Washington. Heillose Verwirrung in einer zerstrittenen und zunehmend radikalisierten, republikanischen Partei: Auch nach drei Wahlgängen gelang es nicht, einen neuen Sprecher des US-Repräsentantenhauses zu wählen, der nach Präsident Joe Biden und dessen Vizepräsidentin Kamala Harris die drittmächtigste Person in der politischen Hierarchie der USA sein wird.
Dabei ist eines schon klar: Die Partei liegt in Trümmern. Egal ob der zunächst favorisierte Kevin McCarthy irgendwann die Ziellinie überquert und seinen Traumjob bekommt, oder ob der Widerstand gegen ihn wächst und er das Handtuch werfen muss. Die Republikaner sind ohne Zusammenhalt, ohne politische Vision. Sie haben anscheinend nur das Ziel, in der US-Hauptstadt Chaos anzurichten.
USA: Kevin McCarthy erlebt trotz Zugeständnissen ein Debakel
Als die Abstimmung nach dem Debakel am späten Dienstagabend verschoben wurde, standen Erschöpfung und Verzweiflung den Abgeordneten ins Gesicht geschrieben. McCarthy verging das Lachen. Dabei hatte er nach den ersten beiden Runden noch gute Miene zum bösen Spiel gemacht. Der Karrierepolitiker aus Kalifornien hatte noch damit geprahlt, vor einigen Jahren den längsten Monolog in der Geschichte des Repräsentantenhauses gehalten zu haben.
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Im Klartext: Er habe Ausdauer, werde bis in die Nacht hinein Verhandlungen führen und um keinen Preis seine Kandidatur zurückziehen. Wenn neun Wahlgänge erforderlich sein sollten, so wie es zuletzt vor 100 Jahren der Fall war, würde er auch das mitmachen. Die schlechte Nachricht aber: Im Verlaufe der Nacht schien der Widerstand weiter zu wachsen. Am Ende stemmten sich 20 Parteikollegen hartnäckig gegen seine Wahl zum Republikanerchef.
Dabei hatte McCarthy dem rechten Parteiflügel zahlreiche Zugeständnisse gemacht: Ermittlungen gegen Präsident Joe Biden und dessen Sohn Hunter. Ermittlungen auch in den angeblich ungerechten und zu harten Umgang mit den Randalierern vom Sturm auf das Kapitol, von denen viele heute im Gefängnis sitzen. McCarthy stimmte selbst einer neuen Regel zu, die es den Erzkonservativen ermöglichen würde, ihn wieder abzuwählen, wenn er nicht nach deren Pfeife tanzt.
McCarthys Niederlage hat auch mit Donald Trump zu tun
Es reichte nicht. Fieberhaft führte McCarthy Verhandlungen mit seinen parteiinternen Gegnern. Einige von ihnen gehörten seinerzeit der erzkonservativen Fraktion „Freedom Caucus“ an, andere hatten sich lange vorher als Mitglieder der „Tea Party“ von der moderateren, politischen Basis der Konservativen gelöst. Die meisten waren aber schlichtweg Quertreiber, die eines gemeinsam haben: Sie unterstützen bis heute die Wahllüge des ehemaligen Präsidenten Donald Trump und blieben auch nach dem gescheiterten Putschversuch vom 6. Januar vorletzten Jahres glühende Anhänger der „MAGA“ und „America First“ Bewegung.
Sie sind bis heute sauer darüber, dass McCarthy bei den Kongresswahlen im vergangenen November weder sie noch die anderen von Trump geförderten Kandidaten – die dann größtenteils tatsächlich peinliche Wahlschlappen hinnehmen mussten – unterstützt hat.
Waffenfanatiker, QAnon-Anhänger: Das sind McCarthys Gegner
Unter ihnen Matt Gaetz aus dem „Florida Panhandle“, dem „Pfannenstiel“ im Nordwesten Floridas. Gegen ihn wurde ermittelt, weil er minderjährige Mädchen für Sex bezahlt haben soll und sie angeblich auf Steuerzahlerkosten auf Dienstreisen mitnahm. Trotzdem wurde Gaetz im November wiedergewählt. Oder Lauren Boebert aus Colorado, die dort ein „Open Carry“ Restaurant betrieb, in dem sie Gäste aufforderte, mit geladener Waffe zum Mittagessen zu kommen.
Auch Marjorie Taylor Greene aus Georgia, bis heute eine Anhängerin der rechtsgerichteten QAnon-Bewegung, die meint, dass die ehemalige Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton vom Keller einer Pizzeria in Washington aus Menschenhandel mit kleinen Kindern betrieben habe.
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Donald Trump zehrt von dem Chaos in seiner Partei
Keiner von ihnen wäre jemals auf nationaler Ebene, etwa als Präsidentschaftskandidat, tragfähig. Gleichwohl haben sie dieser Tage ihre Nische gefunden: Als Obstruktionisten, die plötzlich im Rampenlicht stehen, ihr Quäntchen Macht voll auskosten und bereit sind, die Schwächen und die Zerstrittenheit unter den Republikanern nicht nur bloßzulegen, sondern die Partei eventuell sogar zu Fall zu bringen. „Ich bin mir nach diesem Debakel nämlich tatsächlich nicht mehr sicher, welche Zukunft die Republikaner als Partei tatsächlich noch haben“, sagt der ehemalige, republikanische Kongressabgeordnete Charlie Dent.
Eine entscheidende Rolle spielt dabei auch der dunkle Schatten des ehemaligen Präsidenten Donald Trump, der die rechtsgerichteten Quertreiber mehr als zwei Jahre nach seiner eigenen Abwahl weiter im Würgegriff hält und eigenhändig dem Spektakel um die Wahl des „Speaker of the House“ ein Ende setzen könnte. Zwar hatte er McCarthy seine Unterstützung zugesagt, hüllt sich nun aber hartnäckig in Schweigen. Schließlich genießt der Ex-Präsident, der bisher als einziger Republikaner seine Kandidatur für 2024 bekanntgegeben hat, das Chaos. Er zehrt sogar davon.
Zudem braucht Trump, dessen Kampagne nach den Niederlagen im November bedenklich ins Wanken geraten ist, dringend einen Impuls – und das Chaos um McCarthy könnte ihn wieder in die Schlagzeilen katapultieren. Warum er denn nicht zum Smartphone greift, Gaetz, Boebert, Greene und andere anruft und ihnen einfach sagt, sie sollten McCarthy ihre Stimme schenken, wollte der ehemalige Präsident nicht sagen. Er kommentierte lediglich: „We’ll see what happens....“, also: „Wir werden sehen, was geschieht...“
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