Berlin. Hitler-Porträts und Hakenkreuze sind nur ein paar Klicks entfernt. Der Nutzer Tobias B. hat ein Profil, auf seiner Seite kann man lesen: „Ich bin Nazi! Und ich bin stolz darauf“. Und er postete er ein Foto, das einen Vermummten zeigt. Auf dessen schwarzen Pullover steht wieder eine Botschaft: „White pride – world wide“, weißer Stolz – weltweit. In der Hand hält der autonome Neonazi auf dem Bild einen Molotow-Cocktail. Und wirft ihn.
Tobias B. kommt nach eigenen Angaben aus Frankfurt. Aber er nutzt für seine Bilder mit Hakenkreuzen und NS-Propaganda-Plakaten kein Facebook, das soziale Netzwerk, auf dem in Deutschland schon fast 30 Millionen Menschen aktiv sind. Tobias B. ist digital ausgewandert, nach Russland. In das Netzwerk vkontakte.com, kurz vk.com. Hier kann er ungestört hetzen. Auch auf Deutsch. Und bekommt dafür Applaus.
Auf vk.com kann jeder Nutzer Freunde hinzufügen, Gruppen gründen, Videos und Bilder posten. Nach Informationen dieser Redaktion nutzen rund 200 Millionen Menschen das Netzwerk bisher, in Osteuropa ist es Marktführer. Das Blau der Webseite von vk.com erinnert stark an die Facebook-Farbe, alles funktioniert fast genauso wie bei dem amerikanischen Pendant. Alles, außer die Kontrolle.
Nachbarn und Neonazis zündeln gegen die „Asylflut“
Mit den Geflüchteten aus Syrien oder Irak kam in den vergangenen Monaten auch die Hetze wieder stärker zurück nach Deutschland. Anschläge auf Schutzsuchende nahmen drastisch zu, in vielen Orten demonstrieren Nachbarn neben Neonazis gegen die vermeintliche „Asylflut“. Und im Internet zündeln Menschen mit Worten und Bildern – auf Facebook, Twitter oder Youtube. Und vk.com.
In Deutschland gehen Polizei und Politik schärfer gegen Hasskriminalität im Netz vor. Die Verfahren der Justiz wegen Volksverhetzung in sozialen Netzwerken haben sich innerhalb von einem Jahr verdreifacht – auf 3000 Fälle. Justizminister Heiko Maas (SPD) hat eine „Task Force“ gegründet, und Facebook nach eigenen Angaben eine eigene Truppe eingestellt, die menschenfeindliche Kommentare löschen soll. Facebook sperrte auch in einigen Fällen ganze Seiten.
Wie effektiv all die Maßnahmen bisher sind, ist umstritten. Jedenfalls teilt die Bundesregierung in einer Antwort auf eine Anfrage der Grünen noch Ende März mit, dass die Bemühungen von Plattformanbietern, gegen „Hasskommentare und sonstige strafbare Meinungsäußerung im Netz vorzugehen, oftmals bei Weitem nicht ausreichen“.
Deutsche Behörden haben keinen Einfluss auf vk.com
Und doch zeigen die Maßnahmen Wirkung – allerdings eine, die kaum gewünscht sein kann. Radikale weichen einfach aus: auf vkontakte.com. Die Neonazi-Organisation „Der III. Weg“ hat auf der Plattform ein Profil, genauso wie die Partei „Die Rechte“, die in Deutschland vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Facebook zählen sie zur „Systempresse“. Ihnen und anderen Gruppen folgen auf vk.com Hunderte extrem Rechte aus Deutschland. Und sie posten all das, was auf Facebook – zumindest in der Theorie – unmittelbar gelöscht wird: Hakenkreuze, Hitler-Bilder, SS-Runen – und die passenden rassistischen Sprüche. Auch die islamfeindliche Pegida-Bewegung aus Dresden und die rechtspopulistische AfD betreiben Seiten auf vk.com.
Gegründet hat vk.com 2006 der junge russische Unternehmer Pawel Durow. Doch Durow geriet im Putin-Reich unter Druck und verlor die Macht bei vk.com. 2014 wurde der russische Multi-Milliardär Alischer Usmanow Hauptanteilseigner der sozialen Plattform.
Auf den Betreiber von vk.com haben die deutschen Behörden keinen Einfluss – und damit auch nicht auf das, was deutsche Neonazis dort veröffentlichen. Beim Verfassungsschutz heißt es nur, man beobachte, dass Rechte das „russische Facebook“ vermehrt nutzen. Kontrolle sei nicht möglich, man kenne den Betreiber nicht. Und der Geheimdienst stellt fest, dass eine Prüfung der Inhalte durch vk.com offenbar nicht stattfinde. Im Justizministerium weiß man auf Nachfrage unserer Redaktion nichts über vk.com. In der „Task Force“ von Minister Maas spielt das Netzwerk keine Rolle.
