Berlin. Björn Höcke bringt seine Anhänger in Stellung – gegen den Staat. Bei der Polizei, bei den Gerichten, in der Stadtverwaltung.
Vor einigen Tagen nutzte der Thüringer AfD-Chef bei einem Treffen des extrem rechten „Flügels“ in Sachsen die Gelegenheit und wandte sich direkt an die Verfassungsschützer: „Aus zuverlässigen Quellen“, erklärte Höcke, wisse die Partei, dass es „etliche Beamte sind, die vor Wut kochen, weil sie sich als neutrale Staatsdiener missbraucht fühlen“ durch die Beschäftigung der Behörde mit der AfD.
Höcke, selbst Beamter, weiß auch, dass Staatsdiener Anweisungen, die sie für rechtswidrig halten, nicht widerspruchslos ausführen müssen. Das Stichwort heißt: Remonstrationsrecht. Er appelliere deshalb an diese Verfassungsschützer: „Machen Sie von diesem Recht Gebrauch!“ Sie sollen sich gegen die Entscheidung des Amtes stellen, die Partei ins Visier zu nehmen.
AfD-Beamte sind Richter, Soldaten, Polizisten
Die AfD, der Staat und seine Beamten – spätestens seit der Verfassungsschutz erklärt hat, die gesamte AfD als „Prüffall“, Teile sogar als „Verdachtsfall“ zu behandeln, ist das eine Beziehung unter Spannung.
Lehrer, Richter, Soldaten, Polizisten – es sind einflussreiche Leute, die die Partei in ihren Reihen sammelt. Wie viele der rund 35.000 AfD-Mitglieder Beamte sind, ist nicht bekannt. Die Angabe nach dem Beruf bei Parteieintritt ist freiwillig, sagt ein Sprecher der Partei, deswegen könne keine repräsentative Aussage getroffen werden.
Aber es gibt Anhaltspunkte: Unter den 281 Abgeordneten der Partei, die im Bundestag und in den Landesparlamenten sitzen, sind derzeit nach Recherchen unserer Redaktion mindestens 46 Beamte, darunter einige in Pension.
Bei den Landtagswahlen Thüringen, Brandenburg und Sachsen im Herbst dürfte sich ihre Zahl noch erhöhen. Gleich vier Polizisten stehen auf der Liste der AfD in Thüringen – weil sie nicht nachvollziehen könnten, wie in Deutschland „Recht gebogen“ werde, sagt Ringo Mühlmann, Beamter des Landeskriminalamts Thüringen und selbst auf Listenplatz 14. Es ist Höckes Landesverband.
Höcke im Visier
Der Verfassungsschutz schaut auf die AfD. Und damit ist klar: Der Staat schaut jetzt auf seine eigenen Leute. Der beurlaubte Lehrer Höcke selbst hat einen erheblichen Teil dazu beigetragen.
In dem Gutachten, in dem der Inlandsgeheimdienst zu dem Schluss kommt, dass es in der AfD „deutliche Anhaltspunkte für eine Ausrichtung der Partei gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung“ gibt, drehen sich gleich mehrere Unterkapitel um ihn und sein Weltbild.
- Im Landtag von Sachsen-Anhalt in Magdeburg sitzen zwei Polizeibeamte für die AfD.
- Die AfD-Fraktion im Landesparlament von Mecklenburg-Vorpommern in Schwerin wird von dem Polizeibeamten Nikolaus Kramer angeführt.
- Für die Wahl in Brandenburg kandidiert auf sicherem Rang neun der Landesliste ein Bundespolizist.
- Bei der AfD in Sachsen steht bisher nur fest, dass der Polizeioberkommissar Sebastian Wippel erneut als Kandidat zur Landtagswahl antritt.
Sachsen will AfD-Mitgliedschaft prüfen
Polizisten sollen in Deutschland das geltende Recht durchsetzen. Sie sollen, wie alle Beamten, für die Grundordnung unserer Demokratie einstehen. Nur was, wenn gerade an diesen Schaltstellen des Staates Menschen sitzen, die das bestehende System bekämpfen wollen?
Oliver Malchow, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei, sagte, dass er erwarte, dass jeder Beamte, der für die AfD antrete, sich klar von Höcke und dem Flügel distanziere. Die AfD reagierte erwartbar empört, sprach von einem Schlag ins Gesicht. Doch die Frage steht im Raum: Wie soll der Staat umgehen mit Beamten, die ihm möglicherweise schaden wollen?

Die ersten Behörden ziehen Konsequenzen. So kündigte Gordian Meyer-Plath, Chef des sächsischen Landesamts für Verfassungsschutz, laut „Freie Presse“ an, dass Beamte im Freistaat künftig bei Sicherheitsüberprüfungen auch gefragt werden, ob sie Teil des Flügels oder der Jungen Alternative (JA) sind, die ebenfalls als Verdachtsfall geführt wird. Welche Konsequenzen eine Mitgliedschaft haben solle, müsse im Einzelfall entschieden werden.
Thüringen ist vorsichtig
In Thüringen formuliert man vorsichtiger: Die jüngste Entscheidung des Bundesamtes, die „Junge Alternative Deutschland“ und den „Flügel“ als Verdachtsfälle zu führen, der sich die Thüringer Verfassungsschutzbehörde angeschlossen hat, sei grundsätzlich von Bedeutung für die Beschäftigung in sicherheitsrelevanten Bereichen, sagt Stephan Kramer, Präsident des dortigen Verfassungsschutzes.
