Es war die wohl heikelste Mission, die der deutsche Außenminister in seiner noch jungen Amtszeit zu bestehen hatte. Nicht politisch, die Beziehungen zu Saudi-Arabien gelten als freundschaftlich. Dass Guido Westerwelle dennoch mit einem mulmigen Gefühl nach Riad gereist war, lag an seinem persönlichen Hintergrund: Der FDP-Politiker lebt daheim mit einem Mann zusammen. Und in dem islamischen Gottesstaat ist Homosexualität mit Sanktionen belegt, die von Peitschenhieben über Haft bis zur Todesstrafe reichen.
Doch die Königsfamilie Al-Saud, die dem Land ihren Namen gab, weiß zwischen dem Privatleben ihrer Gäste und den Staatsgeschäften zu unterscheiden. Westerwelle wurde von den Prinzen in den Ämtern des Außen- und Finanzministers mit ausgesuchter Höflichkeit begrüßt. Als besonders freundliche Geste durfte der deutsche Chefdiplomat die Ehre eines Empfangs durch König Abdullah werten, der ursprünglich nicht im Protokoll vorgesehen war.
Der Besuch in Riad war Teil der mit sechs Tagen bislang längsten Auslandsreise Westerwelles, die am Mittwoch in der Türkei begonnen hatte und über Saudi-Arabien noch nach Katar und in die Vereinigten Arabischen Emirate führt. Mit der Visite im Nahen und Mittleren Osten tritt seine Arbeit als Außenminister in eine neue Phase.
Die ersten 70 Tage waren von Antrittsbesuchen bei den europäischen Nachbarn und den wichtigsten Verbündeten in Washington sowie Tel Aviv geprägt – mehr oder weniger diplomatisches Pflichtprogramm. Jetzt weitet der FDP-Politiker seinen Aktionsradius aus und kann dabei in größerem Umfang eigene außenpolitische Schwerpunkte setzen.
An erster Stelle seiner Agenda steht dabei der Ausbau der Handelsbeziehungen. Den Job als Superminister für Wirtschaft und Finanzen hatte Westerwelle in den Koalitionsverhandlungen zwar ausgeschlagen, als Außenminister aber versteht er sich als Türöffner für deutsche Unternehmen, die neue Märkte erschließen wollen. In Riad warb er insbesondere für die Bauwirtschaft – angesichts der zahllosen Baustellen in der Hauptstadt ein nachvollziehbares Engagement. „Ich hoffe, dass die Spitzenqualität und das technische Know-how deutscher Firmen bei den großen Infrastrukturprojekten Ihres Landes zum Einsatz kommt“, sagte Westerwelle.
Daheim, im Auswärtigen Amt, hat er die Strukturen diesem Anspruch schon angepasst und das Thema zur Chefsache gemacht: Sein wichtigster Vertrauter, Staatssekretär Martin Biesel, kümmert sich um die Wirtschaftsförderung, alle einschlägigen Vorgänge müssen an den Minister persönlich berichtet werden. Und auf seiner Reise ins Morgenland begleitete ihn eine Delegation von Managern und Firmenchefs.
Dazu gehörte auch Frank Asbeck, Vorstandschef der Solarworld AG. Das Unternehmen zählt zu den weltweit größten Herstellern von Solarstromprodukten und möchte sein Geschäftsfeld auf die Türkei ausweiten. „Um es mal einfach auszudrücken: Dort gibt es die Sonne, wir haben die Hochtechnologie für regenerative Energie. Das sind doch riesige Exportchancen für Umwelttechnologie Made in Germany“, sagte Westerwelle. Und so brachte er Asbeck in Ankara und Istanbul mit den Ministern für Wirtschaft und Energie zusammen. Treffen, die sich für beide Seiten lohnten, findet der Unternehmer.
