Mode allein reicht ihm schon lange nicht mehr: Karl Lagerfeld macht Fotos, Bücher, CDs, Appartments und Werbekampagnen. Weil der Chef-Designer von Chanel, der jetzt 75 (oder doch 70?) Jahre alt wird, sich so schnell langweilt, muss er sich ständig neu erfinden – und kommt dabei auf den Bär.
Er ist weiß, trägt eine schwarze Sonnenbrille, ein weißes Popeline-Hemd mit Stehkragen, dazu schwarze Lederhandschuhe, schwarzes Jackett aus Wollstoff, schwarze Jeans und eine schwarze Seidenkrawatte, alles aus der Werkstatt des Meisters. Auf den ersten Blick könnte man meinen, der Bär aus feinstem Alpaka, 40 Zentimeter hoch und leider ohne Zopf, den Karl Lagerfeld für die Firma Steiff nach seinem Bilde entworfen hat, sei zugleich eine späte Hommage an einen gewissen Knut. Der Eisbär war einmal kurzzeitig berühmt. Vielleicht sogar berühmter, populärer und vor allem omnipräsenter als Karl Lagerfeld selbst. Obwohl das eigentlich nicht geht.
Denn Lagerfeld, obwohl in jedem Zentimeter, jeder Geste, jedem Wort elitär, arbeitet weiter an seinem Ziel, der berühmteste Deutschen zu werden. Und er, den das „Time Magazine“ 2008 als einzigen Deutschen in die Liste der „100 einflussreichsten Menschen der Welt“ wählte, ist diesem Ziel in diesen Tagen näher als je zuvor.
Im September erscheint nicht nur der Lagerfeld-Bär – in einer Auflage von 2500 Exemplaren zum Preis von 1000 Euro –, sondern auch noch die „Karl Lagerfeld Selection“ exklusiv für Rosenthal. Lagerfeld hat sich bei dem Porzellanhersteller umgeschaut, einige Stücke ausgewählt und die Vasen, Gläser und Figurinen rund um Brad Kroenig, sein männliches Lieblingsmodell, drapiert und dann fotografiert.
An Karl Lagerfelds Fotografien ist mittlerweile noch schwerer vorbeizukommen als an seiner Mode. Er macht eigentlich ständig Bilder und hat die Welt mit Büchern, Ausstellungen und mit drei Kampagnen für die Champagnermarke Dom Pérignon beglückt, in denen sich einmal das ehemalige Supermodel Helena Christensen, das ehemalige Wonderbramodel Eva Herzigova und zuletzt die ehemalige Lagerfeld-Muse Claudia Schiffer. Dass David LaChapelle ihn einen „Dilettanten“ nannte, der der Geschichte der Fotografie „nichts hinzufüge“, und auch die Rosenthal-Bilder wieder eher nichtssagend sind, kann Lagerfeld, der auf Kritik sehr empfindlich reagiert und extrem nachtragend sein soll, zwar ärgern. Ihn stoppen kann es nicht.
Der Mode-Zar als Zinnfigur
Lagerfeld hat mittlerweile einen Zustand der Souveränität erreicht, der ihn, den begnadeten Ironiker und unverbesserlichen Narziss, frei von Berührungsängsten selbst mit dem Profanen gemacht hat. So lieh er bereits einer Zinnfigur sein Antlitz und einer Computerspielfigur, er entwarf das Brautkleid für Verona Pooth und – natürlich als erster Stardesigner – eine Kollektion für H&M. Die war – natürlich – nach zwei Tagen ausverkauft.
Weil KL einfach macht, was er gerade interessant findet und bei allen Firmen auf offene Ohren stößt, weil sie ein todsicheres Geschäft wittern, konkurrieren nun im Steiff-Katalog all die niedlichen Tierchen mit einem Teddy, dessen reales Vorbild nun wirklich kein Mann zum Kuscheln ist. Dem überhaupt alle Körperlichkeit fremd ist. Lagerfeld hat nach eigenen Angaben mit 40 seine Sexualität begraben, lebt seitdem nur noch für die Arbeit, die für ihn so natürlich sei wie atmen. „Ich liebe Tiere sehr“, sagt er zu seinem Steiff-Engagement. „Vor allem, wenn sie mit Baumwolle und Polyester gestopft sind! So kann man am besten sicherstellen, dass sie nicht beißen, nicht fressen, nicht schlecht riechen und ihre Sachen nicht schmutzig machen.“
Le Lagerfeld auf Youtube
Nach Lagerfelds Meinung ist heute „everything fashion“, wie er in einem surreal anmutenden Clip auf Youtube nuschelt, und da Karl Lagerfeld nun mal deren König ist, muss eben auch Karl Lagerfeld in allem drin sein. Die knapp zwanzig Kollektionen, die er im Jahr entwirft (neun für Chanel, dazu kommen noch die für Fendi und seine eigene Linie), reichen ihm schon lange nicht mehr. Deshalb steht er, wie im Youtube-Video zu sehen, im Wüstensand, hinter sich eine Fahne mit den Worten „Isla Moda“ und „Dubai“ und rammt den ersten Spaten für die Mode-Insel in die Erde. Auf der Insel, Teil der künstlichen Inselgruppe „The World“, sollen einmal 80 von KL gestaltete Luxusvillen entstehen. Die Luxusindustrie ist eine Branche, die ständig wächst, und Karl Lagerfeld so etwas wie ihr Duracell-Hase.
