Berlin. Im Kanzleramt verzichtet der türkische Präsident auf die große Provokation. Beide Seiten versuchen, in konkreten Fragen voranzukommen.
Es gibt für einen deutschen Regierungschef angenehmere Termine als den Empfang des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan in Berlin. Dieser herrscht seit Jahren wie ein Autokrat über sein Land. Außenpolitisch lässt sich das Nato-Mitglied Türkei oft nicht mehr einbinden. Für Kanzler Olaf Scholz war das Treffen mit Erdogan am Freitagabend deshalb in jeder Hinsicht ein diplomatischer Drahtseilakt. Das gilt umso mehr, als sich der Präsident im Gazakrieg auf die Seite der radikalislamischen Hamas geschlagen hat. Diese ist für ihn eine „Befreiungsorganisation“. Israel hingegen ist für Erdogan ein „Terror-Staat“.
Immerhin: Bei seinem gemeinsamen Auftritt mit Scholz im Kanzleramt war der Präsident so klug, diese Formulierungen nicht zu wiederholen. Zu erleben war ein übel gelaunter, dünnhäutiger Staatspräsident, der aber auf die ganz großen Provokationen verzichtete. Der Kanzler und seine Mitarbeiter dürften einigermaßen erleichtert sein. Hätte der Auftritt eine andere Wendung genommen, wären die deutsch-türkischen Regierungsbeziehungen womöglich auf Jahre hinaus ruiniert gewesen.

Die Dinge sind kompliziert. Die Deutschen und die Europäer brauchen die Türkei – als mögliche Vermittler in Nahost und der Ukraine, als Nato-Partner und als Land, das Flüchtlinge aufhält. Umgekehrt ist aber auch die Türkei auf Europa angewiesen. Das Land liegt ökonomisch darnieder, Erdogan hofft auf mehr Investitionen und Handel und eine Visa-Liberalisierung. Beide Staatslenker vermittelten am Freitag den Eindruck, dass sie willens sind, in wichtigen Politikfeldern gemeinsame Interessen zu definieren – allen Konflikten zum Trotz. Mehr kann man im Augenblick kaum erwarten.
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