Yannick Gideon Nasir leistete zweimal einen Dienst für Deutschland. Zuerst diente er als Soldat auf einem deutschen Marine-Schiff vor der Küste des Libanon und dann sagte er vor Gericht gegen seinen Stiefvater aus – den inzwischen verurteilten al-Qaida-Terroristen Aleem Nasir aus dem pfälzischen Germersheim. Der Prozess im Jahr 2009 sorgte dafür, dass der heute 23jährige Yannick – Sohn einer deutschen Mutter und eines pakistanischen Vaters – in ein Zeugenschutzprogramm des rheinland-pfälzischen Landeskriminalamtes kam. Wer einen Al-Qaida-Mann hinter Gittern bringt, muss um sein Leben fürchten.
Yannick Nasir war Kronzeuge der Staatsanwaltschaft im sogenannten zweiten Koblenzer al-Qaida Prozess gegen Aleem Nasir. Durch den Stiefsohn erfuhr das Gericht, dass Vater Nasir in Pakistan als hochrangiger Islamist hohes Ansehen genoss und nach dem 11. September 2001 im Auftrag der al-Qaida, in Deutschland Geld und Ausrüstungsgegenstände besorgte.
Mit 15 zu den Dschihadisten
Jetzt wird bekannt, dass Yannick Nasir nicht nur von den Machenschaften des Stiefvaters wusste, sondern selbst in Kreisen eines terroristischen Netzwerkes verkehrte – als militärisch geschulter Gotteskrieger. Wie der Südwestrundfunk (SWR) am Mittwochabend in dem knapp einstündigen Radio-Feature "Inside al-Qaida" berichten wird, besuchte Yannick Nasir im Jahr 2003 mehrere Monate lang eine Koranschule und ein Ausbildungslager der pakistanischen Organisation Lashkar e-Toiba (LeT). LeT gilt als terroristische Dschihad-Gruppierung, die vor allem in der umkämpften Region Kaschmir aktiv ist, aber auch für den Anschlag von Mumbai im November 2008 verantwortlich gemacht wird. Yannick Nasir war beim Aufenthalt im LeT-Camp knapp 15 Jahre alt.
Im Jahr 2007 verließ der Ex-Dschihadist Yannick Nasir die zerrüttete Familie und ließ sich bei der deutschen Bundeswehr verpflichten. Dem SWR berichtet der Terror-Aussteiger, er habe als Marinesoldat auf der Fregatte "Hessen" Dienst geleistet. Vor der Küste des Libanon nahm Nasir am UNIFIL-Einsatz der deutschen Marine Teil. Auf einem Foto, das im Juni 2008 beim Besuch des damaligen Außenministers Frank Walter-Steinmeier (SPD) auf der "Hessen" entstand, soll Nasir zusammen mit dem deutschen Vize-Kanzler zu sehen sein. Nasir behauptet heute, die Bundeswehr habe von seiner Vergangenheit und dem Aufenthalt im pakistanischen Terrorlager gewusst. In einem persönlichen Gespräch habe ihm sein vorgesetzter Kommandant gesagt, er sei eingeweiht worden.
Als Yannick Nasir 2008 von der deutschen Polizei über seinen Stiefvater und dessen Machenschaften im Auftrag der al-Qaida befragt wurde, erklärte sich der damalige Zeitsoldat bereit, gegen Aleem Nasir vor Gericht auszusagen. Allerdings stellte der ehemalige Terrorschüler nach eigener Darstellung eine Bedingung: „Ich sage nur aus, wenn ich meinen Job behalten kann." Yannick Nasir ging offenbar davon aus, dass die deutschen Behörden seine berufliche Karriere nicht gefährden würden. Er strebte eine Unteroffizierslaufbahn bei der Bundeswehr an.
Im Prozess gegen seinen Stiefvater berichtete Nasir, dass er unter dessen Gewalttätigkeit gelitten habe. Er wurde geschlagen und ausgenutzt. Als die Familie 2002 kurzzeitig nach Pakistan auswanderte, wurde Stiefsohn Yannick zum Gehilfen und Kurier des Terror-Unterstützers Aleem Nasir. Auf Befehl des Stiefvaters schmuggelte er laut eigener Aussage, 40.000 US-Dollar in Schokoladen-Tafeln versteckt von Deutschland nach Pakistan. Das Geld soll dann an terroristische Gruppierungen wie Lashkar e-Toiba und al-Qaida geflossen sein.
Aleem Nasir, der 1992 deutscher Staatsbürger wurde und zunächst in einem Kernforschungszentrum in Karlsruhe gearbeitet hatte, verfügte über enge Kontakte zur Führung der Lashkar e-Toiba. Über die Gruppe geriet der heute 48jährige an Mittelsmänner der al-Qaida, die ihn beauftragten, in Deutschland Geld und neue Terrorrekruten zu besorgen. Mitte 2008 wurde Aleem Nasir verhaftet. Das Oberlandesgericht Koblenz verurteilte ihn im Juli 2009 zu einer achtjährigen Haftstrafe.
Aus "persönlichen Gründen" entlassen
Nach Beginn des Prozesses gegen seinen Stiefvater wurde Nasir, der als Kronzeuge mehrfach vor dem Koblenzer Oberlandes-Gericht auftrat, zunächst von der Bundeswehr beurlaubt. Kurz darauf entließ ihn die Bundeswehr vorzeitig aus dem Dienst. Man könne nicht für seine Sicherheit sorgen, hieß es aus dem Verteidigungsministerium, die Entlassung erfolge aus "persönlichen Gründen."
Heute fühlt sich Yannick Nasir als Opfer der deutschen Behörden. Sein Leben habe sich verschlechtert durch die Aussage gegen seinen Stiefvater. "Für mich hat sich das in keinster Weise gelohnt", so Yannick Nasir gegenüber dem SWR, "Im Gegenteil, ich habe sehr viel einbüßen müssen, ich habe dadurch sehr viel an Lebensqualität verloren. Aber ich bin trotzdem froh, es getan zu haben, und ich bereue es keine Sekunde."
Bislang reagierte das Bundesverteidigungsministerium nicht auf die Frage von Morgenpost Online, ob die terroristische Vergangenheit von Yannick Nasir vor dessen Einstellung bei der Marine tatsächlich bekannt war. Der für die Überprüfung von Bundeswehrmitgliedern zuständige Militärische Abschirmdienst (MAD) wollte sich auf Nachfrage nicht äußern und verwies auf das Verteidigungsministerium.
SWR-Terrorismus-Experte Holger Schmidt, der das Feature über den al-Qaida-Aussteiger produziert hat, hält die Aussagen Nasirs für glaubhaft. Er glaubt, die Bundeswehr habe Yannick Nasir aus Angst vor der öffentlichen Wirkung, einen Ex-Terroristen in den eigenen Reihen zu haben, entlassen. „Der junge Mann hat für Deutschland viel riskiert und wurde von der Bundeswehr dann fallengelassen wie eine heiße Kartoffel“, so Schmidt. Bundesanwaltschaft und das Gericht in Koblenz hielten Yannick für zuverlässig, erklärt Schmidt, "Warum soll er nicht Soldat sein können?"
SWR-Radiofeature "Inside al-Qaida - SWR 2 | 26.01. | 22:05 Uhr