Im Gegensatz zu Kylie Minogue oder Kim Cattrall („Sex and the City“) verweigert Madonna jede Aussage, wenn sie darauf angesprochen wird; Demi Moore rollt mit den Augen und auch Nicole Kidman verdankt ihr inzwischen seltsam glatt gebügeltes Antlitz immer noch ausschließlich Mutter Natur. „Botox? Oh my God! Never, ever!“ Offiziell sind es die „wahnsinnig guten Gene“ und „strikte Disziplin“, die nach wie vor bei manchen internationalen Stars zum Benjamin-Button-Effekt führen: statt älter und faltiger sehen sie immer glatter, praller, jünger aus. Diese Spezies seltsam altersloser Frauen trinkt angeblich täglich so viel Wasser wie ein Pferd, sie joggt quasi ununterbrochen zwischen Yoga und Pilates hin und her, und wenn sie damit fertig ist, geht's husch, husch sofort ins Bettchen – Schönheitsschlaf. Keine Zigaretten, kein Alkohol und schon gar keine Sonne!
Dass das nicht ganz der Wahrheit entspricht, weiß wohl kaum jemand besser als das kanadische Ärzteehepaar Jean und Alastair Carruthers. „Alle diese Anstrengungen können zwar helfen, den Alterungsprozess zu verlangsamen, in der Wahrheit tendieren diese Aussagen der Stars aber Richtung Märchen. Sie lassen sich alle behandeln“, sagt Jean Carruthers. Sie muss es wissen, schließlich entdeckte die heute 61-jährige Augenärztin den Bügeleiseneffekt von Botox bereits vor 22 Jahren. „Faltenreduzierende Wirkung“ heißt es seither in der Fachsprache.
Jean Carruthers und ihr Mann, ein 64-jähriger Dermatologe, sind die Pioniere der faltenlosen Generation. Sie machten das Nervengift zum Goldesel der Schönheitsindustrie und sich selbst zu den Heroen ihrer Zunft. Heute ist das Mittel weltweit Standard in den Praxen kosmetischer Chirurgen, avancierte Verkaufsschlager unter den Verjüngungskuren. Allein in Deutschland wurden 2008 105.500 Faltenbehandlungen registriert. Im Vergleich zum Vorjahr ist das ein Zuwachs von 22 Prozent. Krise? Im Gegenteil. Es scheint eher so zu sein: Wenn die Wirtschaft schon nicht läuft, muss wenigstens in die Schönheit investiert werden. 14 Millionen US-Amerikaner gaben ihr Gesicht in professionelle Hände von Schönheitschirurgen.
Botox ist inzwischen salonfähig. Die Liaison mit dem Toxin hat nicht länger den Status einer heimlichen Liebschaft. Man redet darüber. Nicht unbedingt gern, aber doch relativ freimütig. „Die Standards für Schönheit sind schließlich auf der ganzen Welt sehr ähnlich, der Drang, so schön wie möglich zu sein, ist universell akzeptiert“, sagt Jean Carruthers. Und dem jugendlichen Schönheitsideal auch im Alter länger zu entsprechen, wird stetig einfacher, billiger, schmerzfreier. Seit Botox seinen Siegeszug in die Schönheitskliniken der Welt antrat, schneiden immer weniger Chirurgen die Gesichtshaut an den Ohren auf, um sie dann einige Millimeter weiter hinten wieder festzuzurren. Der Windkanal-Look à la Denver-Clan-Biest Joan Collins ist passé. Vorbei die Zeiten, in denen das Gesicht zwei Wochen lang bis zur Unkenntlichkeit angeschwollen war, bevor es makellos wieder zum Vorschein kam. „Dass ist ja so 80er“, stöhnt Jean Carruthers.
Botox mit Kollagen ist das Nonplusultra gegen Falten
Der Schlüssel zum etwas jüngeren Aussehen heißt: minimalinvasiver Eingriff (Eingriffe mit kleinster Verletzung von Haut und Weichteilen). „Die Menschen sind klug. Heutzutage soll man möglichst wenig von der Behandlung sehen“, sagt Alastair Carruthers. Botox in Kombination mit Collagen sei einfach das absolute Nonplusultra. Und er sagt auch, dass immer mehr Männer in seine Praxis kommen. „Zehn Prozent unserer Kunden sind inzwischen männlich.“ Tendenz weltweit: steigend. So gesehen ist Botox Massenware. Die Verjüngungskur mit der Spritze ist längst kein Phänomen altersängstlicher Schauspieler und Models mehr. „Der Großteil unserer Patienten sind Menschen, die nicht im Rampenlicht stehen. Es sind Hausfrauen, Anwälte, Kindergärtnerinnen oder Beamte. Sie fühlen sich eben noch nicht so alt wie ihr Spiegelbild“, sagt Alastair Carruthers.
In einer immer älter werdenden Gesellschaft wird Jugend immer exklusiver. Jeder versucht sie so lange wie möglich zu konservieren. „Unsere Patienten sagen oft, dass sie zwar gern wieder ihren Körper wie Anfang zwanzig hätten, dazu aber ihr Wissen und ihren Verstand ihres aktuellen Alters“, sagt Jean Carruthers. Sie und ihr Mann verstehen die Pikser unter die Gesichtshaut als Hilfe für ein besseres Lebensgefühl. „Botox kann die nicht erwünschten, unattraktiven Gesichtszüge eliminieren: Zornesfalten, tiefe Stirnfalten, hängende Augenbrauen“, sagt Alastair Carruthers. Keiner wolle einen ständig abgekämpften Gesichtsausdruck mit sich herumtragen, daher sei Botox ein legitimer Kick für das Selbstbewusstsein. „Früher kauften sich Frauen teure Schuhe, gingen zum Friseur oder zur Maniküre – niemand hat sie dafür kritisiert. Warum sollten sie sich jetzt für Botox schämen? Wo zieht man die Grenze zwischen Pflege und Spleen?“, fragt Alastair Carruthers. Und wie zum Beweis, dass es ganz normal sei, sich jünger zu machen, als man wirklich ist, fügt er noch die ägyptische Königin Kleopatra an. „Die wusste auch, wie sie ihre Haut jung hält. Sie badete in Eselsmilch, wegen der darin enthaltenen Alphahydroxid-Säuren“, sagt Alastair Carruthers.
