Seit zehn Jahren erfreut das Frauenblasorchester Berlin mit einem Repertoire aus Klassik, Jazz, Pop und Filmmusik immer mehr Fans. Bei den 66 Laienmusikerinnen ist jede Altersgruppe dabei.
Wie kommt man auf die Idee, ein Frauenblasorchester zu gründen? „Weil es etwas Neues ist“, meint Astrid Graf. „Es gibt so viele Männerorchester. Dazu kann man ruhig einmal einen Kontrapunkt setzen.“ Eine Schülerin der Klarinettistin und Dirigentin kam vor gut zehn Jahren auf die Idee, und von Anfang an erlebte das Ensemble einen begeisterten Zulauf. „Wir hatten ganz euphorische Reaktionen. Manche meinten, sie hätten schon lange auf so ein Ensemble gewartet“, erinnert sich die Orchesterleiterin.
Zwischen 21 und 73 Jahren
Eine Bäuerin, eine Polizistin, eine Ärztin, Psychologinnen und Lehrerinnen spielen im Frauenblasorchester Berlin. Zwischen 21 und 73 Jahren ist jede Altersgruppe dabei. Den 66 Laienmusikerinnen sind Spaß und musikalische Qualität gleich wichtig. Jeden Dienstag findet eine Probe in einer Kreuzberger Grundschule statt.
Zwei Mal im Jahr verbringen die Bläserinnen ein Wochenende im Berliner Umland. Da gibt es intensive Proben, aber auch verrückte, selbst ausgedachte Orchesterspiele. Bei den fünf bis sechs Konzerten pro Saison wird es meist voll. Das Frauenblasorchester hat inzwischen zahlreiche Fans.
Gerade ist die dritte CD erschienen, mit einem Kanon von Pachelbel, „Tuxedo Junction“, „Sing Sing Sing“ und „Jambo Africa“. Das Repertoire ist zwischen Klassik, Jazz, Latin, Pop und Filmmusik erstaunlich vielfarbig. „Nur traditionelle Blasmusik, Märsche und Polkas spielen wir nicht“, schmunzelt Astrid Graf, die auch selbst Arrangements für ihr Orchester schreibt. Im Konzert gehören kleine Showelemente immer dazu: Perücken bei Lady Gagas „Poker Face“, rosarote Federboas zum „Pink Panther“ oder Puppen zur „Muppet Show“.
Kein Konkurrenzdenken
Man sieht die Musikerinnen strahlen, wenn sie auf der Bühne sitzen. Irgendetwas ist hier anders als in anderen Orchestern. „Es gibt diese unglaubliche Euphorie und Energie. Die Musikerinnen wollen dieses Orchester, es ist ihnen richtig wichtig“, erklärt Orchesterleiterin Astrid Graf. Eine Musikerin, die eigentlich Querflöte spielt, lernt jetzt seit einem Jahr Fagott, weil sie unbedingt im Frauenblasorchester mitspielen will – und genügend Querflöten gibt es dort schon. So etwas hat Astrid Graf schon mehrfach erlebt.
„Wir haben auch keine Zwei-Klassen-Gesellschaft. Frauen, die ein Solo oder die erste Stimme spielen, werden nicht gegenüber denjenigen bevorzugt, die die dritte Stimme spielen. Denn ein Orchester funktioniert nur mit allen“, sagt die Dirigentin. Der freundschaftliche Umgang ohne Eifersüchteleien ist ihr wichtig. In gemischten Orchestern hat sie früher viel Konkurrenzdenken erlebt.
Zuhörer sprechen auch immer wieder über den besonderen Klang des Frauenblasorchesters. „Es ist uns gesagt worden, dass wir sensibler spielen, ein bisschen ausgefeilter, feiner in den Klangfarben“, sagt Astrid Graf und fügt schnell hinzu: „Was nicht heißt, dass wir nicht auch mit voller Kraft spielen können.“
Astrid Graf hat in Köln und Kassel Klarinette studiert, ab und zu in Orchestern ausgeholfen und dabei festgestellt, dass das nicht ihre Welt ist. Im Musik-Chor St. Marien sammelte sie erste Erfahrungen als Orchesterleiterin. Außerdem spielte sie im Kölner Ensemble Die Madämchen und später im Berliner Damenorchester Salome. Inzwischen hat sie sich als Klarinetten- und Saxofonlehrerin und mit diversen eigenen Projekten etabliert: dem SaXemble-Workshop, den Saxdompteusen, der Klarinettenquadriga und Sax de Deux.
Ein zweites Frauenensemble
Aus dem Frauenblasorchester hat sich inzwischen noch ein zweites Ensemble entwickelt. Das Frauenensemble #olz & blech wurde 2009 eigentlich als Nachwuchsschmiede des Blasorchesters gegründet. Irgendwann wollten die Musikerinnen dort kein „Vororchester“ mehr sein. Astrid Graf freute sich über die ehrgeizigen Musikerinnen. Jetzt nimmt #olz & blech die erste CD auf.
„Ach, ihr seid ja ganz anders!“ bekommt Astrid Graf oft zu hören – von Menschen, die ein traditionelles Dorffest-Blasorchester oder einen Zickenverein erwarten. Die Frauen haben inzwischen viel zusammen erlebt. Bei einer Tournee ins Frankenland traten sie neben ganz konventionellen Blaskapellen auf und erhielten Standing Ovations. Ausverkaufte Konzerte im Kammermusiksaal der Philharmonie gehören zu den Höhepunkten, aber auch Benefizkonzerte für den „Straßenfeger“ oder für Tschernobyl-Opfer.
„Wir planen jedes Jahr ein Benefizkonzert ein, im November spielen wir im Roten Rathaus für die Organisation ,Terre des Femmes’“, meint Astrid Graf. Vorher freuen sich die Musikerinnen im Juni auf ihr jährliches Konzert in der Freilichtbühne Spandau und eine Uraufführung im Oktober im Großen Sendesaal des RBB. Dann werden sie das Werk „Luftspiel“ der Berliner Komponistin Susanne Stelzenbach aus der Taufe heben. Zum ersten Mal haben sie ein zeitgenössisches Werk in Auftrag gegeben und per Crowdfunding finanziert.
Zum zehnjährigen Jubiläum ist eine Festschrift erschienen. Außerdem hatte der erste Dokumentarfilm über das Orchester, „Kein Zickenfox“, gerade Premiere auf dem Pink Apple Festival in Zürich. „Anfangs hatten wir einen Frauenbonus, da kamen die Zuhörer, weil wir so ein Unikum waren“, meint Astrid Graf. „Inzwischen ist das Niveau deutlich gestiegen. Jetzt zeigen wir, was Frauen musikalisch auf die Beine stellen können.“
So, 29.6., 11 Uhr
Umsonst & draußen: Freilichtbühne an der Zitadelle Spandau, www.fbob.de