Als Konsequenz aus der Weltfinanzkrise schlägt Merkel die Schaffung eines Weltwirtschaftsrates bei den Vereinten Nationen vor. Beim Thema Steuersenkung blieb die Kanzlerin hart: Ziel sei ein ausgeglichener Haushalt. Als Friedrich Merz ans Rednerpult trat, hielten die Delegierten den Atem an.

Die Lacher waren nicht beabsichtigt. Die "lieben Delegierten" sollten "den Test machen, ob jeder über einen Stuhl verfügt", hatte die CDU-Vorsitzende Angela Merkel zur Eröffnung des Parteitags in den Stuttgarter Messehallen gesagt. Der Saal konnte nicht anders, als an die bevorstehende Wahl des Parteivorstands zu denken, die für Merkel ja auch zum Test wurde, ob die CDU ihr auf ihrem vorsichtigen Konsolidierungskurs folgt. Und die Partei folgt ihr: Merkel bleibt für weitere zwei Jahre Parteivorsitzende der CDU. Auf dem Parteitag wurde die 54-Jährige mit 94,83 Prozent in ihrem Amt bestätigt.


Bei der letzten Wahl hatte die CDU der Vorsitzenden eine Zustimmungsrate von 93 Prozent zugebilligt. Und da der umsichtige Generalsekretär im Vorfeld schon abgefangen hatte, was sich an Kritik geregt hatte, war die Wahl die einzige Chance der Basis, ein Grummeln zu äußern, wenn es denn eines gab. Das Grummeln blieb bei Merkels Wahl aber aus.


Um Merkel herum war die Parteispitze zum großen Teil in Schwarz erschienen. Ein ökumenischer Gottesdienst hatte eingestimmt auf die Verabschiedung der Toten, mit deren Namensnennung jeder CDU-Parteitag beginnt. In kurzen Mosaiken blitzt die Parteigeschichte auf: 1937 geboren, 1955 eingetreten, später Frauenunion, später Bürgermeister, Schatzmeister. In ihrer 65-minütigen Rede mutete Merkel den Delegierten einiges zu.


Als "Umpf-Faktor", als den Kern ihrer Botschaft, der die Basis in Gang setzen soll, als ideelles „Stövchen“ präsentierte die CDU-Vorsitzende das, was sie aus der Wirtschaftskrise gelernt hat: „Wir haben Druckmaschinen, Kaffeefilter und Plüschtiere zu Welterfolgen gemacht. Warum jetzt nicht auch die Soziale Marktwirtschaft?“


Gegen die „Exzesse der Märkte“ will Merkel eine „Wirtschafts-Uno“ nach dem Vorbild des UN-Sicherheitsrats, die international einen Rahmen setzt für fairen Handel. Skeptikern hielt Merkel die Erfahrungen Europas entgegen: „Es ist die europäische Erfolgsgeschichte, die mit Institutionen für die wirtschaftliche Ordnung begann. Erst bei Kohle und Stahl, dann bei Energie, später der Binnenmarkt und schließlich sogar eine gemeinsame Währung.“ Der europäische Stabilitätspakt sei ein Modell für die ganze Welt.


Auch zum Streit um die Steuerentlastungen äußerte sich die Kanzlerin. Gerade in der Krise dürfe das Ziel eines ausgeglichenen Haushalts nicht aus dem Auge verloren werden – der Rat der „schwäbischen Hausfrau, dass niemand auf die Dauer über seine Verhältnisse leben kann“ müsse hier beachtet werden.


Die Delegierten hielten den Atem an, als wenig später Friedrich Merz, Merkels Gegenspieler, sie in dieser Haltung explizit unterstützte: Für Steuergeschenke, so der frühere Fraktionsvorsitzende, sei kein Geld im Haushalt. Dennoch forderte Merz - unter Anspielung auf den Leipziger Reformparteitag, an den er sich sehr gut, „andere nur noch dunkel“ erinnern könnten – schon zum 1. Januar die „kalte Progression“ abzuschaffen. Der Staat solle gerade bei höheren Einkommen ein Zeichen setzen, indem er auf Mehreinnahmen nach Gehaltserhöhungen verzichte.



Merz forderte außerdem, die Banken – die das Rettungspaket bislang eher schleppend annehmen und weiterhin für eine „Kreditklemme“ sorgen, sollten „per Gesetz veranlasst“, also gezwungen werden, die Hilfen anzunehmen und wieder freigiebiger zu verleihen. Merkel applaudierte. Roland Koch applaudierte. Es sei gut, dass Merz hier spreche, so meinte der Hessische Ministerpräsident. „Da sieht man, dass wir das Problem hier gemeinsam lösen wollen.“


Gesellschaftspolitisches gab die Parteivorsitzende nur wenig vor, und das Wenige nahm die Versammlung durstig auf. An die Stelle, wo früher von Ehe und Familie die Rede war, trat heute die DDR-Vergangenheit. „Auf euch Spitzbuben, auf euch Spitzelbuben“, so rief Merkel in Richtung der Linkspartei, „fallen wir nicht herein!“ Auch gegen Sterbehilfe sprach sie sich aus.


Aber ihr Herzensanliegen war ein anderes, und die Parteivorsitzende, die sich zur Wahl stellen will, bat in geradezu flehenden Worten um Unterstützung. „Allein schafft das niemand. Auch ich nicht.“ Roland Koch war am Vormittag nicht da gewesen. Hessen feiert an jedem ersten Dezember seine Verfassung. In aufgeräumter Stimmung trat der Wahlkämpfer ans Mikrophon, sprach ohne Manuskript und empfahl der Partei „größeren Mut als wir es gelegentlich zeigen!“ Konservative hätten das Problem, skeptisch gegenüber Utopien zu sein, so dass es gelegentlich klänge, „als hätten wir keine Träume!“


Da müsse man die Menschen vom Gegenteil überzeugen, rief Koch, „Projekt für Projekt, Arbeitsplatz für Arbeitsplatz“. Die Partei solle sich nicht nach den Wünschen der Journalisten richten, die gerade am Rande eines Parteitags immer auf innerparteiliche Differenzen lauerten. „Wertebewusste Wähler finden immer weniger Heimat bei uns. Wir brauchen eine Vision“, protestierte Eugen Abler, Delegierter aus Baden-Württemberg. Er griff Merkel nicht persönlich an. Das brauchte er auch nicht.


Er zitierte den Augsburger Bischof Mixa, die Bundesrepublik mit ihren 120.000 Abtreibungen pro Jahr sei eine „kinderfeindliche Gesellschaft.“ Der Schutz des Lebens, von der Urzelle bis zum natürlichen Tod, müsse wieder ein zentrales Anliegen der CDU werden. Er bekam einigen Applaus. Fragt man freilaufende Delegierte, wie sie die Rede der Kanzlerin erlebt haben, sagt, nach vorsichtigem Zögern, einer von ihnen: „Och gut. Ganz gut eigentlich. Ich meine, wir wissen ja wie sie ist.“