Präsidentschaft

Trump oder Clinton? Auf Spurensuche bei Wählern in Florida

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Dirk Hautkapp
„Trump ist ein Schwein“: Lizbeth Martell aus Florida hat ihre Stimme Hillary Clinton gegeben.

„Trump ist ein Schwein“: Lizbeth Martell aus Florida hat ihre Stimme Hillary Clinton gegeben.

Foto: privat

Im Mikrokosmos zwischen Daytona Beach und Tampa kann sich entscheiden, wer ins Weiße Haus einzieht. Wir haben mit Wählern gesprochen.

Kissimee.  Lizbeth Martell hat es gut. Wenn nach der Präsidentschaftswahl nächste Woche in Washington die Wellen hochschlagen, wird die 43-Jährige zwischen den Bahamas und Cozumel auf hoher See dümpeln und mit ihrem Mann Rafael im Liegestuhl Cocktails schlürfen. Kreuzfahrt. Lange geplant.

Vorher hat die als Kind aus Puerto Rico nach Kissimee im Sonnenschein-Bundesstaat Florida übergesiedelte Immobilien-Managerin noch schnell gewählt. „Für Hillary“, sagt sie im Restaurant ihrer Mutter bei einer Portion Mofongo, einem köstlichen, knoblauchlastigen Kochbananenpüree, mit sehr entschlossenem Blick, „denn Trump ist ein Schwein, das schlecht über Frauen redet und glaubt, ein Land wie eine Firma führen zu können“.

Fast eine Million Wähler mehr in Florida

Lizbeth Martell, gut gebildet, solide situiert, verkörpert in einem der wichtigsten Wahlbezirke Amerikas die größte Hoffnung der Demokraten. Nach der letzten Wahl 2012 hat Florida rund 950.000 Wähler dazu gewonnen. 40 Prozent davon sind jene, die Donald Trump mit einem Grenzwall zu Mexiko abschrecken will: Hispanics. Die allermeisten Neuwähler kommen aus Puerto Rico. Und Kissimee ist – ähnlich wie für die Kubaner Miami – neben New York ihre Hochburg auf dem amerikanischen Festland.

Die schmucklose Vorstadt liegt im „I-4 Corridor“. Jener knapp 250 Kilometer breite Sektor entlang der Autobahn Nr. 4 zwischen Daytona Beach am Atlantik und Tampa am Golf von Mexiko, der alle vier Jahre wegen seiner repräsentativen Mikrokosmoshaftigkeit unters Brennglas der Meinungsforscher gelegt wird. Rentner, Bauern, Hotelangestellte, Studenten, Banker, Kleingewerbetreibende, verschiedene ethnische, soziale und demographische Gruppen ergeben hier ein selten homogenes Mini-Amerika.

Wer Florida gewinnt, gewinnt meist das Weiße Haus

Wer hier gewinnt, so lautet die erprobte Faustregel, gewinnt Florida. Und wer Florida gewinnt, der gewinnt mit den 29 Wahlmännerstimmen, die hier als Preis winken, meist auch das Weiße Haus. Vorausgesetzt natürlich, der Kandidat/die Kandidatin kann die diesmal auf 3,3 Millionen angewachsene Gruppe der Unabhängigen in den Wählerverzeichnissen überzeugen.

Leute wie Dilandria Finley. Die junge Afro-Amerikanerin, eine Tochter, bereits Großmutter, Managerin im Großhandel, sehnt den Wahltag herbei. „Dann ist der hämische Zirkus endlich vorbei.“ Donald Trump kann man doch „keine einzige Sekunde“ ernst nehmen, sagt sie an einer Straßenkreuzung in Orlando. Und Hillary Clinton „ist nach 30 Jahren im Politik-Getriebe verbraucht“ und hält ständig mit „irgendwas hinter dem Berg“. Finley ist für beide verloren. Sie wählt den unabhängigen Kandidaten Gary Johnson. „Das Zwei-Parteien-System ist doch nur noch eine traurige Veranstaltung.“

Findet Charlene Friday überhaupt nicht. Die resolute Brillenträgerin macht in Marketing, ist mit drei Brüdern aufgewachsen, hat zwei Söhne und noch mehr Tattoos. Am Arm ihre Freundin Cassie, eine pensionierte Stripperin, die zu Beginn des Wahlkampf-Marathons den Demokraten Bernie Sanders „unverstellt gut“ fand.

„Demokraten sind total uninformiert“

Beide Frauen, Mitte vierzig, fröhlich verlebt, sind an diesem Spätoktober-Tag ins Credit-Union-Amphitheater von Tampa gekommen, „um Dampf abzulassen“. Gleich wird Donald Trump sprechen und zum Wutbürger-Volkssport blasen: Hillary hauen. Tausende wedeln mit pinkfarbenen „Frauen für Trump“-Plakaten. Friday ist dabei. Sie kann nur „müde lachen“, wenn die Rede auf das Greif-ihr-zwischen-die-Beine-Video kommt, das den Milliardär fast aus der Bahn geworden hätte.

