Nach dem Ende der Wehrpflicht hat Bundespräsident Christian Wulff vor einer neuen „Gleichgültigkeit“ gegenüber der Bundeswehr gewarnt. Die Armee gehöre in die „Mitte der Gesellschaft“, sagte Wulff am Mittwochabend beim ersten feierlichen Gelöbnis von etwa 450 ausschließlich freiwilligen Rekruten in Berlin. Wichtig sei auch die öffentliche Debatte über Einsätze wie in Afghanistan. Die Wehrpflicht - ein halbes Jahrhundert lang Grundpfeiler der Bundeswehr - ist seit dem 1. Juli ausgesetzt. Seither traten 3400 Frauen und Männer freiwillig den Wehrdienst an.
Opfer der Nazi-Justiz gedacht
Vor dem Gelöbnis hatten in der Gedenkstätte Plötzensee in der Hauptstadt führende Politiker an das gescheiterte Attentat auf Diktator Adolf Hitler vor 67 Jahren erinnert und der Opfer der Nazi-Justiz gedacht. Bundestagspräsident Norbert Lammert legte an der Gedenktafel im Bendlerblock einen Kranz nieder. An der Veranstaltung nahmen auch der Bundespräsident, Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) und Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) teil.
sAm 20. Juli 1944 hatten Offiziere um Claus Schenk Graf von Stauffenberg vergeblich versucht, Hitler mit einer Bombe zu töten. Noch in der Nacht wurden Stauffenberg und weitere Beteiligte in Berlin im Bendlerblock - damals Sitz des Heeresamtes - hingerichtet. Insgesamt fielen rund 200 Mitverschwörer der Nazi-Justiz zum Opfer. Das Gelöbnis findet jedes Jahr am 20. Juli im Gedenken an die Verschwörer statt.
Deutschlands Soldaten gehörten „in unsere Mitte, in unsere Schulen und Hochschulen und auf öffentliche Plätze“, sagte Wulff bei der Zeremonie vor dem Reichstagsgebäude. „Ihre Freiwilligkeit darf nicht zu Gleichgültigkeit in der Gesellschaft führen. Hier mache ich mir durchaus Sorgen, die hoffentlich unberechtigt sind.“ Die Gesellschaft müsse sich auch „noch mehr kümmern - gerade um die, die in ihrem Einsatz innerlich oder äußerlich verwundet wurden“.
Verteidigungsminister de Maizière betonte ebenfalls die Bedeutung der Armee: „Ohne die Bundeswehr kann der demokratische Staat Deutschland nicht bestehen und wenig ausrichten.“
Pazifisten parodieren Gelöbnis
Für das Gelöbnis sperrte die Polizei den Platz vor dem Reichstagsgebäude weiträumig ab. In der Vergangenheit hatte es gegen die militärische Zeremonie immer wieder Demonstrationen gegeben. In den vergangenen Jahren flaute der Protest jedoch ab. Am Mittwochabend meldete die Polizei keine größeren Zwischenfälle.
Anhänger linker Gruppen parodierten in Kreuzberg mit einem Kulturprogramm das Gelöbnis. Rund 100 Teilnehmer feierten am Heinrichplatz mit pazifistischen Liedern, eingespielten Kurzfilmen und selbst verfassten Kabaretttexten ein «GelöbNIX».
Nach Veranstalterangaben fand das bunte Treffen zum 15. Mal statt. Polizisten sicherten die Party mit Mannschaftswagen ab.
Ein Sprecher der Deutschen Friedensgesellschaft kritisierte in seiner Begrüßungsrede das offizielle Gelöbnis für die neuen Bundeswehr-Rekruten. Diese Soldaten würden „zum Morden in aller Welt vereidigt“. Der zeremonielle Akt sei ein „Zwangsgelöbnis“, auch wenn es sich erstmals in diesem Jahr um Freiwillige handele, die zum Dienst anträten.
Erste Freiwillige quittieren Dienst
Unterdessen wurde bekannt, dass die ersten freiwilligen Rekruten den Dienst schon wieder quittiert haben. Das Verteidigungsministerium nannte aber noch keine Zahlen. Das Ministerium erklärte, ein Trend sei frühestens im Oktober feststellbar. Die bisher bekannten Zahlen - angeblich bis zu 20 Prozent - lägen „absolut im Bereich des Normalen“. Die Freiwilligen haben eine sechsmonatige Probezeit, in der beide Seiten ohne Angaben von Gründen kündigen können.
Bei der Feierstunde in der Gedenkstätte Plötzensee würdigte Bundestagspräsident Lammert das entschiedene Eintreten der Verschwörer gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft. Dies sei Voraussetzung und Grundlage für die Wiederherstellung des Ansehens Deutschlands in der Welt gewesen.
Die Menschen im Widerstand hätten auf ihr Gewissen gehört, statt Befehlen zu gehorchen, sagte der Regierende Bürgermeister Wowereit. Sie seien auch unter heutigen freiheitlichen Verhältnissen Vorbilder. „Ihr Verhalten und ihr Opfer nimmt uns in die Pflicht, Gesicht zu zeigen gegen Rassismus, Diskriminierung und Gewalt, wo immer wir ihnen begegnen. Freiheit und Demokratie bedürfen der Verteidigung durch jeden einzelnen von uns“.