Berlin. Gut 38 Prozent: Auch die größten Optimisten in der konservativen ÖVP hatten nicht mit einem derartigen Ergebnis gerechnet. Ein grandioser Wahlsieg für Österreichs Ex-Kanzler Sebastian Kurz. Der Ibiza-Skandal, die rechtsextremistischen Ausrutscher seines Koalitionspartners FPÖ, die ausländerfeindlichen Töne des früheren Innenministers Herbert Kickl – nichts blieb an dem 33-jährigen Strahlemann Kurz hängen.
Doch so fulminant der Wahlerfolg: Jetzt fangen die Probleme für Kurz erst an. Bei der Wahl seines Bündnispartners steckt er in einer riesigen Zwickmühle. Trotz der Klatsche für die FPÖ würde er am liebsten wieder mit den Rechtspopulisten regieren. Noch am Wahlabend hob er die „sehr gute Zusammenarbeit“ in seiner rund 18-monatigen Amtszeit hervor.
80 Prozent Übereinstimmung zwischen ÖVP und FPÖ
„Die Übereinstimmung von ÖVP und FPÖ in Themen ist über 80 Prozent“, sagt der Politikwissenschaftler Peter Filzmaier. Insbesondere bei der restriktiven Migrationspolitik, bei der inneren Sicherheit und bei Steuererleichterungen für Bürger und Unternehmen sind die Schnittmengen groß.
Dabei hatte die Koalition sozial- und arbeitspolitisch eine Reihe umstrittener Beschlüsse gefasst. Diese treffen vor allem jene, die nur ein geringes Einkommen haben. Neben einer Ausweitung der täglichen Höchstarbeitszeit auf zwölf Stunden hat die Allianz aus Konservativen und Rechtspopulisten auch Mittel für Arbeitssuchende gestrichen und die Mindestsicherung gekürzt. Geschadet hat ihr das nicht.
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FPÖ müsste sich für Kurz runderneuern
Doch ein schlichtes „Weiter so“ würde Kurz‘ Saubermann-Image Kratzer verpassen. Der neue und alte Kanzler könnte nur dann eine erneute türkis-blaue Koalition verkaufen, wenn die FPÖ Ballast abwirft, sich vom korruptionsanfälligen Ex-Chef Heinz-Christian Strache trennt und als runderneuerte Partei daherkommt.

Die Chemie zwischen Kurz und dem neuen FPÖ-Vorsitzenden Norbert Hofer stimmt. Doch kann er sich halten? Eine in interne Machtkämpfe verstrickte FPÖ wäre für Kurz ein Klotz am Bein.
Ein Bündnis mit den Grünen wäre prickelnd, böte aber viele Reibungspunkte
Die gestärkten Grünen wären hingegen eine prickelnde Option für Kurz. Aber dafür müsste sich der durch und durch konservative Kurz neu erfinden. Es wäre mit viel Arbeit, Reibungspunkten und möglicherweise der Beschädigung von Kurz‘ Markenkern verbunden. Viele Österreicher lieben den Mann, der maßgeblich an der Schließung der Balkanroute mitgearbeitet hat.
Die Grünen wollen hingegen eine offene Migrationspolitik und Österreich zur „Umwelt- und Klimaschutz-Nation Nummer eins in der Welt“ machen, wie es Parteichef Werner Kogler formuliert hat. Eine Öko-Steuer ist für sie der Königsweg.
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Die größte Herausforderung seines Lebens
Kurz hat keine Zeit, seinen Wahl-Triumph zu genießen. Die Wahl des Koalitionspartners ist eine Herkulesaufgabe. Und die Risiken sind hoch: Glaubwürdigkeit und Stabilität stehen auf dem Spiel.
Österreichs größtes politisches Talent seit Langem steht vor der kniffeligsten Herausforderung seines Lebens. Die Sondierungsgespräche dürften sich viele Wochen hinziehen.