„Ich bin damit groß geworden“, erzählt Franco Tommasino vom „I due Emigranti“ in Schöneberg und streicht versonnen über sattgrüne, wächserne Blätter, weißlich-grüne Stängel mit kleinen, brokkoli-ähnlichen Knospen des süditalienischen Cima di Rapa. Das Herbst- und Wintergemüse wächst in Francos Heimat Kampanien und im benachbarten Apulien in großen Mengen.
Neben dem Eingang des Ristorante stehen die in Deutschland als Stängelkohl, Rübstiel oder Rübenspross bekannten Cima di Rapa in flachen Sperrholzkisten als bildschöner Blickfang. Die langen Stängel der zur Familie der Kreuzblütler gehörenden Pflanze sind in guter Gesellschaft: Tiefviolette Auberginen, karmesinrote Kirsch- und Rispentomaten, orangefarbene Kürbisse und lila-grüne Artischocken machen schon beim Betrachten Appetit.
63 Jahre alt ist Franco, mehr als die Hälfte davon betreibt er das Restaurant. Noch vor zehn Jahren hätte Cima di Rapa nicht auf der Karte stehen können, „die Leute kannten es einfach nicht. Heute fragen die Stammgäste, wann die Saison endlich beginnt“, freut er sich. Die Rezepte stammen von „Mamma und Nonna. In meiner Jugend gab es ihn im Winter fast jeden Tag.“ Seit Anfang November servieren Franco und Kompagnon Andrea Caschili das gesunde Grün als köstliche Vorspeise, auf der Pizza und als Hauptgericht, jeweils für 12,50 Euro.
Das nach der Zubereitung vom Aussehen an Spinat erinnernde, die Zähne stumpf machende Gemüse mit dezent säuerlicher Bitternote, braucht einen kräftigen Partner. „In der süditalienischen Küche ist das die würzige Salsiccia-Wurst, mit Fenchelsamen, Majoran und Knoblauch“, erklärt Andrea Caschili. Sie kommt längs aufgeschnitten und scharf angebraten über blanchierten, kurz in Olivenöl gedünsteten Cima di Rapa auf den Vorspeisenteller. Auch bei der krossen Pizza sorgt die Kombination Wurst und Cima di Rapa für exzellenten Geschmack. Im Hauptgericht kommt der Stängelkohl, ebenfalls blanchiert, mit Salsiccia-Stückchen und hausgemachten Orecchiette zu Tisch. Dazu passt ein kräftiger roter Cannonao aus Sardinien.
In türkischen Läden Yabani-Brokkoli
Mittlerweile wird Cima di Rapa nicht nur von Restaurantlieferanten angeboten, sondern auch auf Wochenmärkten und in ausgewählten Geschäften zu Preisen um vier Euro das Kilo verkauft.
Nizar Alazi aus dem Restaurant Honca am Ludwigkirchplatz kauft es beim türkischen Großmarkthändler unter dem Namen Yabani-Brokkoli. Der 26-jährige Chefkoch hat in London gelernt und gearbeitet. Seit gut vier Monaten bereitet er vorzügliche Speisen seiner Heimat zu, die er mit begeisternder Inspiration weiter entwickelt. So bei dem exquisiten Kasik Salata, der für 9,50 Euro eine bunte Augenweide ist: dünne Biotomatenscheiben umschließen ein Rund aus gehackten Yabani-Stängeln, Gurken und Tomaten. Für frische Säure sorgt Granatapfel. Gekrönt wird der Salat von kleinen Knötchen der kugelförmigen Wurzel des Stängelkohls, die wie Nudeln aussehen, und mit knackiger Bissfestigkeit überraschen. Die Bauern seiner Heimat hätten die Wurzeln früher oft an die Kühe verfüttert, Nizar Alazi wollte herausfinden, wie die Wurzeln schmecken und hatte dann die Idee, sie in dünne Streifen zu schneiden und zu verknoten.
Als Zwischengang schickt er einen blanchierten Gemüsetaler, auf dem eine Haube Joghurt mit Knoblaucharoma an Nizars Heimat erinnert. Auf den Joghurt streut Alazi pulverisierte, dehydrierte Blätter und gerösteten Weizen, der für eine knusprige Überraschung á la London Cooking sorgt.
Teigtaschen in jadegrünem Salatherzschaum
Im vegetarischen Hauptgang Piruhi für moderate 17,50 Euro klingen mediterrane Töne an. Drei große gefüllte Teigtaschen schlummern in jadegrünem Salatherzschaum. Sie sind gefüllt mit gehacktem Yabani-Brokkoli, Kräutersaitlingen, Clotted Cream und werden mit getrockneten Stängelkohlblättern dekoriert.
Wie Franco kennt auch Nizar das Gemüse als Essen der Armen. „Kulinarisch waren sie vielleicht gar nicht so mittellos“, sinniert er und freut sich, dass Stängelkohl „heute in handwerklich aufgewerteter Form wieder so geschätzt wird“.
Honca Ludwigkirchplatz 12, Wilmersdorf, Di-So 17-23 Uhr, Tel. 95 59 94 34, www.honca.de
I due Emigranti Belziger Str. 38, Schöneberg, tägl. 16-24, So Brunch 11-15, Tel. 782 63 26
Obst und Gemüse Ziya Auguste-Viktoria-Straße 70, Grunewald, Mo -Fr 7-19, Sbd 7-14.30 Uhr, Tel. 826 44 16