Nach 1945

Wie die SED gezielt NS-Mitläufer umwarb

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Die SED beschwor stets die „umfassende antifaschistische Umwälzung" - doch unmittelbar nach der Gründung warb die Partei systematisch um NSDAP-Mitglieder. Viele Beitrittskandidaten verschwiegen zudem ihre Vergangenheit.

Knapp neun Millionen Mitglieder hatte allein die NSDAP. Mindestens drei Viertel von ihnen überlebten den Zweiten Weltkrieg und lebten danach in Deutschland. Genauer: in beiden Teilen Deutschlands. Sowohl die demokratische Bundesrepublik als auch die stalinistische DDR standen vor dem Problem, ehemalige Parteigänger Hitlers, die vielfach noch der nationalsozialistischen Ideologie anhingen, integrieren zu müssen.

Die SED selbst beschwor stets die „umfassende antifaschistische Umwälzung“; daran klammert sich auch die Nachfolgeorganisation Linkspartei bis heute. Nur so kann der Pauschalvorwurf aus Zeiten des Kalten Krieges aufrechterhalten werden, die Bundesrepublik sei ein „renazifizierter Staat“ gewesen, die DDR dagegen habe die Lehre aus der Geschichte gezogen.

Die Wirklichkeit sah jedoch anders aus. Als erste neu gegründete Partei hatte die ostdeutsche KPD Anfang 1946 begonnen, frühere NSDAP-Mitglieder aufzunehmen. Nach der erzwungenen Vereinigung mit der SPD zur SED ging diese Praxis ungebremst weiter. Schon 1946 beschloss der SED-Parteivorstand, alle früheren NSDAP-Mitglieder, die „nicht besonders belastet sind und sich als aktive Mithelfer an der neuen demokratischen Ordnung betätigen“, sollten aufgenommen werden dürfen.

So wurde versucht, NS-Mitläufer, „nominelle Parteigenossen“, zu umwerben: „Komme zu uns! Denn was Hitler Dir versprochen hat und niemals hielt, das wird Dir die SED geben.“

8,5 Prozent NSDAP-Mitglieder

Ein streng geheimer SED-Bericht von 1954 hielt fest, dass im Stichjahr 1951 insgesamt 106.377 SED-Mitglieder der NSDAP angehört hatten. Weitere 149.986 Genossen zählten als Jugendliche zur Hitler-Jugend oder dem Bund Deutscher Mädel und 74.223 Mitglieder zu verschiedenen sonstigen NS-Gliederungen.

Damit betrug der Anteil der NSDAP-Mitglieder in der SED Anfang der Fünfzigerjahre etwa 8,5 Prozent. Sogar ein Drittel der SED-Mitglieder hatte zu irgendeiner NS-Gliederung gehört.

Weitere Geheimberichte kamen zu ähnlichen Zahlen. Der Anteil früherer Parteigänger Hitlers lag also deutlich höher als der von ehemaligen Sozialdemokraten. 1951 gaben nur 15,9 Prozent der SED-Mitglieder an, bis 1933 oder 1945/46 zur SPD gehört zu haben.

Die Gesamtzahl der ehemaligen „PGs“ (für „NSDAP-Parteigenossen“) dürfte allerdings noch höher gelegen haben als in den internen Berichten genannt. Denn offenbar verschwiegen viele SED-Beitrittskandidaten ihre NS-Vergangenheit, wenn sie den Beitritt in die SED beantragten.

Nur in seltenen Einzelfällen wurde solches Verhalten sanktioniert, wenn es aufflog: Demnach erfolgte nur rund ein Zehntel der Parteiausschlüsse wegen falscher Angaben über die eigene Vergangenheit

( Sfk / UM )