Ein Profil bei vk.com ist schnell erstellt
Dabei herrscht auf der russischen Plattform Verbal-Anarchie – auch auf Deutsch. Zwar steht in den Geschäftsbedingungen, dass „rassistische“ und „extremistische“ Kommentare verboten seien. Nur was nützen Regeln, wenn sie niemand durchsetzt? Von Verschwörungstheorien bis Rassenwahn – ein Profil bei vk.com ist in fünf Minuten erstellt, eine Handynummer, eine Email-Adresse reichen, dann sind alle Inhalte zugänglich. Auch Angebote für Waffen. „Für die moderne Frau von heute: Der Migrantenschreck MS55 Lady“, schreiben die Betreiber des Profils „Anonymous.Kollektiv“ auf vk.com. Dazu verlinken sie das Bild einer Schreckschuss-Pistole. Das „Kollektiv“ (nicht zu verwechseln mit der Hacker-Bewegung „Anonymous“) ist aus Sicht von Netz-Experten ganz entscheidend beim Aufstieg von vk.com in der radikalen Szene in Deutschland. Fast zwei Millionen Fans hat die Seite schon beim Konkurrenten auf Facebook.
Im Februar sperrte Facebook offenbar die Seite des „Kollektivs“ für einige Zeit. Die Gruppe fordert Mitglieder daher auf, ihr auf vk.com zu folgen: „Russisches Netzwerk, in deutscher Sprache verfügbar, Server in Russland, Zensur von Beiträgen und Kommentaren findet nicht statt“, heißt es in einem Post. Auf Facebook ist die Seite von „Anonymous“ nun wieder online. Es findet sich dort jede Menge anti-westliche Propaganda. Den Aufruf zur Selbstjustiz und die Anzeigen für den „Migrantenschreck“ posten die Betreiber auf Facebook aber lieber nicht.
Hetzer sind bei vk.com oft unter sich
Verbote und das Löschen von Seiten bei Facebook oder Youtube können daher auch Sogwirkungen für Portale wie vk.com entwickeln, sagt Johannes Baldauf Netz-Experte bei der Amadeu-Antonio-Stiftung, die seit vielen Jahren die rechtsextremistische Szene beobachtet. Das russische Netzwerk sei eine Plattform für die Radikalen. „Wer rechtsextrem ist, findet bei vk.com schnell Gleichgesinnte“, sagt Baldauf. Und vor allem gibt es dort deutlich weniger Widerspruch gegen Hetze – denn vk.com nutzen deutlich weniger Menschen. Aktuell sind es etwa 200 Millionen Nutzer. Doch Facebook hat 1,6 Milliarden.
Auf den einschlägigen Profilseiten sind Hetzer oft unter sich, bestimmen die Debatten. „Wollen Rechtspopulisten und Neonazis jedoch neue Anhänger durch ihre Propaganda erreichen, machen sie das immer noch vor allem auf Facebook und Twitter“, hebt Experte Baldauf hervor. „vk.com spielt bei der Rekrutierung eine geringere Rolle.“
Ein soziales Netzwerk aus Russland als politisches Symbol
Für überzeugte Rechte und Verschwörungstheoretiker ist der Wechsel von Facebook zu vk.com auch ein politisches Statement. In ihrer Ideologie heißt das: Weg vom Westen, der „Lügenpresse“, dem „Merkel-System“. Radikale nennen Facebook hetzerisch „Jewbook“, weil Gründer Mark Zuckerberg aus einer jüdischen Familie kommt und weil der Erfolg des Konzerns antisemitische Vorurteile einer „jüdischen Weltherrschaft“ bedient. Mit dem Aufstieg von vk.com in der rechten Szene in Deutschland spiegelt sich auch die Pro-Putin-Linie mancher Gruppen. Von einigen AfD-Funktionären bis zu manchen populistischen Verschwörungstheoretikern wird Russland als Gegenmodell zu Nato, Westen und EU aufgebauscht. vk.com passt da gut ins Programm. Deutsche vernetzen sich mit osteuropäischen, britischen und skandinavischen Rechten, hetzen auf Deutsch, Russisch oder Englisch – und alles über russische Server.
Auch Christina E. war auf einschlägigen Neonazi-Seiten bei vk.com unterwegs, postete Hitler-Bilder und Videos. Vor kurzem sperrte vk.com ihre Profilseite – wegen Verstößen gegen die Regeln des Dienstleisters, wie es hieß. Doch E. hat jetzt ein neues Profil – unter demselben Namen. Sie nennt sich zudem „Weißer Krieger“. Und postet weiter fleißig Hitler-Bilder.