Türkei-Referendum

So abhängig sind die Medien in der Türkei von Erdogan

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Gerd Höhler
Ein Mann liest am Montag in Istanbul die Zeitung „Takvim“, in der in mehreren Sprachen über die Zustimmung zum Referendum berichtet wird.

Ein Mann liest am Montag in Istanbul die Zeitung „Takvim“, in der in mehreren Sprachen über die Zustimmung zum Referendum berichtet wird.

Foto: Michael Kappeler / Michael Kappeler/dpa

Seit Jahren arbeitet Erdogan an einer Gleichschaltung der Medien. Ein türkischer Journalist berichtet von seiner schwierigen Arbeit.

Ankara.  „Evet“, das Ja, war allgegenwärtig im Wahlkampf vor dem türkischen Verfassungsreferendum. „Hayir“, das Nein, hatte es schwer – und unterlag dann auch beim Referendum. In den türkischen Medien fand die Nein-Kampagne nur sehr wenig Resonanz. Denn die allermeisten Zeitungen und TV-Sender sind regierungstreu.

Seit Jahren arbeitet die islamisch-konservative Regierung an einer Gleichschaltung der Medien, vor allem seit den Massenprotesten vom Sommer 2013. Nach dem Putschversuch vom Juli 2016 hat Staatschef Recep Tayyip Erdogan den Druck auf kritische Journalisten noch einmal massiv verstärkt.

Erdogan bezeichnet Yücel als „Terrorist“

Nach einer Aufstellung des Internetportals Turkey Purge, das Erdogans „Säuberungen“ detailliert dokumentiert, ließ der Staatschef seit dem niedergeschlagenen Coup 149 Medien per Dekret schließen. 231 Journalisten wurden festgenommen. Davon sitzen nach Angaben von P24, der „Plattform für unabhängigen Journalismus“, 141 in Untersuchungs- oder Strafhaft.

Einer von ihnen ist der „Welt“-Korrespondent Deniz Yücel. Er sitzt seit Ende Februar in Untersuchungshaft, weiß aber bisher nicht, was ihm überhaupt vorgeworfen wird. Das Urteil scheint allerdings bereits gesprochen, und zwar von höchster Stelle: Erdogan persönlich bezeichnet Yücel in öffentlichen Reden als „Spion“ und „Terrorist“.

Kritik an Abstimmungsergebnis
Kritik an Abstimmungsergebnis

Fast jeden Tag im Gerichtssaal

„Die Regierung betrachtet unabhängigen Journalismus als kriminell“, sagt Baris Yarkadas. Der 42-Jährige arbeitete 20 Jahre lang als Journalist. Seit 2015 sitzt er als Abgeordneter der größten Oppositionspartei CHP im Parlament. In der Partei ist er für die Medienpolitik zuständig und kümmert sich intensiv um inhaftierte Journalisten.

„Ich bin fast jeden Tag in irgendeinem Gerichtssaal, um Prozesse gegen Journalisten zu beobachten“, sagt Yarkadas. Schwieriger sei es, Zugang zu inhaftierten Redakteuren zu bekommen. „Sie können keine Briefe schreiben oder empfangen, viele sitzen seit Monaten in Haft, ohne Anklage, ohne zu wissen, was man ihnen zur Last legt“, berichtet Yarkadas.

„Klavier, auf dem die Regierung spielen kann“

Wie die AKP-Regierung mit den Medien umgehe, erinnere ihn an einen Spruch des NS-Propagandachefs Joseph Goebbels: Die Presse sei „in der Hand der Regierung sozusagen ein Klavier, auf dem die Regierung spielen kann“. Die Melodie, so ergänzt Yarkadas, werde im Präsidentenpalast von Ankara komponiert: „Die einzige Wahrheit ist, was Erdogan sagt.“

Die Festnahmen aufmüpfiger Journalisten und die Enteignungen nicht regierungstreuer Medienunternehmer verfehlen ihre Wirkung nicht: „Die meisten Journalisten sind eingeschüchtert, viele üben Selbstzensur, andere haben resigniert und ihren Beruf aufgegeben“, sagt Yarkadas.

Medien müssen um Staatsaufträge buhlen

Aber wer sich zum Instrument der Regierungspropaganda machen lasse, der habe ein gutes Leben. Erdogan persönlich bestimme, wer bei den regierungsnahen Zeitungen Chefredakteur wird oder einen Job als Hauptstadtkorrespondent bekommt, weiß der Oppositionsabgeordnete. „Die regierungstreuen Spitzenjournalisten verdienen Supergeld, sie leben in tollen Wohnungen und fahren große Autos.“ Yarkadas: „85 Prozent der türkischen Medien sind auf Regierungslinie.“

Das ist das Ergebnis einer lang angelegten Strategie. Sie wird dadurch begünstigt, dass die meisten Medien zu großen Industrie-Holdings gehören, die auf das Wohlwollen der Regierung angewiesen sind – zum Beispiel, um Staatsaufträge zu bekommen. Wie diese enge Verflechtung von Politik, Wirtschaft und Medienmacht funktioniert, zeigt das Beispiel der Zeitung „Sabah“.

Günstige Kredite für Erdogan-Anhänger

Die Mediengruppe Merkez, zu der das Blatt gehörte, wurde 2007 von der staatlichen Treuhandanstalt beschlagnahmt. Wenige Monate später ging die „Sabah“ an die regierungsnahe Calik Holding. Das Geschäft finanzierten Staatsbanken mit günstigen Krediten. CEO von Calik war damals Berat Albayrak, ein Schwiegersohn Erdogans. Heute ist er Energieminister.

Ähnlich lief es bei der Zeitung „Günes“: Die ursprünglich oppositionsnahe Zeitung wurde ebenfalls verstaatlicht und später an der Erdogan-nahen Unternehmer Ethem Sancak weitergereicht, der auch die Zeitung „Aksam“ und den Nachrichtensender „24“ kontrolliert.

Türkei-Referendum: So kann Erdogan jetzt durchregieren
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Milliardenstrafe für Dogan-Mediengruppe

Medienbarone, die sich nicht fügen, bekommen Erdogans Zorn zu spüren. Jahrelang lieferte sich die Dogan-Mediengruppe einen Machtkampf mit Erdogan – und unterlag. Die Finanzbehörden brummten dem Unternehmen eine Steuerstrafe in Milliardenhöhe auf. Konzernchef Aydin Dogan musste sich von Teilen seines Medienimperiums trennen, regierungskritische Redakteure und Kolumnisten wurden entlassen. Heute sind die Dogan-Medien zahm.