Wer nach dem Antrieb für Lagerfelds nie endenden Fleiß sucht, wird im „Proust Questionnaire“ fündig, den er im September 2005 für das amerikanische Magazin „Vanity Fair“ ausfüllte. Dort antwortete er auf die Frage, was seine größte Leistung sei: „Ich selbst oder was ich aus mir gemacht habe – wie ich mich manipuliert habe“.
Karl Lagerfeld altert nicht
Lagerfeld ist eine Art moderner Prometheus, der unermüdlich an sich selbst herumknetet. Diese Egomanie, dieses Selbstbewusstsein gepaart mit unendlichem Wissensdurst, „deutschen Tugenden“ wie größtem Fleiß und Perfektionismus, dazu Talent, Internationalität und natürlich finanzieller Unabhängigkeit macht ihn so einzigartig.
Zudem scheint Karl Lagerfeld – auch eines seiner Projekte, an dem er hart arbeitet – nie zu altern. Er ist darin ein wahrhaft postmoderner Mann: Lagerfeld hat in fünfzig Jahren, obwohl er sich persönlich in seinem Kleidungsstil treu blieb, als Designer keinen unverkennbaren Stil entwickelt. Lagerfeld ist bis heute ein Meister der Eklektik, der souverän die Mode- und Kunstgeschichte plündert und wie ein DJ mit Einflüssen, die er auf der Straße und in der Popkultur gesehen hat, sampelt. Unter den zehn Geheimnissen seines Erfolges, die er vor Kurzem der „Bild“ diktierte, stand unter Punkt 3: „Nie stolz auf Vergangenes sein. Nicht an die Vergangenheit denken, sondern nur in die Zukunft blicken!“
Der Modemacher ist ein manischer Sammler
Mit seinem radikalen Bekenntnis zum immer Neuen lässt er sich von angesagten DJs immer neue iPods bespielen und machte daraus – was sonst – eine CD-Kompilation. Er sammelt manisch Häuser, Kunst, Möbel, Bücher, Zeitschriften, um sie dann wieder loszuwerden (bis auf seine circa 300.000 Bände umfassende Bibliothek). Der Drang, sich ewig zu erneuern und dabei Ballast abzuwerfen, macht auch vor Menschen nicht halt, wenn sie ihm nicht mehr interessant erscheinen.
Dabei wird dieser Zukunftssüchtige, glaubt man seinen Angaben, am Mittwoch 70 Jahre alt. Glaubt man Alicia Drake, einer Journalistin, die 2007 ein Buch namens „The Beautiful Fall“ über die Modewelt im Allgemeinen und die ewigen Konkurrenten, früheren Freunde und danach herzlichen Feinde Karl Lagerfeld und Yves Saint Laurent im Besonderen geschrieben hat, dann wird er an diesem 10. September sogar 75. Lagerfeld versuchte vor Gericht vergeblich, das Buch verbieten zu lassen.
Die Zäsur, der wir den populären Lagerfeld mit all seinen Merchandising-Artikeln und Kampagnen „verdanken“, fand am 1.11.2000 statt. Davor war Karl Lagerfeld ein Modedesigner, der zwar als Erster – natürlich – ein ehrwürdiges, vor sich hin siechendes Modehaus (Chanel nach dem Tode Coco Chanels) durch Traditionsbewusstsein und gezielte Respektlosigkeiten reanimierte, ja wieder ganz nach oben brachte. Aber ein Mann, dessen barocke Silhouette laut einer Umfrage 1996 zwar 90 Prozent der Deutschen kannten, von dem aber immer noch die wenigsten wussten, was er genau macht. Das sollte sich ändern. Lagerfeld begann, an sich herumzukneten, nahm in 13 Monaten 42 Kilo ab. Was übrig blieb, war ein anderer Mensch. Lagerfeld schrieb über sein Fasten ein Buch, ging in Talkshows, das Buch wurde zum Bestseller und er ein Mann, der Lust hatte, auch die Masse für sich zu gewinnen.
Dass Karl Lagerfeld sich zwar halbieren (Gewicht!), aber doch nicht aus seiner anspruchsvollen Haut kann, zeigte sich zum Glück in diesem Frühjahr. Da wurde er, der nichts mehr hasst als Provinzialität, auf Heidi Klum und den Erfolg ihrer Model-Show angesprochen. Also auf eine Frau, die mit einem strahlenden Lächeln und eisernen Willen die große weite Welt so klein kriegt, dass sie nach Bergisch Gladbach passt. Lagerfelds knappe Antwort: „Heidi wer?“. Souverän geht anders, aber der Ehrgeiz ist ungebrochen.