Das vom rot-rot-grünen Senat als Reaktion auf den jüngsten Terroranschlag in Berlin verabschiedete Sicherheitspaket stößt bei Opposition und Polizei, aber auch in den eigenen Reihen auf Kritik. Der Senat hingegen sieht das Paket positiv. Bei der Videoüberwachung sei deutlich mehr erreicht worden, als er erhofft hatte, erklärte der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) am Dienstag. Es sei nie um eine flächendeckende Überwachung gegangen. Die bestehende Rechtslage erlaube, gefährdete Objekte, Großveranstaltungen wie Kirchentag oder Turnfest und etwa auch Weihnachtsmärkte mit Kameras zu beobachten. Diese Möglichkeiten sollten künftig intensiver ausgeschöpft werden, so Müller. Bürgermeister Klaus Lederer (Linke) erklärte, die Videoüberwachung werde dort eingesetzt, wo sie Sinn mache.
„Die Pläne zur Videoüberwachung zielen in die falsche Richtung“, sagte Benjamin Jendro von der Gewerkschaft der Polizei (GdP). „Wir haben an unzähligen Orten mit hohem Menschenaufkommen hohe Alltagskriminalität und brauchen die Videoüberwachung, um den Bürger vor schweren Eingriffen in seinen individuellen Bereich zu schützen.“ Aufnahmen könnten bei der Aufklärung von Straftaten und der Bestrafung der Täter helfen.
45 Millionen für das Sicherheitspaket seien ein erster Schritt, aber bei mehr als einer Milliarde Überschuss im zurückliegenden Haushaltsjahr auch nur ein Anfang. „Jetzt muss es noch konkreter werden. Welche Waffen und welche Schutzwesten sollen angeschafft werden und wie genau soll der Digitalfunk verbessert werden“, so GdP-Sprecher Jendro. Dass fünf mobile Wachen eingerichtet werden sollen, sei positiv. „Doch wir fragen uns, mit welchem Personal das geschehen soll“, sagte Jendro. Es sei schon schwierig, die Kontaktbereichsdienste zu bestücken. Es reiche nicht, nur das Nötigste zu tun.
Beim Thema Videoüberwachung kommt auch Kritik aus der SPD. Tom Schreiber, Innenexperte der Abgeordnetenhausfraktion, hätte sich mehr erhofft. „Eine dauerhafte Videoüberwachung an kriminalitätsbelasteten Schwerpunkten mit anschließender Evaluierung wäre sinnvoll gewesen“, so Schreiber zur Berliner Morgenpost. Mit Videoüberwachung könne man zwar nicht die erste Tat verhindern, aber vielleicht die zweite und dritte. Dieses Thema werde die Koalition noch beschäftigen, ist sich Schreiber sicher. Es gibt einige SPD-Politiker, die glauben, dass die Grünen und Linken hier mehr auf den Applaus aus den eigenen Reihen gehört haben statt auf das Sicherheitsempfinden der Bürger. Man müsse auch stärker über Einstellungen reden, so Schreiber weiter. Das beinhalte auch die unterschiedlichen Besoldungsstufen für Polizeibeamte in den Bundesländern. „Es kann nicht sein, dass ein Polizeibeamter in Berlin weniger verdient als Kollegen in anderen Bundesländern.“
Der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) in Berlin geht der Beschluss des Senats zur Ausweitung der Videoüberwachung nicht weit genug. Es handele sich nicht um einen Kompromiss, „sondern um Zeichen für einen Realitätsverlust“, sagte der Berliner DPolG-Landesvorsitzende, Bodo Pfalzgraf, am Dienstag der Berliner Morgenpost. Er wünsche sich eine Kameraüberwachung nicht nur von Großereignissen, sondern auch von Kriminalitätsschwerpunkten wie Alexanderplatz oder Kottbusser Tor. Ohne eine Gesetzesänderung sei eine brauchbare Videoüberwachung nicht möglich. „Es ist schlecht für die Sicherheit, wenn Ideologie vor Fachlichkeit geht“, kritisierte Pfalzgraf die Beschlüsse.
Der Gewerkschaftsvorsitzende betonte, Kameras müssten nicht permanent in Betrieb sein. Es seien schon Videoüberwachungssysteme auf dem Markt, die mit intelligenter Software ausgestattet seien. Dabei aktivierten sich die Kameras selbstständig, wenn sie eine Gefahrenlage erkennen. „Es muss also nicht ständig jemand vor Bildschirmen sitzen“, sagte er. Ausdrücklich begrüßt werden von der DPolG die Beschlüsse zur Anschaffung von Waffen und Schutzwesten für Polizeibeamte. Neue Dienstwaffen seien dringend erforderlich, betonte die Gewerkschaft.
Der CDU-Innenpolitiker Burkard Dregger sprach mit Blick auf den Senatsbeschluss, es handele sich nicht einmal um ein „Sicherheitspäckchen“. „Die von Senator Geisel als Verschärfung dargestellte Form der Videoüberwachung geht über das bereits jetzt Zulässige nicht hinaus.“ Von einer personellen Verstärkung der Berliner Polizei sei keine Rede mehr. Der Verfassungsschutz tauche nirgendwo auf. Wie berichtet, will die Koalition seine Kompetenzen beschränken.
Auch die FDP sieht hier einen Schwachpunkt. „Mit den zur Verfügung stehenden Mitteln wäre es ohne Weiteres möglich, durch sofort verfügbare Verwaltungskräfte den Polizeivollzugsdienst von Bürokratie zu entlasten und 1500 Polizisten mehr auf die Straße zu bringen“, sagte FDP-Innenexperte Marcel Luthe. „Damit könnte man unsere Stadt auch tatsächlich objektiv wieder sicherer machen.“ Statt einer Strategie präsentiere der Senat einzelne Maßnahmen, „die zwar das Sicherheitsgefühl, nicht aber die Sicherheit erhöhen“.
Der innenpolitische Sprecher der AfD-Fraktion, Karsten Woldeit, sprach von einem „Sicherheitspaket extra leicht“. Die schlimmsten Befürchtungen hätten sich bestätigt. „Gemeinsam ist es Linken und Grünen gelungen, die ohnehin mageren Pläne des Innensenators noch weiter zu verwässern.“