Ein grüner Strich zieht sich gleichmäßig um den weißen Lastwagen, in großen Buchstaben steht „Hütt Luxus Pils“ auf dem Gefährt mit Holzaufbau. Acht Meter lang ist der Bierlaster – und blockiert am Montagabend gegen 20.30 Uhr die vermutlich aktuell wichtigste Kreuzung im Landkreis Lüchow-Dannenberg.
Hier bei Dannenberg – hell erleuchtet durch von der Polizei aufgestellte Strahler – gabelt sich die Straße in Nord -und Südroute und führt über Seybruch oder über Splietau. Einen der beiden Wege wird der Castor-Transport vom französischen La Hague in das niedersächsische Atommüll-Zwischenlager Gorleben mit 123 Tonnen hochradioaktivem Atomabfall an Bord nehmen – auf der Straße, für die letzten 20 Kilometer vom Verladebahnhof in Dannenberg nach Gorleben.
Das Führerhaus ist offen, die Vorder -und Seitenscheiben sind zerstört, sagt ein Augenzeuge. Unter dem Lastwagen sprühen Funken, die Polizei macht sich an die Arbeit.
Mit Trennscheiben und anderem Gerät versuchen Beamte, unter den Laster zu kommen und Beton und Metall – oder umgekehrt – zu trennen. Der Augenzeuge berichtet, dass der Lastwagen unterhalb der Ladefläche einen angebauten Metallkasten hat, der knapp bis an die Fahrbahndecke reicht. Vom Metallkasten aus, so heißt es, haben sich Atomkraftgegner von der geschlossenen Ladefläche in der Straßenoberfläche verankert, angekettet. „Wir sitzen hier fest und werden uns nicht von der Stelle bewegen“ sagt Mathias Edler von Greenpeace. Die Umweltschutzorganisation hat die Aktion organisiert.
100, vielleicht auch 200 Leute will der Augenzeuge als Beobachter registriert haben hinter den Absperrungen, die die Polizei aufgebaut hat. Polizeifahrzeuge säumen die Kreuzung. Der Bierlaster ist gemietet, sagt Greenpeace-Mann Edler. Natürlich solle mit dieser Aktion vor allem gegen die Bundesregierung und ihre Atompolitik protestiert werden.
Woher der Bierlastwagen schließlich kommt, das weiß auch Edler nicht. Und ob der Bierhersteller mit dieser Nutzung bei Gorleben einverstanden ist, scheint auch ungeklärt. „So herzerfrischend anders“ steht auch noch drauf auf dem acht Meter langen Lastwagen. Aus Hessen stammt „Hütt Luxus Pils“, aus Baunatal bei Kassel, genauer gesagt aus Baunatal-Knallhütte.
Mit beispiellosen Blockadeaktionen ist es Atomkraftgegnern gelungen, den Castor-Transport mit hochradioaktivem Atommüll zu verzögern. Gleichzeitig entfachten die Proteste eine hitzige politische Diskussion über die Atompolitik der Bundesregierung und über die Grenzen legitimen Protests.
Die elf Castor-Behälter hatten am Montagmorgen nach mehr als 67-stündiger Zugfahrt durch Frankreich und Deutschland und diversen Blockaden die Verladestation in Dannenberg erreicht.
Dort benötigten die Organisatoren des Transports den ganzen Tag, um die Behälter vom Zug auf Tieflader zu hieven und die Strahlung zu messen. Die Castoren sollten frühestens in der Nacht zu Dienstag über die Straße auf die letzten 20 Kilometer nach Gorleben geschickt werden.
Allerdings blockierten nach Angaben der Castor-Gegner bis zu 3000 Demonstranten die Straße ins Zwischenlager.
Am Montag gab es nach Berichten von Korrespondenten vor Ort auch immer wieder Traktor-Blockaden an den Bundesstraßen rund um Gorleben. Zeitweilig befanden sich Hunderte Schafe auf der Strecke. Die Bäuerliche Notgemeinschaft schloss weitere Aktionen nicht aus, sobald sich die Lastwagen mit den Castor-Behältern in Bewegung gesetzt haben.
Bereits in der Nacht zum Montag hatten Atomkraftgegner mit einer Massen-Sitzblockade von zeitweise bis zu 5000 Protestierenden stundenlang die Weiterfahrt des Zuges kurz vor Dannenberg verhindert. Die Polizei räumte schließlich am frühen Montagmorgen und nahm zeitweilig etwa 1000 Menschen in Gewahrsam. Die Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg warf den Beamten rechtswidriges Verhalten vor, weil die Menschen bei Minusgraden ohne Kälteschutz festgehalten wurden. Die Polizei hält die Aktion dagegen für rechtmäßig.
Insgesamt zeigten sich die Atomkraftgegner mit ihren Aktionen aber zufrieden. Der Sprecher der Initiative „ausgestrahlt“, Jochen Stay, nannte die Sitzblockade auf den Schienen eine „Sternstunde des gewaltfreien Widerstandes".
Allerdings hatte es am Wochenende teils auch gewalttätige Auseinandersetzungen gegeben. Vor Ort beklagten Vertreter der Aktion „Castor schottern“, der Polizeieinsatz gegen das Aushöhlen des Gleisbetts habe rund 1.000 Verletzte gefordert – 950 davon mit Augenreizungen durch Reizgas. Die Polizei sprach ihrerseits von massiven Angriffen einiger „extrem aggressiven Personengruppen“. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) kritisierte die Überlastung vieler Beamter. Teilweise hätten Einsatzkräfte 24 Stunden oder noch länger Dienst am Stück schieben müssen.
Der Konflikt setzte sich auf politischer Ebene fort. Die parlamentarische Staatssekretärin im Umweltministerium, Katherina Reiche (CDU), beklagte die „größte Gewalteskalation seit vielen Jahren“ und gab der Opposition aus SPD und Grünen eine Mitschuld. Union und FDP attackierten vor allem die Grünen, weil einige ihrer Spitzenpolitiker sich an den Demonstrationen beteiligt hatten. CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt bezeichnete die Grünen als „politischen Arm von Aufrührern“.
Grünen-Chefin Claudia Roth verteidigte die Proteste jedoch. Hintergrund sei die Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke und die weitere Erkundung von Gorleben als mögliches Endlager. Die Linken-Politikerin Ulla Jelpke sagte, sie habe mit eigenen Augen gesehen, wie „die Staatsgewalt rücksichtslos zugeschlagen hat“. Die Debatte wird wahrscheinlich diese Woche im Bundestag ein Nachspiel haben, wo Union, Linke und Grüne eine Aktuelle Stunde beantragt haben.
In Berlin wies SPD-Chef Sigmar Gabriel der Bundesregierung die Schuld an den verschärften Auseinandersetzungen zu. Die Verlängerung der Laufzeiten für Atomkraftwerke habe die Proteste wieder explosionsartig steigen lassen, sagte der frühere SPD-Umweltminister. Auch Grünen-Chefin ClaudiaRoth sagte, die Bundesregierung müsse ihre Laufzeiten-Entscheidung zurücknehmen. Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) verteidigte den Transport erneut. Die Entsorgung von Abfällen aus Kernenergie sei notwendig und ohne Alternative. Atomkraftgegner forderten Röttgen auf, umgehend nach Gorleben zu kommen. Dies lehnte der Minister ab. Er versprach aber einen Wendland-Besuch noch vor Weihnachten.