Berlin . Berliner Opposition nennt solidarisches Grundeinkommen „Griff in die sozialistische Mottenkiste“. FDP will den Aufstieg fördern, nicht die Beschäftigung mit niedrigen Löhnen
Michael Müllers Idee für ein „solidarisches Grundeinkommen“ und seine fundamentale Kritik am Hartz-IV-System trifft zwar auf viel Kritik. Dennoch gehen Arbeitsmarktexperten davon aus, dass die Politik in Deutschland unter der großen Koalition künftig stärker auf geförderte Beschäftigung setzen wird, um Langzeitarbeitslosigkeit zu bekämpfen.
Den Regierenden Bürgermeister in Berlin, Michael Müller (SPD), schreckt die Kritik nicht. Er möchte eine Debatte anstoßen darüber, wie sich Deutschland vorbereiten müsse, wenn die Digitalisierung künftig viele Tätigkeiten überflüssig mache. Das Konzept von Müller sieht vor, ein „Recht auf Arbeit“ durch kommunale Jobs zu etablieren. Jedem Arbeitslosen sollte vor dem Sturz ins Hartz-IV-System ein Job angeboten werden, etwa als Helfer in Schulen oder Jugendeinrichtungen, in der Grünpflege oder als Unterstützung für Vereine und Projekte.
Aus Sicht des Arbeitsmarkt-Experten der Berliner SPD-Fraktion, Lars Düsterhöft, gehen Müllers Ideen „in die richtige Richtung“. Der Abgeordnete ist auch optimistisch, dass sich etwas in die Richtung öffentlicher Beschäftigung für Arbeitslose bewegt. „Das ist in greifbarer Nähe“, sagte Düsterhöft, zumal mit Müllers bisherigem Senatskanzleichef Björn Böhning nun ein Berliner als Staatssekretär für Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) tätig werde. Neben der Zusage im Koalitionsvertrag, vier Milliarden Euro für Beschäftigung von Arbeitslosen einzusetzen, sieht der Arbeitsmarktexperte einen weiteren entscheidenden Fortschritt: Im Koalitionsvertrag hätten Union und SPD auf der Bundesebene den „Passiv-Aktiv-Transfer“ verabredet und den Ländern erlaubt, solche Modelle auszuprobieren. Künftig soll es also möglich sein, das bisher für die „passive“ Verwaltung von Arbeitslosigkeit und die Überweisung des Hartz IV-Betrages eingesetzte Geld in die „aktive“ Bezahlung von Arbeit umzunutzen. Das ist eine entscheidende Grundlage für Müllers Idee. Es würden Kosten eingespart für Hartz IV und in den Jobcentern. Mit relativ wenig zusätzlichem staatlichen Geld könnten feste Stellen bezahlt werden, die den Menschen ein Einkommen mindestens auf Höhe des Mindestlohns sichern. Düsterhöft plädiert dafür, in Berlin ein eigenes Modell zu starten.
Am Dienstag, den 20. März, wird Müller im Roten Rathaus mit Experten wie dem Wirtschaftsforscher Marcel Fratzscher über seine Idee für ein neues Recht auf Arbeit diskutieren.
Bei der Berliner Opposition kommen Müllers Vorschläge gar nicht gut an. CDU-Generalsekretär Stefan Evers sprach von einem „Griff in die sozialistische Mottenkiste“. Er fühle sich an das von den Linken in der rot-roten Koalition vor 2011 durchgesetzte Modell eines öffentlichen Beschäftigungssektors erinnert. Neu sei allein die Aussage Müllers, jeder könne Schulhausmeister, Kinderbetreuer oder Sekretärin sein. „Zielführend wären neue Stellen und geeignete Bewerber“, sagte Evers. CDU-Arbeitsmarkt-Experte Maik Penn sagte, man müsse sich mehr anstrengen, Langzeitarbeitslosen eine berufliche Perspektive zu bieten, das System so zu reformieren, damit sich das „Leben in der sozialen Hängematte“ nicht lohne. FDP-Fraktionschef Sebastian Czaja sagte, Müller wolle den Staat zum „Dumping-Arbeitgeber degradieren“, anstatt die Chancen der Digitalisierung zu nutzen. Er forderte eine Aus- und Weiterbildungsoffensive und einen flexiblen Arbeitsmarkt, der jedem den Ein- und den Aufstieg ermögliche, anstatt die Menschen mit staatlichen Niedriglohnprogrammen ruhigzustellen.