„Aus dem Zusammenhang gerissen, banales Männer-Gerede. Ich hab’ schon Deftigeres gehört.“ Trump sei der Einzige, der den „korrupten Dreckstall Washington ausmisten“ und die „Handelsabkommen, die uns hier das Wasser abgegraben haben, nachbessern wird“. Zweifel lässt sie nicht zu. Umfragen, die Clinton in Florida vorn sehen, auch nicht. „Demokraten sind total uninformiert. Schreiben Sie das ruhig.“

Trump verkörpere „das Schlechteste an Amerika“

Wenn Saul Senders solche Sätze hört, ziehen sich seine dichten Augenbrauen zu einer kleinen Bordüre zusammen. Der 69-jährige jüdische Professor für Computerwissenschaft ist der milden Sonne wegen mit seiner Frau Marilyn aus Pennsylvania nach Orlando in den Ruhestand gekommen. Über Trump ist er nur entsetzt.

„Er bringt das Schlimmste in uns hervor. Der Hass und das Unversöhnliche waren immer schon da. Aber Trump hat gesellschaftsfähig gemacht, es auszusprechen.“ Und seine Konzepte? Seine Pläne? Senders hält auf dem Weg in die Ohaila Rivka-Synagoge kurz inne: „Er hat viele Leute davon überzeugt, dass es ihnen schlechter geht.“ Evylin Weinberg, eine Freundin, sagt es so: „Ich kann einfach niemanden wählen, der das Schlechteste an Amerika verkörpert.“ Ihre Wahl sei darum klar: Clinton.

E-Mail-Affäre bringt Clinton in Not

Ob es für die frühere Außenministerin reichen wird, ist aber völlig offen. Im Landesschnitt rangiert sie mit rund fünf Prozent Vorsprung vor Trump. In Florida sind es nur 1,5 Prozent. Und das war, bevor das FBI die bereits beerdigte E-Mail-Affäre am Freitag überraschend exhumierte. Sollte der Trend sie weiter herunterziehen, sollte Trump am Ende Florida holen, wären die Siege von Obama (2008 gegen McCain, 2012 gegen Romney) nur ein Intermezzo gewesen. Vorher hatte der Republikaner George W. Bush zweimal Florida gewonnen. Und damit die Präsidentschaft.

Wayne Liebnitzky denkt darüber gar nicht nach. Der 59-Jährige war bei der Navy, hat Ingenieur gelernt, eine kleine Firma aufgebaut, die Werkzeuge verleiht. Jetzt will er nach Washington. Aufräumen. Normalen Menschenverstand reinbringen. „Ich weiß, wo’s die Leute drückt: Arbeitsplätze.“ Der Nachfahre deutsch-österreichischer Einwanderer kandidiert für die Republikaner für den Kongress. Ein Buddy von Trump also. Sollte man meinen. Nicht wirklich.

Trump stilisiert Amerika zur Bruchbude

Anstatt 12.000 Dollar für eine lokale Umfrage auszugeben, wie sein demokratischer Gegenspieler Darren Foto das kann, putzt der Vater einer Tochter, die für die US Airforce fliegt, demütig Klinken, redet viel von Respekt für Andersdenkende und so gut wie gar nicht über Trump. „Entscheidend ist die Integrität deiner Seele, dein Charakter.“ Was das mit Trump zu tun hat?

Liebnitzky nimmt seine Armee-Veteranen-Baseballkappe ab und kratzt sich am grauen, aber immer noch vollen Haar. Dann biegt er argumentativ ab. „Ich glaube, dass Donald Trump besser abschneiden wird, als viele meinen. Er ist nicht einfach, aber er ist ein Geschäftsmann.“

Den Satz kennt Lizbeth Martell zu genüge. Richtig glauben tut sie ihn nicht. In der Finanzkrise 2008 verlor sie alles. „Von 200.000 Dollar im Jahr auf null.“ Und das als alleinerziehende Mutter. Nach acht Jahren Obama sagt die Frau, die sich als „liberalste und zugleich konservativste Person weit und breit“ beschreibt, könne sie wieder „gut atmen“. Der Markt habe sich erholt, die Tochter gehe aufs College, das Leben sei, siehe Kreuzfahrt, in der Spur.

Dass Trump über Amerika wie über eine Bruchbude redet, passt ihr überhaupt nicht. „Puerto Ricaner sind anders. Wenn ein Hurrikan naht, stocken wir die Vorräte auf, laden Verwandte und Freunde ein und tanzen, bis der Sturm vorbei ist.“ Martell hat was gegen Nestbeschmutzer wie Trump. Auch wenn sie den Sozialstaat für „stark reformbedürftig“ und Obamas Krankenversicherung für „viel zu teuer hält“. Jeb Bush, dem früh von Donald Trump unwürdig ins Abseits gedrängten ehemaligen Gouverneur Floridas, hätte sie zugetraut, den Job im Weißen Haus „sehr gut zu erledigen“. Vergossene Milch. „Jetzt muss es Hillary machen.“