Großer Zapfenstreich

Für Wulff trötet die Vuvuzela das Abschiedslied

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Daniel Friedrich Sturm

Mit einem Großen Zapfenstreich hat sich Christian Wulff endgültig in den Ruhestand zurückgezogen. Seine Gegner waren bei dem Festakt nicht zu überhören: Mit reichlich Vuvuzela-Lärm bliesen sie dem ehemaligen Bundespräsidenten ihr ganz eigenes Abschiedslied.

Es ist nur ein Moment, aber in diesem Moment wirkt Christian Wulff so, als fühle er sich plötzlich entlastet, ja geradezu entspannt. Unverkennbar ist das Lächeln, das Wulff zeigt um kurz nach halb Acht an diesem Donnerstagabend. Gerade wurde der Große Zapfenstreich abgemeldet, leise noch sind die marschierenden Soldaten zu hören, dann verschwinden ihre Fackeln in der Ferne. Bettina Wulff ist an die Seite ihres Ehemannes geeilt. Der Altbundespräsident hat das rote Podest verlassen, auf dem er eine halbe Stunde lang kerzengerade ausgeharrt hat. Verteidigungsminister Thomas de Maizière steht bei ihm, außerdem das Ehepaar Seehofer. Sie wechseln knappe, vermutlich eher belanglose Worte. Doch Wulff scheint diesen Augenblick zu genießen nach all dem, was war und ist.

Gewiss, wie üblich wird auch bei diesem Großen Zapfenstreich kommandiert und marschiert, musiziert und zuletzt gesungen. Der Tradition entsprechend stehen vier Fackelträger auf dem Balkon des hell angestrahlten und warm erleuchteten Schlosses Bellevue. Die Kanzlerin ist da und der Präsident des Bundestages. Doch es sind Trillerpfeifen, Tröten und Vuvuzelas, die durchweg zu hören sind – und die den Geehrten wie seine Gäste ziemlich irritieren. Die Protestgeräusche sind bereits zu vernehmen, da ist das Stabsmusikkorps noch auf dem Anmarsch. Die Demonstranten machen ihrem Ärger über Wulff im wahrsten Wortsinn Luft. Das verstört erkennbar selbst den Kommandeur des Zapfenstreichs, während er „Augen geradeaus“ befiehlt oder als er verkündet: „Herr Bundespräsident, melde den Großen Zapfenstreich zu Ihren Ehren angetreten.“

Diese Störgeräusche aber sind symptomatisch, sie passen zu der zuletzt ziemlich lädierten Würde des höchsten Staatsamtes. Der Protest der Durchschnittsbürger korrespondiert mit Christian Wulffs zentralem Satz seiner Rücktrittserklärung, er sehe das Vertrauten „und damit meine Wirkungsmöglichkeiten nachhaltig beeinträchtigt“. Wer diese Analyse bislang bezweifelt hat, wird am Donnerstagabend im Berliner Tiergarten Ohrenzeuge ihrer Richtigkeit. Weiträumig sperrte die Polizei das Gelände um den Dienstsitz des Bundespräsidenten mit Stahlzäunen ab, beschlagnahmte gar Vuvuzelas. Doch jene Lärminstrumente sind nicht nur für begeisterte Fußballfans geschaffen.

Nicht von Sympathie getragen

Bevor im Park der Zapfenstreich beginnt, versammeln sich die Gäste im Schloss Bellevue zu einem Empfang. Kurz ergreift Horst Seehofer das Wort, der Bundesratspräsident „in Wahrnehmung der Befugnisse des Bundespräsidenten gemäß Artikel 57 des Grundgesetzes“, wie es im Protokolldeutsch heißt. Es redet also das amtierende Staatsoberhaupt. Seehofer verweist auf einige Reden und Reisen in Wulffs zwanzigmonatiger Amtszeit. Doch es sind in erster Linie Versatzstücke, die er verliest, nicht etwa von Sympathie oder gar Zuneigung getragene Worte.

Dann wendet sich Wulff zu Wort, hält eine kurze Rede. „Diesen Anlass“, setzt er an, „hatte ich mir für das Jahr 2015 vorstellen können. Nun ist es anders gekommen.“ Das ist wohl wahr, und es ist noch nicht lange her, dass der Bundespräsident Wulff über eine zweite Amtsperiode sinnierte. Doch es schimmert mehr Frohsinn als Trotz durch, wenn Wulff seinen niedersächsischen Landsmann Wilhelm Busch zitiert: „Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt.“ Das klingt fast lakonisch, und vielleicht schwingt gar selbstironischer Spott mit.

