Die Türkei und der Westen

Kilicdaroglu will versöhnen – doch ein Punkt bedeutet Ärger

| Lesedauer: 2 Minuten
Gerd Höhler
Kilicdaroglus Pläne: Dafür steht der Erdogan-Herausforderer

Kilicdaroglus Pläne- Dafür steht der Erdogan-Herausforderer

Kemal Kilicdaroglu, der gemeinsame Kandidat der türkischen Opposition, hat gute Chancen, neuer türkischer Präsident zu werden. Bei einem Wahlsieg will er die Türkei tiefgreifend reformieren. AFPTV erklärt, was der 74-Jährige vor hat.

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Kilicdaroglu will die beschädigten Beziehungen der Türkei zum Westen kitten. Doch Europa blickt mit Sorge auf eines seiner Versprechen.

Ankara. Recep Tayyip Erdogan hat die Beziehungen seines Landes zum Westen mehr als einmal strapaziert. 2021 sagte der türkische Staatschef, er „verfluche den österreichischen Staat“, weil Wien aus Solidarität mit Israel dessen Flagge aufziehen ließ. Altkanzlerin Angela Merkel warf er einst „Nazi-Methoden“ vor, dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron empfahl er öffentlich, seinen Geisteszustand untersuchen zu lassen. Die USA brachte Erdogan mit dem Kauf russischer Flugabwehrraketen gegen sich auf.

Zugleich blockiert die Türkei seit fast einem Jahr den Nato-Beitritt Schwedens – und setzt sie als einziges Land der Allianz die Sanktionen des Westens gegen Russland nicht um. Erdogan und Kremlchef Wladimir Putin sind ziemlich beste Freunde. Was würde ein Machtwechsel in Ankara nach der Parlaments- und Präsidentenwahl für das Verhältnis der Türkei zur EU und Nato bedeuten?

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Vor allem die politischen Umgangsformen könnten sich vom ersten Tag an ändern. Hasstiraden und persönliche Verunglimpfungen, wie es sie bei Erdogan gab, sind von dem besonnenen und verbindlich auftretenden Kilicdaroglu nicht zu befürchten. Aber nicht nur im Ton, auch in der Sache dürfte Kilicdaroglu neue Akzente setzen. Er hat bereits angekündigt, dass er Schweden sofort den Beitritt zur Nato ermöglichen werde.

Wahl Türkei-Wahl 2023
(Stichwahl)
Datum Sonntag (28. Mai 2023)
Ort Türkei
Gewählt wird Präsident
Wahlberechtigt sind Rund 64 Millionen Menschen
Kandidaten für Präsidentenamt Recep Tayyip Erdoğan (69) und Kemal Kılıçdaroğlu (74)

Mit der Abschiebung syrischer Flüchtlinge macht Kilicdaroglu Werbung

Die Westbindung der Türkei gehört zur politischen DNA der Kilicdaroglu-Partei CHP. Sie will neue Bewegung in die seit Jahren eingefrorenen EU-Beitrittsverhandlungen bringen. Bei nüchterner Betrachtung ist die Türkei zwar von einer Aufnahme noch viele Jahre entfernt, sofern man ihn überhaupt für realistisch hält. Aber von einer Vertiefung der Zollunion würden beide Seiten profitieren.

Ein Wahlversprechen, mit dem Kilicdaroglu seit Wochen um Stimmen wirbt, sieht man allerdings in Europa mit großer Sorge: Der Erdogan-Herausforderer will die rund 3,5 Millionen syrischen Flüchtlinge, die in der Türkei leben und dort unter der einheimischen Bevölkerung zunehmend unbeliebt sind, binnen zwei Jahren in ihre Heimat zurückschicken.

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Dass sie alle freiwillig gehen werden, ist nicht zu erwarten. Viele könnten versuchen, der drohenden Abschiebung dadurch zu entgehen, dass sie die Türkei in Richtung EU verlassen. Das Ergebnis wäre womöglich eine neue Flüchtlingskrise an den Grenzen zu Griechenland und Bulgarien.