Politik

Stoppt die Massenbierhaltung!

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Da braut sich was zusammen: Berlin ist das Zentrum der Craft-Beer-Brauer

Was Bier betrifft, sind die Deutschen Europameister. Im Schnitt trinkt jeder von uns 106,9 Liter Gerstensaft pro Jahr. Großbritannien und Polen folgen im Bierkonsum auf Platz zwei und drei, ebenso in der Bierproduktion. Zwar ist Deutschland europaweit auch das Land mit den meisten Brauereien, nämlich 1352, allein in Bayern 616, Berlin und Brandenburg bringen es zusammen auf 54. Allerdings liegt der Anteil kleiner Brauhäuser am jährlichen Biergesamtausstoß nur bei 1,6 Prozent. Den Rest teilt ein Dutzend Großbrauereien unter sich auf.

Aber im Schatten dieser Großmacht regt sich Widerstand. Nicht in einem kleinen gallischen Dorf, sondern in Hinterhöfen und Gewerbegebieten im ganzen Bundesgebiet – bei den Craft-Beer-Brauern. Das sind Bierhandwerker, die quasi gegen den Massengeschmack anbrauen und ihre eigenen Biere kreieren. Mittlerweile scharen diese jungen Enthusiasten eine wachsende Szene um sich, mit Netzwerken, Bierdegustationen, Bierworkshops, Läden und Publikationen. „Craft Beer ist das Gegengewicht zum Mainstream-Bier der Braukonzerne“, schreibt das Magazin „Hopfenhelden“ selbstbewusst.

Das wird auch höchste Zeit. Bier hat eine lange und reiche Tradition bei uns, die leider verarmt ist. Seit dem Mittelalter war es für das Volk kein Erfrischungsgetränk, sondern ein Lebensmittel schon beim Frühstück (allerdings damals mit geringerem Alkoholgehalt). Um das wilde Privatbrauen einzudämmen und eine Biersteuer zu kassieren, mussten die Berliner Brauer 1577 eine Gilde bilden. Dennoch gab es um 1730 noch 426 Braustellen in Berlin. Aber im Zuge der Konzentration und mit der Marktmacht der modernen Großbrauereien sind viele alte, regionale Biersorten untergegangen, so ähnlich wie die Goldparmäne bei den Äpfeln oder Hermanns Blaue und Ackersegen bei den Kartoffeln.

Craft-Beer-Brauer ticken anders. Im Grunde basteln sie an Bieren wie Steve Jobs 1976 in seiner Garage am Apple 1. Aber auf große Marktanteile schielen? Nö. „Das sind schräge Vögel, die ihr Ding machen“, sagt der Gastronom Gerrit Lerch, der in seiner Kneipe etliche Craft-Beer-Sorten anbietet und Degustationen veranstaltet.
Berlin und Hamburg sind mittlerweile die Zentren der deutschen Craft-Beer-Bewegung. Bei Craft Beer Days in der Berliner Malzfabrik oder in den Hamburger Schanzenhöfen stellen sich Mikrobrauereien mit Bieren vor, deren Namen schon ordentlich nach Tresenlatein klingen: Schluckspecht und Rummels Kraftbock nennt die Berliner Bierfabrik (vormals Beer4Wedding) zwei ihrer Eigenkreationen; Firmenmotto: „Schmecken muss es. Aber nicht jedem.“ Die Hamburger Kollegen der Brauerei „von Freude“ („Stoppt Massenbierhaltung!“) haben sich für ein kaltgehopftes Sommerbier Sonnenøl Saison ausgedacht.

Viele Jungbrauer erwecken alte Biersorten wie Broihan – eine Weiße – oder Braunschwaiger Mumme zu neuem Leben. Oder sie experimentieren mit belgischen, britischen oder dänischen Biertraditionen, etwa dem Ale oder IPA (India Pale Ale), in Großbritannien ursprünglich für die indische Kolonie produziert. So viel Gehirnschmalz wie in Biere investieren sie oft auch in deren Namen: Roggen Roll Ale und Holy Shit Ale (Schoppe Bräu in Kreuzberg), Szechuan Season mit Koriander- und Pfefferaromen (Vagabund Brauerei im Wedding), Feuchter Traum und Franz Ferdinand (Kreativbrauerei Kehrwieder in Hamburg).

Man kann mit Bier viel mehr machen als geahnt. IPA mit Kürbis-Ingwer- oder Pils mit Walnussaroma? Oder Hops & Needles mit jungen Fichtentrieben von Brewcifer? Man muss sich nur trauen, die jüngeren Biertrinker, darunter viele Frauen, gehen mit.

Das Argument, wegen der Würze nicht immer nach dem 500 Jahre alten Reinheitsgebot zu brauen, lassen viele Craft-Beer-Brauer nicht gelten. „Nach dem Reinheitsgebot darf Bier mit pestizidbehandelter Gerste und Hopfen hergestellt werden, nicht aber mit Bio-Kräutern von kontrollierten Öko-Bauernhöfen“, sagt der Craft-Beer-Pionier Fritz Wülfing. „Hier wird Reinheit wohl mit Einschränkung verwechselt.“