Wulff indes hat gelitten in den vergangenen Monaten, und gewiss liegt noch ein harter Weg vor ihm, dem einst jüngsten Bundespräsidenten aller Zeiten, dem 52 Jahre alten Staatsoberhaupt a. D. „Ich empfinde heute Bedauern, aber vor allem Dankbarkeit und Zuversicht“, sagt Wulff. Dann dankt er „für wundervolle Begegnungen mit eindrucksvollen Menschen, die sich einsetzen für ihre Nächsten“. Der langjährige Landespolitiker nennt zunächst den Bundesrat, danach erst den Bundestag. Wulff erwähnt die Bundesregierung, seine früheren Mitarbeiter, und dankt seiner Frau Bettina, „die unser Land auf großartige Weise überzeugend repräsentiert hat“. Bettina Wulff wirkt gerührt, berichten Teilnehmer des Empfangs. Auch Mitarbeiter zeigen sich ergriffen. Dann beschwört Christian Wulff noch einmal das „Wir“, das ihm stets so wichtig war. Er hoffe, beigetragen zu haben, dass ein Nachdenken „über unser deutsches ,Wir' entsteht“. Allgemeiner Beifall. Wulff nimmt seinen Sohn Linus auf dem Arm. Es gibt Finger Food, Saft Wein und Sekt.

Die Koalition demonstriert Präsenz

Wenig später strömen die Gäste aus dem Schloss in den Park. Bettina Wulff zeigt sich lächelnd, so hielt sie es schon am Vormittag des 17. Februar, während ihr Mann zur Rücktrittserklärung ansetzte. Kurz spricht sie mit Angela Merkel. Vor allem aber ist Bettina Wulff mit der 18-jährigen Annalena zu sehen, der Tochter aus Christian Wulffs erster Ehe. Jene selbstbewusste, kluge, junge Frau hatte ihren Vater einst auf seine Reise nach Israel begleitet. Nun steht sie kurz vor dem Abitur, und dies in einer schwer erträglichen Phase ihres Lebens. Annalena Wulff sitzt zwischen Bettina Wulff und Bundestagspräsident Norbert Lammert, daneben etliche Minister. Die Koalition demonstriert Präsenz. Fast scheint es, als seien für jeden der vier abwesenden Vorgänger Wulffs zwei Minister erschienen. Selbst solche Kabinettsmitglieder sind zugegen, die von Wulff wenig gehalten haben.

Um 19.01 Uhr tritt dann ein Quartett aus dem Schloss: Seehofer, Wulff, de Maizière und Generalinspekteur Volker Wieker. Ein Martinshorn und Pfiffe sind zu vernehmen, als sich die vier Männer auf das Podest begeben. Wie die Orgelpfeifen stehen sie da, der Größe nach: Der stämmige Seehofer, der fast ebenso große Wulff, dann de Maizière und Wieker. Die Scheinwerfer leuchten Christian Wulff aus. Er ist schmaler geworden, in sein Gesicht graben sich tiefe Falten.

Das Stabsmusikkorps spielt den Yorckschen Marsch auf, als es – sieben Mann pro Reihe – einmarschiert. Der Kommandeur ergreift das Wort. Dann tritt eine junge Soldatin vor Wulff. „Herr Bundespräsident“, spricht sie ihn an, so wie es auch nach der Amtszeit üblich ist, und überreicht ihm die Urkunde, die diesen Zapfenstreich dokumentiert. „Vielen Dank“, antwortet Wulff: „Das bedeutet mir sehr viel. Grüßen Sie das ganze Wachbataillon.“ Der Auftritt der Soldatin – das ist neu, und dem heutigen Weltfrauentag geschuldet. Wulff gefallen solche symbolischen Neuerungen.

Beethovens „Ode an die Freude“ wird gespielt. Wulff hatte sie sich als Europahymne gewünscht, heißt es, in Ergänzung zur Nationalhymne. Das Protokoll ließ das nicht zu. So geriet sie durch die Hintertür zum vierten Liedwunsch des Altbundespräsidenten. Es ertönt der „Alexandermarsch“, das Lied der 1. Panzerdivision in Wulffs politischer Heimat Hannover. „Over the Rainbow“, ein emotionaler Klassiker, und dann intonieren die Musiker des Stabsmusikkorps einen Gassenhauer des Kirchentages: „Da berühren sich Himmel und Erde“. Wulff verfolgt all dies von seinem Podest aus, im Schein vieler Fackeln und bei vielleicht gerade einmal fünf Grad.

„Helm ab zum Gebet“ wird befohlen, „Helm auf“, „Das Gewehr über“ und „Präsentiert das Gewehr“. Die Demonstranten pfeifen und trillern laut. „Schande, Schande“ rufen die Protestler, einige haben einmal mehr alte Schuhe mitgebracht, die sie Richtung Schloss in die Höhe halten. „Zapfenstreich abgemeldet“, wird dem Präsidenten a. D. um kurz nach halb acht mitgeteilt. Dann lächelt Wulff kurz. Er dreht sich noch einmal um. Die rund 200 Gäste applaudieren. Christian und Bettina Wulff wenden sich ab, eilen die Stufen hinab zum Schloss. Sie betreten das Bellevue, vermutlich zum letzten Mal für eine ganze Weile.