Hilfe für Opfer

Erdbeben in Türkei und Syrien: So leiden die Kinder

| Lesedauer: 3 Minuten
Christian Unger (Text) und Reto Klar (Fotos)
Deutsche Bestattungsexperten identifizieren Tote im türkischen Erdbebengebiet

Deutsche Bestattungsexperten identifizieren Tote im türkischen Erdbebengebiet

Nach dem verheerenden Erdbeben helfen Bestattungsexperten aus Deutschland ehrenamtlich dabei, Verstorbene zu identifizieren und Leichname zu desinfizieren. Es ist eine belastende Aufgabe angesichts der vielen Toten.

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Viele Kinder sterben bei dem Beben. Für Überlebende beginnt eine Kindheit mit Trauma einer Katastrophe. Gerade in Syrien fehlt Hilfe.

Antakya.  Was Nazli noch von ihrer zwei Jahre alten Enkeltochter bleibt, hat sie bei sich, in der Jackentasche. Sie holt die Söckchen raus, rosa, schwarz und weiß gestreift. Mit den Händen umschließt sie die Socken, drückt sie an ihr Gesicht, an Mund und Nase, als wolle sie das kleine Kind selbst noch einmal spüren. Dann muss sie wieder weinen. Ein Nachbar drückt ihr eine Tablette in die Hand. Zur Beruhigung.

Hinter Nazli, 55 Jahre alt, liegt das Grundstück, auf dem nun kein Haus mehr steht. Sondern ein riesiger Haufen aus Schutt und Stahl hier in der Stadt Antakya im Süden der Türkei. Irgendwo dort liegt der Körper ihrer Enkeltochter. Kaum jemand glaubt mehr daran, dass sie noch lebt. Auf der Straße neben Nazli liegen Leichen in Säcken, die sie schon aus den Trümmern geborgen haben. Nazlis Enkeltochter hieß wie sie: Nazli.

Mehr als 40.000 Tote zählt die Statistik gut eine Woche nach dem Beben. Die Vereinten Nationen schätzen, dass allein in Syrien mehr als zwei Millionen Kinder von dem Erdbeben betroffen sind, tote und überlebende. In der Türkei sogar mehr als vier Millionen.

Und auch die Kinder, die überlebt haben, verlieren ihr Zuhause. In Antakya, einer Stadt an der Grenze der Türkei zu Syrien, wuseln Kinder um Zelte in einem Park. Es ist eines der improvisierten Lager für die vielen obdachlosen Familien. Manche der Kinder hocken auf dem Schoß ihrer Eltern, andere spielen auf dem Boden, ein Mädchen sitzt auf einer Parkbank und malt mit Buntstiften in einem Heftchen.

Gefunden im Schutt: Kuscheltiere, Kinderschuhe, Schulbücher, Spielzeugfiguren

Neben die Ruinen reihen Retter und Helfer oft Sachen auf dem Boden nebeneinander, die sie in den Trümmern finden. Immer wieder sind da auch: Kuscheltiere, Kinderschuhe, Schulbücher, Spielzeugfiguren aus Plastik.

An Alltag ist nicht zu denken. Schulen sind zerstört oder ohne Strom. Ärzte versorgen gebrochene Knochen, Quetschungen oder dehydrierte Körper. In den Kliniken berichten Ärzte von Babys, die wenige Wochen alt sind und aus den Trümmern gerettet wurden – aber von den Eltern fehlt jede Spur. Rund 1000 Kinder kann das türkische Familienministerium laut Medienberichten vor Ort niemandem zuordnen.

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Um das, was diese Katastrophe in den Köpfen der Kinder macht, kann sich noch kein Psychologe kümmern. Es können Hunderttausende sein, die psychische Folgen für viele Jahre mit sich tragen. Eine erste Idee ist, dass nun Trainerinnen und Trainer ausgebildet werden, die als eine Art „Ersthelfer für Trauma-Therapie“ eingesetzt werden sollen.

Einfacher ist der Transport von Gütern speziell für Kinder und Familien. Hilfsorganisationen legen einen Fokus auf die Sendung von Winterkleidung und Schlafsäcke für Kinder, Hygieneartikel für Familien, Babynahrung, Windeln. Vor allem in Syrien ist die Versorgungslage brisant.

Der kleine Yilmaz, gerade sieben Monate alt, hat überlebt. Seine ganze Familie auch. Mutter Fatma trägt den Kleinen auf dem Arm. Die Familie, die Eltern und der Junge, teilt sich mit anderen Überlebenden ein Zelt, das sie von einer Hilfsorganisation bekommen haben. Ihr Zuhause ist jetzt noch so groß wie eine Tischtennis-Platte.