Euro-Beitritt

Lettlands Wirtschaftsminister öfter in Berlin als in Moskau

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Florian Kain

Foto: Reto Klar

Daniels Pavluts ist der junge Wilde unter Europas Wirtschaftsministern. Im Interview wirbt der Politiker für den Euro-Beitritt von Lettland und verrät, dass er gern nach Prenzlauer Berg ziehen würde.

Er ist einer der „jungen Wilden“ unter den Politikern in der EU: Daniels Pavluts (36) steuert Lettland als Wirtschaftsminister in den Euro.

Am Mittwoch gelang ihm ein wichtiger Etappensieg: Die EU-Kommission gab die Empfehlung ab, das baltische Land zum 1. Januar 2014 in die Gemeinschaftswährung aufzunehmen. Das letzte Wort liegt nun bei den EU-Staaten selbst, deren Finanzminister am 9. Juli endgültig über die Aufnahme des zwei Millionen Einwohner zählenden Ostseelands entscheiden.

Doch Daniels Pavluts muss keinen Widerstand zu fürchten, denn Lettland steht glänzend da.

Der Harvard-Absolvent, der fließend englisch spricht, empfing die Berliner Morgenpost zum Exklusiv-Interview in der lettischen Botschaft an der Reinerzstraße in Grunewald.

Berliner Morgenpost: Herr Minister, was treiben Sie hier in Berlin?

Daniels Pavluts: Ich bin inzwischen häufiger in Berlin als in Moskau! Vier Mal in eineinhalb Jahren, das ist wirklich keine schlechte Quote, oder? Wir wollen mehr deutsche Mittelständler für ein Engagement in Lettland gewinnen, da lohnt es sich, häufiger vorbeizuschauen. Aber ich kenne Berlin auch durch private Trips. Im Vergleich der wenigen großen Metropolen Europas ist Berlin aus lettischer Sicht einfach die nächste. Berlin ist offen, international, multikulturell und trotzdem auch recht deutsch, das ist eine ziemlich attraktive Mischung. Und ich liebe Prenzlauer Berg! Wenn ich mal die Chance habe, für längere Zeit in Ihrer Stadt zu leben, dann werde ich mir in diesem Viertel eine Wohnung suchen. Hier im Grunewald, wo unsere Botschaft ist, wäre es mir auf Dauer doch etwas zu eintönig, ehrlich gesagt.

Wie sicher ist es, dass Sie am 1. Januar 2014 auf den Euro umstellen können?

Diese Fragen sollten Sie vielleicht besser an die EU-Staaten richten, die im Juli endgültig darüber zu entscheiden haben. An uns soll es jedenfalls nicht liegen. Wir haben unsere Hausaufgaben erledigt. Wir halten die Maastricht-Kriterien ein. Darauf sind wir stolz, denn das unterscheidet uns von den meisten Staaten Europas – übrigens auch von einigen, die sich bereits in der Euro-Zone befinden. Nicht Deutschland natürlich, aber Frankreich, Italien, Spanien, Portugal. Nun kann man vielleicht über die Aussagekraft der Maastricht-Kriterien diskutieren, aber so sind nun mal die Regeln. Jedenfalls musste Lettland jetzt auch nicht um irgendwelche Zugeständnisse bitten, wir finden das sehr angenehm. Schauen Sie, wir haben die drittniedrigste Inflationsrate in der EU. Unser Haushaltsdefizit betrug im vergangen Jahr gerade mal 1,2 Prozent, geplant waren 1,9. Es lag damit also klar unter der Drei-Prozent-Grenze, was unsere eigenen Erwartungen übertroffen hat. Und nach den schweren Rezessionsjahren 2008 und 2009 haben wir unsere Wirtschaft wieder auf Wachstumskurs gebracht. Wenn wirklich nur die harten Fakten zählen, dann gibt es keinen Grund, uns den Zutritt zur Euro-Zone zu verwehren.

Während Sie dem Euro entgegenfiebern, bedauern manche Deutsche, dass wir nicht bei der D-Mark geblieben sind, wie es uns Margaret Thatcher einst geraten hatten…

Tja, wenn Deutschland sich an ausnahmslos alles gehalten hätte, was Margaret Thatcher für richtig hielt, dann sähe Berlin heute anders aus. Die Mauer stünde wahrscheinlich noch, und ich vermute, der Potsdamer Platz wäre entsprechend leer. Ich sage das voller Respekt für diese großartige Lady, die aber – wie ihr Nein zur deutschen Einheit zeigt – auch nicht mit allem richtig lag. Natürlich sehen wir, dass sich Euro-Skeptiker auch in Deutschland zusammentun und versuchen, Stimmung zu machen. Ich hörte davon, dass sich zu diesem Zweck bei Ihnen jetzt sogar eine Partei aus Intellektuellen und Professoren gebildet hat. Ich finde deren Argumentation zwar etwas bizarr, da wohl kein Land so von der Gemeinschaftswährung profitiert hat wie Ihres. Aber Kritik gehört dazu, und solche Debatten müssen geführt werden.

Kennen Sie das aus Lettland?

