Auf der Straße betende Muslime, die freitagnachmittags ganze Stadtviertel „besetzt“ halten, Schulhöfe, auf denen „Deutschenfeindlichkeit“ regiert – das sind offenbar die Bilder, die Deutschen und Franzosen zuerst in den Sinn kommen, wenn sie an den Islam denken. Die anscheinend zunehmende Präsenz des Islam in ihren Ländern empfinden immer mehr Franzosen und Deutsche als „Bedrohung“ für die Identität ihrer Länder. 42 Prozent der Franzosen und 40 Prozent der Deutschen sind dieser Ansicht. Die Zahlen ermittelte das französische Meinungsforschungsinstitut Ifop in einer Umfrage für die Tageszeitung „Le Monde.“
Die Studie zeigt zweierlei: Deutsche und Franzosen sind sich trotz der unterschiedlichen Kolonialgeschichte und Zuwanderungstradition ziemlich einig in der Furcht vor und der Ablehnung des Islam. Zudem hat diese Ablehnung in den vergangenen zehn Jahren stark zugenommen. Trotz der unterschiedlichen Voraussetzungen sei es „frappierend“ zu sehen, dass die „harte und massive“ Beurteilung des Islam „in beiden Ländern dieselbe ist“, so Jérôme Fourquet, Leiter der Meinungsforschung am Ifop-Institut.
„Ökonomische Schwierigkeiten“ als Integrationshindernis
Indem sie eine grobe Übereinstimmung zwischen deutschen und französischen Positionen zum Islam nahelegt, zeichnet die Ifop-Umfrage ein anderes Bild als jene Studie, welche die Universität Münster mit TMS Emnid im Dezember veröffentlicht hatte. Die Religionssoziologen waren zu dem Ergebnis gelangt, die Deutschen seien „viel intoleranter gegenüber dem Islam“ als ihre westeuropäischen Nachbarn. Zieht man nun die Ifop-Untersuchung zum Vergleich heran, drängt sich der Verdacht auf, dass es mit der Toleranz der Franzosen gegenüber dem Islam so weit nun auch nicht her ist. In Deutschland finden 75 Prozent der Befragten, Muslime seien „nicht gut integriert“, in Frankreich 68 Prozent.
Interessant sind die Nuancen bei den Begründungen. In Deutschland ist die Zahl derer größer, welche die Schuld für die Integrationsverweigerung bei den Muslimen suchen: 67 Prozent der Deutschen sind überzeugt, Muslime seien vor allem deshalb nicht integriert, weil sie sich weigerten, sich anzupassen. In Frankreich glauben dies 61 Prozent. Stärker gewichten die Franzosen dagegen die integrationsbremsende Wirkung „kultureller Unterschiede“. Außerdem machen mehr Franzosen die „Ghettobildung“ verantwortlich als die Deutschen.
Dieser Unterschied erklärt sich dadurch, dass große Teile der etwa fünf Millionen Muslime in Frankreich in den „Banlieus“ leben. Die Vorstellungen von diesen Trabantenstädten werden von hoher Jugendarbeitslosigkeit und -kriminalität geprägt. 20 Prozent der Franzosen sind denn auch bereit, „ökonomische Schwierigkeiten“ als Hindernis auf dem Weg zur Integration anzuerkennen, in Deutschland nur halb so viele.
Wie stark sich die Meinungen zum Islam zugespitzt haben, zeigt der Vergleich zu vorherigen Untersuchungen. 1994 verbanden nur zwölf Prozent der Befragten in Frankreich mit dem Islam vor allem die „Ablehnung westlicher Werte“. Heute ist es fast ein Drittel der Bevölkerung. Ähnlich drastisch ist der Anstieg der Zahl derer, die sich gegen den Schleier aussprechen (59 Prozent) – vor zwanzig Jahren war der Schleier einer Mehrheit der Franzosen noch gleichgültig.
Gegensatz zu den "Werten der Republik“
Da sind die Deutschen wiederum etwas nachsichtiger als die Franzosen: 45 Prozent der Deutschen ist die Kopftuchfrage schnuppe. Dies könnte ein zarter Hinweis darauf sein, dass die Ergebnisse derartiger Umfragen stets auch von der Art und Weise abhängen, wie über Islam und Integration diskutiert und berichtet wird. In Frankreich, wo der Ganzkörperschleier im vergangenen Jahr nach heftiger und monatelanger Debatte gesetzlich verboten wurde – obwohl es im ganzen Land schlimmstenfalls ein paar Hundert Muslima mit Burka gibt– ist die Aversion gegen den Schleier spürbar größer als in Deutschland, wo das Thema bislang eher ein Nischendasein fristete.
Für die Anthropologin Dounia Bouzar besteht ein klarer Zusammenhang zwischen der Vehemenz der politischen Debatte und der Meinungsbildung. Mit der Debatte über den Ganzkörperschleier sei dabei ein neuer Höhepunkt erreicht worden. Der Islam werde mehr und mehr als Gegensatz zu den „Werten der Republik“ betrachtet, und dies, obwohl immer mehr islamische Verbände sich öffentlich zu diesen Werten bekannten.
Hört man Mohammed Moussaoui reden, den Präsidenten des Französischen Rates des muslimischen Glaubens (CFCM), gewinnt man den tristen Eindruck, dass gerade die moderaten Muslime resignieren. Gegen das herrschende Meinungsklima glauben sie, nichts ausrichten zu können: „Wir gehen durch eine schwierige Phase, die durch die verstärkte Sichtbarkeit des Islam bedingt wird“, so Moussaoui. Schuld an der wachsenden Spannung seien vor allem „extremistische Gruppen, die ein Klima der Angst verbreiteten“. Die öffentliche Meinung hält Moussaoui indes nicht für unumkehrbar. Momentan rät er seinen Glaubensbrüdern jedoch dazu, sich bedeckt zu halten. Forderungen nach Halal-Fleisch in Werkskantinen etwa würden die Stimmung gerade nicht verbessern. Und um durch betende Muslime verstopfte Straßen zu verhindern, hat der CFCM-Präsident die Imame in Frankreich dazu aufgerufen, lieber mehrere Freitagsgebete in ihren Gebetshäusern abzuhalten. Bislang allerdings ohne sichtbaren Erfolg.