Auch im Bundesinnenministerium macht man sich darüber Gedanken. Das sei eine Frage, die öfter an das Haus herangetragen werde, sagte Innenminister Horst Seehofer (CSU) unserer Redaktion.
„Deshalb habe ich mein Haus gebeten, diese Frage der Mitgliedschaft und welche Verpflichtungen für einen Beamten entstehen hinsichtlich der politischen Zurückhaltung, noch mal sehr genau für mich zu prüfen – in vier bis acht Wochen.“
Seehofer betonte, dass diese Prüfung sich nicht nur auf Rechts-, sondern auch Linksradikale beziehe und unabhängig sei von der Entscheidung des Verfassungsschutzes zur AfD.
Handlungen des Einzelnen zählen
Bundespolizist und AfD-Spitzenmann in Brandenburg, Wilko Möller, sagt: „Politik macht mir Spaß. Das möchte ich gern hauptberuflich machen.“ Und dieses Recht hat er – allerdings in Grenzen. Grundsätzlich haben Beamte wie andere Bürger auch das Recht, politisch aktiv zu sein.
Die Zugehörigkeit zu einer Organisation, die der Verfassungsschutz prüft, bedeutet noch nicht, dass jemand nicht für den Staatsdienst geeignet ist, erklärt Christian Pestalozza, Staatsrechtler an der Freien Universität Berlin. Im Zweifel zählten die Handlungen des Einzelnen. „Als Beamter müssen Sie loyal gegenüber dem Staat sein“, sagt Pestalozza.
Distanzierungen, wie sie die Gewerkschaft der Polizei fordert und wie sie auch der Staatsrechtler Dietrich Murswiek Beamten in der AfD in einem von der Partei in Auftrag gegebenen Gutachten nahelegt, können sinnvoll sein, sagt Pestalozza. Sie müssten aber auch mit dem Handeln zusammenpassen.
Wichtig ist also nicht in erster Linie, ob ein Beamter in einer Partei ist. Sondern welche politischen Forderungen sie oder er vertritt. Jurist Pestalozza sagt aber auch klar: Jemand, der sich öffentlich äußere wie Höcke, sei „in seiner Eignung als Pädagoge fragwürdig geworden“.

„Bin ich noch Verfassungspatriot?“
Entscheidend sei das Verhalten des Einzelnen, sagt auch Sven Hüber, Beamtenrechtsexperte der GdP. Das bedeutet auch: Sich positionieren zu dem, was Parteifreunde tun. Wenn ein AfD-Mitglied dazu aufrufe, an der Grenze auf Schutzsuchende zu schießen, sei das ein Aufruf zur Straftat, erklärt der GdP-Experte. Da erwarte er Widerspruch.
Doch den habe es aus der AfD nicht gegeben, als die Bundestagsabgeordnete Beatrix von Storch eben dies gefordert hatte. Auch nicht von den Beamten in der Partei. „Jeder Polizist, der in der AfD ist, muss sich fragen: Bin ich noch Verfassungspatriot? Stehe ich noch zu den Grundfesten unserer Demokratie wie Religionsfreiheit und Minderheitenschutz?“, sagt Hübner. „Wer das nicht mit Ja beantwortet, hat in der Polizei nichts verloren.“
Die Unterscheidung zwischen AfD und Flügel sei unnötig feinsinnig, findet der Thüringer Landesvorsitzende der Polizeigewerkschaft DPolG, Jürgen Hoffmann – jedenfalls dann, wenn man die Situation der AfD in Thüringen betrachte.
„Wenn ein Polizeibeamter auf einer AfD-Landesliste kandidiert, die vom Landesvorsitzenden Höcke angeführt wird, mache ich mir um die Nähe des Polizisten zu diesem Politiker berechtigte Sorgen“, sagt Hoffmann unserer Redaktion.
Konkrete Zahlen gibt es nicht
Wie stark unter deutschen Polizeibeamten die Sympathie für die AfD ausgeprägt ist, lässt sich nicht exakt bestimmen. „Viele Kollegen sagen, dass sie beim nächsten Mal AfD wählen wollten“, beschreibt Andreas Schuster, GdP-Chef in Brandenburg, die Stimmung.
Ein Viertel der Landespolizisten in Brandenburg tendiere zur AfD, schätzt Schuster. „Das entspricht etwa dem Durchschnitt der Bevölkerung.“ Die GdP-Vorsitzenden von Thüringen und Sachsen, Kai Christ und Hagen Husgen, analysieren die Lage kaum anders. Schätzzahlen nennen sie jedoch nicht.
In der AfD ist offenbar auch dann noch Platz für Mitglieder, wenn sie schon den Kampf gegen die Demokratie begonnen haben. Das zeigt der Fall des Polizisten Haik J., der Teil der Prepper-Gruppe „Nordkreuz“ gewesen sein soll. J. soll sich in einem Chat mit anderen darüber ausgetauscht haben, wie sie sich auf einen erwarteten Zusammenbruch des Staats vorbereiten.
„Darüber hinaus sollen die Beschuldigten den von ihnen befürchteten Krisenfall als Chance gesehen haben, Vertreter des politisch linken Spektrums festzusetzen und mit ihren Waffen zu töten“, heißt es in der Mitteilung der Bundesanwaltschaft.
Die Ermittlungen laufen noch, J. ist vom Dienst suspendiert. Langeweile hat er wohl nicht: J. ist nach Angaben der Partei nach wie vor stellvertretender Vorsitzender des Landesfachausschusses ‚Innere Sicherheit‘ der AfD in Mecklenburg-Vorpommern.