Der Chef der Berliner Charité fordert eine Behandlung der ukrainischen Ex-Regierungschefin in Deutschland. Die Klinik sei dazu bereit.

Der Berliner Charité-Chef Karl Max Einhäupl hält eine Behandlung der inhaftierten ukrainischen Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko in ihrer Heimat für wenig aussichtsreich. Er habe Zweifel, dass in der Ukraine die notwendige Therapie erfolgreich durchgeführt werden könne, sagte Einhäupl am Freitag in Berlin. Grund sei, dass der Bandscheibenvorfall der 51-Jährigen chronisch geworden sei. Die Charité sei weiterhin bereit, sie zu behandeln.

Ihr Gesundheitszustand habe „sich deutlich verschlechtert“, sagte der Leiter der Orthopädie, Norbert Haas, bei der Vorstellung neuer Gutachten zu dem Fall. Haas und Einhäupl hatten sich zuletzt vor zwei Wochen in Charkow im Osten der Ukraine ein Bild vom Gesundheitszustand Timoschenkos und dem dortigen Krankenhaus gemacht. Dieses sei zwar „neu hergerichtet“, bestimmte Therapien seien dort jedoch nicht möglich, so Haas.

Timoschenko leidet nach Angaben der Charité „mit Sicherheit“ an einem oder mehreren Bandscheibenvorfällen. Dies hätten Untersuchungen ergeben, sagte Einhäupl. Der erste Vorfall habe sich Anfang Oktober 2011 ereignet, ein zweiter oder aber eine Verschlechterung des ersten im November. Die Diagnostik sei jedoch „von Oktober bis Januar“ verzögert worden, sagte Einhäupl. Die Behörden hätten offensichtlich vermutet, dass Timoschenko ihre Schmerzen simuliere. Ein großes Problem sei zudem, dass sie „kein Vertrauen“ in ihre Ärzte habe. Timoschenko habe berichtet, dass ihr Schmerzmittel nur dann verabreicht worden seien, wenn sie sich bereit erklärt habe, sich einer weiteren Vernehmung zu stellen.

Einhäupl nannte den gesundheitlichen Zustand von Timoschenko aufgrund des Hungerstreikes, den diese angetreten habe, bedrohlich. Aus seiner Sicht ist der Fall ein Kristallisationspunkt eines politischen Konfliktes. Einhäupl appellierte an den ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch: „Seien Sie ein humanitären Werten verpflichteter Präsident und lassen Sie Frau Timoschenko in das europäische Ausland ausreisen.“

Auf die Frage, ob eine Ausreise Timoschenkos nach Deutschland wahrscheinlich sei, sagte Einhäupl, es würden Gespräche auf höchster politischer Ebene geführt. Er halte die Ausreise allerdings momentan für „nicht sehr wahrscheinlich“. Die Politikerin befindet sich derzeit in einem Hungerstreik.

Die Berliner Charité-Ärzte wollen den Gesundheitszustand der Ex-Regierungschefin noch einmal beurteilen. „Wir sehen einen Grund, Frau Timoschenko jetzt noch mal in kurzer Zeit zu besuchen“, sagte Einhäupl. Angesichts des Hungerstreiks von Timoschenko sei eine erneute ärztliche Einschätzung der Charité wichtig.

Die Bundesregierung hat am Freitag die ukrainische Regierung erneut zu schnellem Handeln im Fall Timoschenko aufgerufen. „Es kann hier kein Spiel auf Zeit geben von der ukrainischen Regierung“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert mit Blick auf den Gesundheitszustand der Ex-Regierungschefin. Die Frage, ob Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zur Fußball-Europameisterschaft in Ukraine reisen werde, ließ er weiter offen. Bei der Entscheidung werde die weitere Entwicklung in dem Fall berücksichtigt.

Timoschenko war im Vorjahr in einem international umstrittenen Prozess wegen Amtsmissbrauchs zu sieben Jahren Haft verurteilt worden. Sie gilt als Opfer politischer Rachejustiz im Auftrag des gegenwärtigen ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch. 2004 hatte sie die gegen Janukowitsch gerichtete Orangene Revolution angeführt.