Ja, bei uns wird gerade auch wieder das abschreckende Beispiel der südeuropäischen Staaten an die Wand gemalt. Dabei sind wir in einer ganz anderen Situation als diese zur Einführung des Euro. Wir werden sicher nicht den Fehler machen, im großen Stil Kapital zu verkonsumieren, wenn wir den Euro haben. Für Lettland war es lehrreich, am Rande des Staatsbankrotts gestanden zu haben. Unsere Wirtschaft ist jetzt nachhaltiger, exportgetriebener und in diesem Sinn auch deutscher, wenn Sie so wollen. Für mich hat auch die Vorstellung, dass Lettland dann Geld in den Rettungsfonds einzahlen muss, nichts Bedrohliches. Wir wollen helfen, das Überleben der Euro-Zone zu sichern. Die Vorteile, wenn wir mit am Tisch der Euro-Länder sitzen, überwiegen aus unserer Sicht eindeutig. Wir profitieren ja schon heute von unseren wirtschaftlichen Beziehungen in der Europäischen Union, und es kann nur noch besser werden, wenn die Transaktions- und Kreditkosten für unsere exportierenden Unternehmen sinken. Das garantiert der Euro...

… von dem nicht wenige sagen, er sei ein sinkendes Schiff.

Sicherlich sind in der Vergangenheit große Fehler gemacht worden. Aber der Euro ist nun wirklich nicht schuld an der miserablen Haushaltspolitik, die in einigen Ländern gemacht wurde. Da hat man schmerzvolle Ausgabenkürzungen jahrelang verschleppt, statt sie endlich zu beschließen. Der Euro hat dieses Missmanagement lediglich offenbar werden lassen. Wenn Sie mich fragen, ist die gemeinsame Währung viel mehr ein Teil der Lösung als ein Teil des Problems. Wir müssen ein leistungsstarker und international wettbewerbsfähiger Kontinent sein. Dafür brauchen wir den Euro.

Sie haben Lettland mit harten Sparmaßnahmen wieder auf Kurs gebracht. Wurden Sie schon mal nach Griechenland eingeladen, um Tipps zu verteilen, wie man einen Haushalt saniert?

Ehrlich gesagt nein, aber ganz so lange bin ich auf Regierungsseite auch noch nicht dabei. Grundsätzlich lautet meine wichtigste Lehre aus dieser Zeit: Man darf nicht zu lange zögern, das Unvermeidliche zu beschließen. Ich habe Zweifel, ob ich den Griechen darüber hinaus überhaupt sonderlich viele gute Ratschläge geben könnte. Wir könnten ihnen vielleicht schildern, wo und wie genau wir die Spar-Hebel angesetzt haben. Aber unser Wirtschaftssystem ist auch ein anderes und die Bereitschaft in der Gesellschaft, solche Maßnahmen mitzutragen, wahrscheinlich höher.

Sind Nordeuropäer wie Sie vielleicht leidensfähiger als Italiener oder Spanier?

So generell kann man das nicht sagen. Mentalitäten unterscheiden sich von Land zu Land und selbst zwischen Lettland, Estland und Litauen gibt es substanzielle Unterschiede, unterschätzen Sie das nicht. Andererseits tritt man wohl niemandem zu nahe, wenn man feststellt, dass die ökonomischen Paradigmen und politischen Kulturen in Südeuropa andere sind als bei uns. Ich bewundere unser Volk wirklich für das, was es in der Krise ertragen hat. Es gab nur eine Demonstration, die in Gewalt eskalierte, an einem einzigen Tag. Die Bevölkerung verstand den Sinn der Reformen. Die 50 Jahre unter sowjetischer Herrschaft haben sicherlich dazu beigetragen, dass die Ansprüche nicht in den Himmel gewachsen sind und vor allem ein gesunder Realismus vorherrscht. Mir ist klar, dass sich das in Gesellschaften, in denen eine ganze Generation nur Wohlstandswachstum erlebt hat, anders darstellt und vermeintliche Besitztümer verbissener verteidigt werden. Dabei haben einige nicht im Blick, welche wirtschaftlichen Opfer in Nordosteuropa erbracht wurden. Objektiv betrachtet hätten die Letten mehr Grund, mit ihrem Lohnniveau zu hadern, als zum Beispiel die Italiener. Die Löhne müssen und sollen auch bei uns wieder steigen – aber nicht stärker als die Produktivität insgesamt.

Sie sind neben Philipp Rösler der jüngste Wirtschaftsminister in der EU. Ihr deutscher Kollege hatte am Anfang mit Vorbehalten zu kämpfen, für den Job zu jung sein und zu wenig Erfahrung zu haben. Kennen Sie dieses Problem?

Und ob. Das ist wahrscheinlich überall das Gleiche und ging in meinem Fall los, als ich im Alter von 26 Staatssekretär wurde. Da verpassten mir einige gleich den Spitznamen „Pianist“, weil ich mal das Klavier-Diplom an der lettischen Musikakademie erworben habe (lacht). Natürlich ist Erfahrung wichtig, aber ab und an tut an Wachwechsel an der Spitze auch mal gut, und seine Jugendlichkeit verliert man ja eines Tages ohnehin, das ist unvermeidlich. Wenn man nicht nur Kritik zu hören bekommt, sondern ab und an auch mal Lob, dann gleicht sich das gut aus.