Einer der sechs gefährlichsten Biokampfstoffe
Sicher, die Sehnsucht nach Schönheit ist so alt wie die Menschheit. Nur, wie weit sollte man gehen? Wer will wirklich ein zur Maske erstarrtes Gesicht, zwar ohne Falten, aber auch ohne Mimik? „Das passiert nur, wenn zu viel oder schlecht gespritzt wird – Dilettanten“, kontert Jean Carruthers. Natürlich solle kein schönes Gesicht in ein ausdrucksloses verwandelt werden. Genau durch diese Überbehandlungen komme der schlechte Ruf des Medikaments zustande. Ob es wirklich nur daran liegt, ist fraglich. Immerhin gehört das Gift in konzentrierter Form zu den sechs gefährlichsten biologischen Kampfstoffen der Welt. Eine Splittergruppe der Baader-Meinhof-Gruppe soll 1989 angeblich damit experimentiert haben – und wohl kaum, um die Gesichter ihrer Mitglieder zu verschönern. Und in den USA untersucht man die Giftwaffenfähigkeit von Botulintoxin seit 1942 – theoretisch kann es als Biowaffe eingesetzt werden. „Wir arbeiten natürlich mit einer extrem stark verdünnten und gereinigten Form“, sagt Alastair Carruthers. Und er sagt auch, dass das Mittel über die Haut wieder abgebaut wird und in dieser geringen Konzentration absolut ungefährlich sei. „Nach drei bis fünf Monaten ist der Effekt wieder verschwunden.“
Dass die beiden Ärzte auch selbst von Botox profitieren, sprechen sie offen aus. „Über 60 Jahre alt zu sein und dabei immer noch faltenfrei und glücklich und ziemlich attraktiv, ist nun wirklich kein Widerspruch“, sagt Alastair Carruthers lachend. Und seine Frau fügt selbstironisch hinzu: „Ich habe seit 1987 nicht mehr die Stirn gerunzelt.“ Damals behandelte sie nämlich eine Patientin, die unter einem nervösen Augenzucken litt. Seit Anfang der 80er-Jahre injizierte man in solchen Fällen das Nervengift. „Die Fähigkeit, über die Blockade der Nervenzelle Muskeln zu lähmen, lässt sich therapeutisch nutzen“, sagt Jean Carruthers. Die betroffenen Muskeln würden so gelähmt und das Lidzittern verschwände für drei bis fünf Monate. Und, oh welch überraschender Nebeneffekt: Mit dem Zittern des Augenlids verschwanden auch die Furchen auf der einen Seite der Stirn der Patientin.
Begeistert kam sie drei Tage später wieder in Jean Carruthers' Praxis und präsentierte stolz das kleine Wunder. „Ich möchte auch auf der anderen Seite diese Spritze“, sagte sie. Ihr Wunsch wurde erfüllt, das Resultat bestätigt. Die Carruthers wussten sofort: „Das ist ein Gewinner!“, und starteten Versuchsreihen mit Probanden. Bis Botox tatsächlich als Faltenkiller auf den Markt kam, dauerte es noch ganze sechs Jahre. Patentieren ließen sich die Carruthers ihre Entdeckung jedoch nicht. „Wir waren damals sehr naiv und unser Anwalt hat uns schlecht beraten“, sagt Alastair Carruthers.
Heute ist ihre Expertenmeinung auch ohne Patent gefragter denn je. „Botox ist wie Penicillin fürs Selbstwertgefühl. Es kann zwar bei der Steigerung oder Wiederherstellung behilflich sein, es aber nicht von Grund auf aufbauen“, sagt Jean Carruthers. Tatsächlich ist ein frisches, fittes Aussehen im 21. Jahrhundert in vielen Berufen genauso Voraussetzung für die Karriere wie ein makelloser Lebenslauf. „Die Bedrohung durch das Alter existiert in der Arbeitswelt. Ich habe viele Frauen mittleren Alters, die meine Hilfe benötigen. Diesen Frauen ist durchaus bewusst, dass sie auf der Höhe ihrer Kompetenz und Fähigkeiten sind. Aber leider könnte eine jüngere, unerfahrene Konkurrentin nur aufgrund ihrer äußeren Erscheinung die Stelle erhalten“, sagt Jean Carruthers.
Ob das die ägyptische Königin Nofretete (14. Jh. v. Chr.) auch schon so sah? Wie ließe sich sonst erklären, dass selbst ihre berühmte Büste schon eine Schönheits-OP hinter sich hat? Unter der Oberfläche fanden Berliner Wissenschaftler kürzlich ein zweites Gesicht: mit Falten und krummer Nase. Vielleicht die älteste Korrektur der Welt, gut versteckt seit 3400 Jahren. Der Drang nach Perfektion wird die Menschen wohl ewig begleiten. Wie weit man dabei geht, ist Privatsache, und auch, ob man darüber spricht.