Seit zwei Jahren debattiert das türkische Parlament über ein Gesetz zur Förderung erneuerbarer Energien. Asbeck rechnete den Politikern vor: Wenn sie endlich eine staatliche Anschubfinanzierung für die Solartechnologie beschließen, könnte das Land ab 2020 rund 25 Prozent seines Strombedarfs mit Sonnenlicht erzeugen – mit der Solarworld als Partner in einem Joint Venture. „Die Kontakte sind gemacht, der Besuch hat sich gelohnt“, sagte Asbeck und lobte Westerwelle: „Es ist erstmalig so, dass ein Außenminister den Handel derart ausdrücklich betont und dabei nicht nur an die Großkonzerne denkt, sondern auch den Mittelstand mit auf Reisen nimmt.“
Außenpolitik als Wirtschaftspolitik im „wohlverstandenen deutschen Interesse“, mit dieser Formel begründete Westerwelle auch den diplomatischen Teil seines Türkeibesuchs. Die Bundesregierung unterstütze die Bemühungen Ankaras, in die Europäische Union aufgenommen zu werden, versicherte der FDP-Chef seinen Gesprächspartnern von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan bis Außenminister Ahmet Davutoglu. Dabei kann er sich auf den Koalitionsvertrag berufen, der eine ergebnisoffene Prüfung der Beitrittsabsichten der Türkei festschreibt.
Das hinderte die Koalitionspartner von der CSU allerdings nicht daran, während des Staatsbesuchs den Abbruch der Beitrittsverhandlungen zu fordern – wodurch sich Westerwelle genötigt sah, die diplomatische Rhetorik um ungewöhnlich deutliche Formulierungen zu erweitern. Die CSU könne verlangen, was sie wolle: „Das, was ich sage, zählt.“ Er sei schließlich „nicht als Tourist in kurzen Hosen unterwegs, sondern als deutscher Außenminister“.
Und an die Adresse der bayerischen Staatsmänner ging die Mahnung: „Wir leben vom Export, kleinkarierte Scharmützel der Parteien schaden unseren Interessen. Viele Tausend Arbeits- und Ausbildungsplätze hängen an stabilen politischen Beziehungen der Türkei ab. Schon jetzt haben 4000 deutsche Unternehmen hier ihren Sitz. Auch deshalb sollten wir unsere Politik der Zuverlässigkeit fortsetzen.“ Tatsächlich hatte Deutschland seine langjährige Rolle als wichtigster Außenhandelspartner der Türkei zuletzt an Russland abtreten müssen.
Den zweiten Teil seiner außen-politischen Agenda betrieb Westerwelle weniger offensiv, aber dennoch energisch: die Menschenrechte. Öffentliche Ordnungsrufe wird es von dem Liberalen nicht geben, die hält er für Schaufensterpolitik. Stattdessen traf er sich mit führenden Vertretern der ethnischen und religiösen Minderheiten: in Ankara mit Politikern der kurdischen Opposition, in Istanbul mit dem ökumenischen Patriarchen Bartholomäus I.
Und in einer Rede vor der türkischen Botschafterkonferenz erinnerte er daran, dass „Meinungs-, Presse- und Religionsfreiheit tragende Säulen unserer europäischen Wertegemeinschaft sind“. Für einen Staat, der zu dieser Gemeinschaft stoßen will, eine deutliche Botschaft.
Auch in Riad wurde Westerwelle seinem Anspruch, den „Geist der deutschen Toleranz in andere Länder“ zu tragen, gerecht. Mit dem Amtskollegen Prinz Saud Al-Faisal sprach er „ausführlich über die Menschenrechte“, insbesondere über „religiöse Pluralität“ und die Forderung der Europäischen Union nach der Abschaffung der Todesstrafe – es war der einzige Punkt, wo es eine offen eingestandene Meinungsverschiedenheit gab.
Noch weitgehend tastend ging Westerwelle dagegen bei Punkt drei seiner Agenda vor, den inter-nationalen Konflikten. Auf allen Reisestationen wurden Gespräche zur Nahostfrage, dem Atomstreit mit dem Iran und der eskalierenden Lage im Jemen geführt. Die Türkei engagiert sich wie noch nie in ihrer Geschichte bei der Lösung dieser Konflikte, Saudi-Arabien spielt im Nahen Osten als Vater der arabischen Friedensinitiative traditionell eine führende Rolle. Westerwelle übte sich in den Gesprächen in Zurückhaltung, hob den Erfahrungsvorsprung seiner Gegenüber hervor und betonte, er wolle sich ein Bild von der Meinung der Partner und den Erwartungen an Deutschland machen.
Westerwelles Auftreten schien gut anzukommen. Einen Gutteil des türkischen Kabinetts darf er bereits seine Duzfreunde nennen. Und der saudische Außenminister, Prinz Saud Al-Faisal, sieht die bilateralen Beziehungen gar auf dem Weg zu „neuen Horizonten“.