagt eine Sprecherin der Geschichtswerkstatt.
"Das Stadtplanungsamt wird noch ein Gutachten erstellen", sagt Kultur- und Bildungs-Stadträtin Jutta Kaddatz (CDU) auf Anfrage dieser Zeitung. Sie berichtet, dass Kultur-Staatssekretär André Schmitz zudem angeregt habe, einen Gedenkstätten-Experten als Sachverständigen hinzuzuziehen. Wie Johannes Tuchel von der Gedenkstätte deutscher Widerstand auf Anfrage sagte, sei er jederzeit bereit, dem Bezirk mit einer Expertise zur Seite zu stehen. Experten wie Tuchel könnten vielleicht auch klären, was aus dem Keller geworden ist, an den sich die Enkelin von Julius und Annedore Leber, Julia Heinemann, noch gut erinnert. Sie weiß auch, dass ihre Großmutter das unscheinbare Haus nach dem Krieg etwas vergrößert auf den Grundmauern des alten Hauses wieder aufgebaut habe: "Ich kenne es gut, schließlich bin ich dort aufgewachsen, ich war fast jeden Nachmittag dort", sagt die 61-Jährige, die in München lebt. Den Streit um das Originalhaus findet sie überflüssig: "Es ist doch auf jeden Fall das Originalhäuschen, in dem Annedore Leber bis zu ihrem Tod 1968 tätig war, das ist ein wichtiger Teil der ganzen Geschichte." Sie plädiert dafür, möglichst viel zu erhalten: "Ein begehbares Denkmal vermittelt doch ein ganz anderes Gefühl." Das sieht auch Michael Wildt, Geschichtsprofessor an der Humboldt-Uni, so: "Dieses kleine Gebäude ist ein historischer Ort, der gerade aufgrund seiner Bescheidenheit und Kleinheit besticht und deutlich macht, dass neben dem Bendler-Block, in dem Stauffenberg und seine Helfer versuchten, das Hitler-Regime zu stürzen, auch ein zivilgesellschaftlicher Widerstand existierte, der sich überall in Berlin finden ließ."
Der Kulturausschuss berät
Für die kulturpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion in der BVV, Melanie Kühnemann, wäre das jedoch "Geschichtsklitterung". Sie könnte sich aber vorstellen, dass die Umrisse der alten Grundmauern beispielsweise in Form einer Markierung nachgezeichnet würden.
Stadträtin Sibyll Klotz (Grüne) hätte nichts dagegen, es zu erhalten. Dezentrale Gedenkorte seien wichtig. "Klar muss aber auch sein, wie es finanziert wird. Der Bezirk kann es nicht", sagt sie. Geplant ist aber, das Thema auf die Tagesordnung des Kulturausschusses zu setzen. Er tagt am 9. August im Heimatmuseum Tempelhof.