Staatsbesuch

Cem Özdemir: Erdogan ist kein normaler Präsident

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Theresa Martus
Die Bundesregierung hat Erdogans Staatsbesuch-Pläne in Deutschland bisher nicht bestätigt.

Die Bundesregierung hat Erdogans Staatsbesuch-Pläne in Deutschland bisher nicht bestätigt.

Foto: HANDOUT / REUTERS

Erdogan will im Herbst nach Deutschland kommen. Cem Özdemir übt Kritik: Erdogan sei „kein normaler Präsident in einer Demokratie“.

Berlin.  Beflaggte Straßen auf seinem Weg durch die Stadt, eine Polizeieskorte, militärische Ehren und nicht zuletzt der Empfang durch den Bundespräsidenten: Recep Tayyip Erdogan hat offenbar genaue Vorstellungen, wie sein nächster Besuch in Berlin aussehen soll.

Wie die „Bild“-Zeitung berichtet, will der türkische Präsident im Herbst nach Deutschland kommen, zu einem offiziellen Staatsbesuch.

Die Bundesregierung bestätigt das offiziell bislang nicht. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hatte Erdogan im April bei einem Telefonat eine allgemeine Einladung übermittelt. Jetzt will der türkische Präsident sie offenbar annehmen.

Deutsch-türkische Beziehungen sind kompliziert

Der Besuch wird nicht direkt ein Freundschaftsbesuch sein. Zu schwierig sind die Beziehungen zur Türkei seit einigen Jahren, zu distanziert ist dazu auch das Verhältnis zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Erdogan selbst.

Beide telefonieren regelmäßig und treffen sich auf internationalem Parkett, zuletzt auf dem Nato-Gipfel Mitte Juli. Beide brauchen einander: Flüchtlingsdeal, Nato-Mitgliedschaft, Syrien-Krieg und die andauernden Konflikte um Menschenrechte – die deutsch-türkischen Beziehungen sind eng, aber auch kompliziert.

Es ist also ein Besuch mit Konfliktpotenzial. Erdogan sei „kein normaler Präsident in einer Demokratie“, sagte Grünen-Politiker Cem Özdemir unserer Redaktion. Ihm müsse „unmissverständlich deutlich gemacht werden, dass der Versuch, hier türkisch-nationalistisch-fundamentalistische Parallelstrukturen aufzubauen“, nicht geduldet werde, so Özdemir.

Denn die Länder sind nicht nur wirtschaftlich und politisch verwoben. Vor allem die Millionen Deutschen, die Wurzeln in der Türkei haben, knüpfen ein enges Band zwischen Ankara und Berlin. Welche Verwerfungen das nach sich ziehen kann, zeigte zuletzt die Affäre um Fußballspieler Mesut Özil.

Dessen Rücktritt aus der deutschen Nationalmannschaft deutete Erdogan als Bekenntnis zur Türkei: Özils Haltung sei „national und regional“, erklärte der Präsident. Özil habe seine patriotische Haltung gezeigt.

Erdogan will anscheinend vor seinen Anhängern sprechen

„Seht her, wir kümmern uns um euch, ihr gehört zu uns“ – das ist Erdogans stete Botschaft an Türken und Türkeistämmige in Deutschland. Sie trägt dazu bei, dass der Präsident unter jenen in Deutschland, die in der Türkei wählen dürfen, überdurchschnittlich viele Unterstützer hat.

Wahlkampfauftritte in Deutschland wurden ihm vor der Präsidentenwahl nicht mehr erlaubt. Für seinen Besuch voraussichtlich im September hat Erdogan trotzdem den Wunsch formuliert, vor Anhängern und Landsleuten in Deutschland sprechen zu dürfen. Angeblich wird in Berlin schon nach einer Veranstaltungshalle gesucht.

Einlassungen wie die zu Özil sind ärgerlich für die Bundesregierung, sie haben das Potenzial, gesellschaftliche Spaltungen in Deutschland zu verschärfen. Doch mindestens ebenso drängend ist nach wie vor die Menschenrechtslage in der Türkei.

Es sind Fälle wie der von Denis E., den Merkel wohl auch bei Erdogans Visite in Deutschland ansprechen wird: Der Harburger mit kurdischen Wurzeln war nach Informationen des „Hamburger Abendblatts“ mit seiner Familie im Urlaub in der Türkei, als er am vergangenen Mittwoch in seinem Haus in Iskenderun von einer Spezialeinheit der Polizei verhaftet wurde. Der Vorwurf: Terrorpropaganda.

Derzeit sind 49 Deutsche in der Türkei inhaftiert

Er ist einer von 49 Deutschen, die nach Informationen dieser Redaktion derzeit in der Türkei inhaftiert sind, fünf von ihnen mutmaßlich aus politischen Motiven. Das Auswärtige Amt (AA) hält sich, unter Verweis auf das laufende Verfahren, mit einer Bewertung zu dem Fall zurück. Die Botschaft in Ankara sei mit den türkischen Behörden in Kontakt, heißt es nur.

Doch es werden Erinnerungen wach an Fälle wie die der Journalisten Deniz Yücel und Mesale Tolu, und des Aktivisten Peter Steudtner. Alle drei Deutschen waren mehr als 100 Tage – im Falle Yücels war es rund ein Jahr – inhaftiert.

Auch Yücel und Tolu war Terrorpropaganda vorgeworfen worden, bei Steudtner war es Unterstützung einer Terrororganisation. Mit diesen Vorwürfen sehen sich seit dem Putschversuch im Juli 2016 auch Hunderttausende Menschen in der Türkei konfrontiert. Unter dem Ausnahmezustand, den Erdogan nach dem gescheiterten Putsch ausgerufen hatte, waren nach offiziellen Angaben 77.000 Menschen verhaftet worden, 160.000 Staatsdiener wurden entlassen.

Der Ausnahmezustand war Mitte Juli nach zwei Jahren und mehreren Verlängerungen ausgelaufen. Doch an seine Stelle sind Gesetzesänderungen getreten, die in vielen Bereichen ähnliche Auswirkungen haben. So lässt ein neues Anti-Terror-Gesetz den Gouverneuren der Regionen in der Türkei Teile der Machtfülle, die ihnen der Ausnahmezustand gab – sie können auch weiterhin Ausgangssperren verhängen, Demonstrationen verbieten, Kommunikation überwachen. Zudem weitet das Gesetz den Polizeigewahrsam aus.

Bundesregierung beobachtet Lage in der Türkei genau

Nicht zuletzt steht Erdogan seit der letzten Wahl an der Spitze eines Präsidialsystems, in dem seine persönliche Macht erheblich ausgebaut ist. Außenminister Heiko Maas (SPD) hatte deshalb das Ende des Ausnahmezustands begrüßt, gleichzeitig aber gewarnt, es dürfe „keine Verlängerung des Ausnahmezustands durch die Hintertür geben“. Die Türkei werde sich daran messen lassen müssen, ob die Gewaltenteilung im Staat funktioniere – das ist auch für die zukünftigen Beziehungen zur EU entscheidend.

Offiziell läuft der Beitrittsprozess zur EU noch, doch von einer Mitgliedschaft ist die Türkei derzeit weit entfernt. Und auch das Interesse in Ankara scheint abgeflaut zu sein; so gibt es im neuen Kabinett keinen Minister für Europa-Fragen mehr.